Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Protestbewegung „Nuit debout“: Gedichte und Falafel
> Die Aktionen in Paris gehen weiter. Doch seit der Philosoph Finkielkraut
> vom Platz vertrieben wurde, regt sich der Unmut der Konservativen.
Bild: Der Place de la République am 19. April
Paris taz | Von Weitem sieht es aus wie eine Fete nach dem Ende einer
Kundgebung. Die „République“ ist ja in Paris der Ort, wo häufig Demos
anfangen oder enden. Weil aber vor drei Wochen nach einer der zahlreichen
Protestaktionen gegen eine umstrittene Arbeitsmarktreform die Demonstranten
nicht heimgehen wollten, blieben sie einfach und diskutierten bis in den
frühen Morgen über eine alternative Zukunft. „Nuit debout“, der Name der
Bewegung, die so entstanden ist, bedeutete zunächst nichts anderes, als
dass sie bis nach Mitternacht „aufbleiben“.
Über dem riesigen Platz im Zentrum von Paris hängt ein Duft von Grillwurst
und Falafel, improvisierte Straßenhändler bieten den Durstigen gekühlte
Bierdosen an. Bei der „Marianne“-Statue in der Platzmitte tanzen ein paar
Jugendliche zu den Rhythmen afrikanischer Trommeln. Ein paar Schritte
weiter üben sich andere in einer Art Gymnastik. Eine Gruppe von Kurden hat
einen Informationsstand mit einem großen Porträt von PKK-Chef Öcalan
aufgestellt. Und gleich daneben nehmen mehrere hundert ZuhörerInnen an
einer „Generalversammlung“ teil – dem eigentlichen Ereignis und Herz dies…
Bewegung.
Ein junger Mann hat die Leitung übernommen. Er ruft die Leute, die zu Wort
kommen wollen, beim Vornamen ans Mikrofon. Die Liste ist lang, die Themen
sind sehr unterschiedlich und manchmal auch etwas ausgefallen. Matthieu M.,
ein jugendlicher Dichter, verliest sein „revolutionäres Gedicht“ über die
Monotonie in der Metro.
Dann äußert Yannick sich zum heiklen Thema Gewalt. Man dürfe sich nicht von
den „Casseurs“ (Randalierern) distanzieren, die kürzlich am Rande einer
Demonstration bei Zusammenstößen mit der Polizei Sachschäden angerichtet
haben. Denn die Medien und Machthabenden wollten mit dieser Unterscheidung
bloß versuchen, die Bewegung zu spalten, meint er unter dem Beifall eines
Teils der Anwesenden.
## Informationen aus den „Kommissionen“
Laura kommt auf einen anderen Zwischenfall zurück und stellt damit die
Frage der Redefreiheit auf der „République“: „Keine Toleranz für
Intolerante“, dekretiert sie in Anspielung auf eine kurze
Auseinandersetzung, in deren Verlauf der wegen reaktionärer Stellungnahmen
umstrittene Philosoph Alain Finkielkraut angeblich von einer Gruppe
empörter Jungkommunisten vom Platz vertrieben wurde. Das wird seither in
allen Medien als Form der Zensur scharf verurteilt.
Für Laura dagegen, die sich selber „als Frau, Lesbe und Immigrantin
mehrfach diskriminiert“ bezeichnet, sind nicht alle willkommen. Im
Gegenteil müsse sich „Nuit debout“ von Rassisten und Sexisten klar
abgrenzen.
Für die konservative Opposition aber ist Finkielkrauts Platzverweis
symptomatisch oder gar Wendepunkt. Expräsident Nicolas Sarkozy und mehrere
Sprecher seiner Partei „Les Républicains“ (LR) haben die Regierung ersucht,
dem ihnen ohnehin unerträglichen Treiben auf der République endlich ein
Ende zu setzen. Um nicht selber der antidemokratischen Unterdrückung der
Meinungsfreiheit angeklagt zu werden, findet die Rechte alle möglichen
Vorwände für ein Verbot: „Die Besetzung bedeutet zu viel Aufwand und
Energie seitens der Ordnungskräfte und der Reinigungsdienste“, protestierte
Sarkozys Sprecherin Brigitte Kuster. Expremierminister François Fillon hält
es schlicht für unzulässig, dass während der Terrordrohung und des
Notstands solche Versammlungen überhaupt geduldet werden.
