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# taz.de -- Gqom-Musik aus Südafrika: Townships calling
> Zwischen House und Breakbeat: Der südafrikanische Dancesound Gqom ist in
> Europa angekommen. Aber es geht um mehr als nur Party.
Bild: Das Cover von „Gqom Oh! The Sound Of Durban Vol. 1“
Ein Synthesizer-Ton schwebt bedrohlich im Hintergrund. Darüber schubsen
sich digitale Drums gegenseitig an. Mit jedem in gebrochenem Takt hadernden
Schlag der Bassdrum sacken die restlichen Klänge zusammen, werden abgesaugt
in ein dunkles Loch, um sich im nächsten Moment wieder aufzupumpen. Der
[1][Track „Gunz & Soulz“ von Julz Da Deejay] entwickelt eine eigenartig
drückende wie schwerelose Wellenbewegung. Sein Stück findet sich auf „Gqom
Oh! The Sound of Durban“, der ersten umfassenden Compilation auf einem
europäischen Label, die ein tolles neues elektronisches Musik-Genre
vorstellt: Gqom.
Gqom, was „Gom“ ausgesprochen wird, rumort seit 2011 in Südafrikas
östlicher Küstenstadt Durban. 2014 hat die Musik erstmals Europas
Tanzflächen erreicht, vor allem in Großbritannien. Dank ihrer rhythmischen
Vielfalt lassen sich Gqom-Tracks zwischen House und Breakbeat bestens in
den Fundus britischer Rave-Geschichte einfügen. So brachte das Londoner
Label Goon Club Allstars 2015 [2][eine EP der Rudeboyz] aus Durban heraus.
Auf Fotos in sozialen Netzwerken präsentierte das Trio daraufhin stolz die
erste Gqom-Schallplatte überhaupt. Dass ihre Musik auf Vinyl aus England
nach Südafrika reimportiert wurde, mag seltsam anmuten.
Je nach Übersetzung bedeutet „Gqom“ Trommel, Lärm, Eimer oder Musik – im
Zentrum stehen hypnotisierend repetitive Drumbeats. Vorreiter [3][wie der
21-jährige DJ Lag] oder der 26-jährige Sbucardo beschreiben Gqom auch als
„3 Step“. Statt durchgängig auf jede Zählzeit des 4/4-Taktes eine Bassdrum
zu setzen, pulsieren bei Gqom drei Schläge im geraden Gerüst. Hopsend und
gleichzeitig schlurfend schieben sich die Drum-Percussion-Polyrhythmen aus
den Boxen. Dazu kommen gesampelte Zwischenrufe und düstere
Synthesizerteppiche. Melodien sind Mangelware.
Gqom gilt als Soundtrack der Townships, jener Ghettosiedlungen, die während
der Apartheid gebaut wurden, um die rassistische Segregation
voranzutreiben. Die Folgen des Rassismus wirken bis heute, berichtet DJ
Lag. „Junge Schwarze sind vor viele Herausforderungen gestellt. Armut,
Arbeitslosigkeit und fehlende Möglichkeiten, aufs College zu gehen,
bereiten Probleme. Davor bin ich zu Gqom geflüchtet.“
Viele Protagonisten sind männlich, worauf die Worte „boy“ oder „boyz“ …
den Pseudonymen hinweisen. Dass der Stil in Townships floriert, erklären
Rudeboyz damit, dass dort unterschiedlichste Leute aufeinandertreffen und
Musik ständig präsent ist. „Townships entwickeln am Wochenende Partygeist.
Die Häuser werden zu Nachtclubs, seit Anfang der 2000er boomen Tavern Bars,
kleine Kneipen. Die Leute bleiben lieber in den Townships, wenn sie eine
gute Zeit haben wollen, und fahren nicht in die Innenstadt. Die Straßen
sind voller Menschen und Autos, die laute Musik spielen. Townships sind
Party-Nationen.“
DJ Lags Weg zur Musik ist beispielhaft, wie Keorapetse Mefane alias Khura
erklärt. Er hat die Booking-Agentur Boldpage Entertainment gegründet, um
zusammen mit Gleichgesinnten wie DJ Lag oder der auch selbstständig
arbeitenden PR-Beraterin Cherish LaLa Mankai lokale Strukturen zu
schaffen.“
Die, die Zugang zu Laptops haben und anfangen, mit Musik-Software zu
experimentieren, dürfen sich glücklich schätzen. Sie sollen wissen, dass
das Potenzial hat, ihr Leben positiv zu verändern. Ich glaube, dass unsere
Communitys von Gqom profitieren. Wenn man sich um die Musiker kümmert,
können sie Vorbilder werden, und die, die nach ihnen kommen, werden einen
leichteren Weg vor sich haben.“
## Von Handy zu Handy
Es geht aber auch darum, dass die Produzenten schon heute von ihrer Musik
leben können. Gqom-Tracks werden per WhatsApp von Smartphone zu Smartphone
geschickt und auf Plattformen wie Data File Host oder Kasimp3 hochgeladen
und sind frei verfügbar. Bei Kasimp3 sollen die Uploader zwar an
Werbeeinnahmen beteiligt werden. Die versprochenen Zahlungen blieben
allerdings aus, resümiert Khura. Und damit fehlt die Möglichkeit für die
Produzenten, etwas mit ihrer Musik zu verdienen. Die Tracks sind weit
verbreitet, für den Alltag der DJs und Produzenten in Durban ändert das
bislang leider nichts.
Kasimp3 bereitete auch den Einstieg für Francesco Cucchi alias Nan Kolè,
der für die Compilation „Gqom Oh! The Sound of Durban“ verantwortlich
zeichnet. Kurz nachdem er das erste Mal das Netz durchforstete, stieß er
auf Gqom-Tracks. Inzwischen ist er von Rom nach London umgezogen und
betreibt das Label Gqom Oh!, mit dem er die Verbreitung der hypnotischen
Tracks fördern möchte. Durch Lerato Phiri, Mitgründerin des Labels und in
Südafrika wohnhaft, entstand Kontakt zu den Produzenten in Durban.
Der raue und rohe Klang ist den einfachen Produktionsmitteln geschuldet;
dass die Stimmung trotzdem kraftvoll und düster ist, beeindruckt Cucchi. Es
sei „apokalyptische riot-Musik“. Ein Sound, der den Wunsch der Kids aus den
Townships nach Veränderung ausdrückt. „Gqom ist keine politische Bewegung
per se, aber die Musik klingt, als ob die Teenager versuchen, darin zu
zeigen, was sie erleben.“
Für die Produzenten und ihre UnterstützerInnen geht es auf jeden Fall um
mehr als nur um Party. Sie wollen Gqom als Kultur etablieren, die nicht nur
in Europa Wellen schlägt, sondern auch zu Hause in Südafrika Wertschätzung
erfährt. Auch in finanzieller Hinsicht, so dass sie davon leben und durch
Gqom ihre Leben verändern können, wenn sie wollen.
19 Apr 2016
## LINKS
[1] http://soundcloud.com/gqomu/julz-da-deejay-gunz-soulz
[2] http://soundcloud.com/goon-club-allstars/get-down?in=goon-club-allstars%2Fs…
[3] http://soundcloud.com/djlaggqomking/dj-lag-spank-rival
## AUTOREN
Philipp Weichenrieder
## TAGS
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