Auf der République wird unbeeindruckt weiter debattiert. Zwischendurch
werden Informationen aus den „Kommissionen“ durchgegeben. Auf dem Platz
kann man live mitverfolgen, wie in kleinen Untergruppen etwa über ein
Manifest und eine neue Verfassung diskutiert wird, andere Arbeitsgruppen
widmen sich auf Wunsch der TeilnehmerInnen Themen wie Ökologie, Sexismus
und LGBT, „Françafrique“ und Neokolonialismus. Die Zahl der Anliegen und
die Liste der Forderungen und Vorschläge wachsen.
Doch mangels Alternativen verteidigt die Bewegung ihre erste und einzige
und bisher wichtigste Errungenschaft: den besetzten Platz. Das haben sie
vom Beispiel der Indignados in Spanien und dem Arabischen Frühling in Kairo
gelernt.
20 Apr 2016
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Nuit debout
Paris
Francois Hollande
Schwerpunkt Frankreich
Nuit debout
Nuit debout
Nuit debout
Nuit debout
Nuit debout
Schwerpunkt Frankreich
Nuit debout
Schwerpunkt Frankreich
## ARTIKEL ZUM THEMA
Lkw-Fahrer blockieren Straßen: Französische Protestwoche
Die von Präsident Hollande initiierten Reformen des Arbeitsmarktes stoßen
auf heftigen Widerstand. Vor allem die Gewerkschaften sind empört.
Arbeitsmarktreform in Frankreich: Misstrauensvotum statt Votum
Die Reform des Arbeitsrechts bringt dem französischen Premierminister ein
Misstrauensvotum ein. Das könnte die Regierung zu Fall bringen.
Nuit Debout in Paris: Vieles ist passiert – und vieles nicht
Seit einem Monat reden Franzosen über eine neue Welt. Die
Nuit-Debout-Teilnehmer sind bunt gemischt. Hier erzählen sie von ihren
Motiven.
„Nuit debout“ in Paris: Polizei löst Proteste gewaltsam auf
Brennende Autos und Flaschenwürfe: Mit Tränengas und Lärmgranaten geht die
Polizei gegen hunderte Demonstranten am Platz der Republik vor.
Kolumne Globetrotter: Aufrecht nächtigen
Ist Nuit debout gelebte Demokratie oder Spuk? Unsere Autorin erinnert die
französische Protestbewegung erst einmal an berühmte Steine.
Proteste der Bewegung Nuit debout: Hunderte randalieren in Paris
Während einer Demo der Nuit-debout-Bewegung kam es zu Krawallen –
Jugendliche zerschlugen Scheiben und plünderten Geschäfte. Auslöser: ein
Interview Hollandes.
Französische Bewegung Nuit debout: Von Paris nach Berlin-Kreuzberg
Junge Exilfranzösinnen und -franzosen organisieren bereits einen ersten
deutschen Ableger der Nuit-debout-Proteste – weil das Thema alle angehe.
Kommentar Frankreichs neue Bewegung: Das Gegenteil von Pegida
Keiner weiß, ob die basisdemokratische Bewegung Nuit debout etwas
Nachhaltiges bewirkt. Immerhin driftet der Protest diesmal nicht nach
rechts ab.
Protest in Frankreich: Die neuen Nachtwächter von links
Die Nuit-debout-Bewegung mitten in Paris lässt sich nicht räumen. Tausende
demonstrieren gegen die politischen Verhältnisse.
Neue soziale Bewegung in Frankreich: Debattierend durch die Nacht
Eine basisdemokratische Bewegung formiert sich in Frankreich. „Nuit debout“
nennt sie sich. Ein Besuch auf der Place de la République in Paris.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.