# taz.de -- Weltmusik live: Der Sound der Welt | |
> Segeln und Musik passt so gut wie nie zusammen. Bei der Band „Sailing | |
> Conductors“ von Hannes Koch und Ben Schaschek schon. | |
Bild: Sammelten überall auf der Welt Rhythmen, Melodien und Texte ein: die Seg… | |
BREMEN taz | Segeln und Musik passen ja fast nie zusammen. Zumindest passt | |
das nicht, was die meisten Leute unter Segeln verstehen, zu dem, was die | |
meisten Leute unter Musik verstehen. Bei den „Sailing Conductors“ ist das | |
anders. Schon ihr Livesound ist perfekt. Von zwei Toningenieuren mit | |
jahrzehntelanger Banderfahrung ist aber auch nichts anderes zu erwarten. | |
Gefühlt kommt der Bass von links, wo Hannes Koch spielt. Sein Kumpel Ben | |
Schaschek sitzt rechts, hinter seinem geliebten Cello, das mit ihm die | |
halbe Welt umsegelt hat – und entsprechende Gebrauchs- und Kratzspuren hat. | |
Die Töne verwischt Koch mit einem Mischpult, damit die Gesamtshow stimmt: | |
Die Liveparts mäandern und wabern synchron zu bewegten Bildern und | |
Playback-Musik. Hinter den beiden jungen Weltumseglern, der eine 28, der | |
andere 30, flimmern Filmschnipsel ihrer Reise. Von Aufnahmesessions, bei | |
denen lokale MusikerInnen eigene Ideen zu bereits bestehenden | |
Songfragmenten hinzufügen. Stück für Stück, bis ein fertiges Lied steht. | |
„That’s when I find myself“, singt Vicky Lucato aus Rio auf eine | |
Gitarrenharmonie aus Südafrika. | |
Zwischendrin erzählen Schaschek und Koch von ihrer Reise. „Ben Bart“ in | |
T-Shirt und mit Rauschevollbart, „Smutje Hannes Hafenklang“ adrett in | |
Jackett, aber keck mit Schiffermütze über der Langhaarfrisur. Die | |
Stimmbänder befeuchten sie live mit Bier. | |
In ihrer Musik wird aus zwei irgendwie ulkigen und offensichtlich ziemlich | |
spleenigen Segel-Globetrottern plötzlich Herren, die, mit viel Sachverstand | |
und von einer Vision getrieben, Erstaunliches geschafft haben: Ein sehr | |
schönes Album mit dem Namen „AAA“, zusammengeschnitten aus hunderten in der | |
ganzen Welt aufgenommenen Tonspuren. Dahinter steht eine eigene | |
Produktionsfirma, ein Minilabel nebst Vertrieb. Es gibt natürlich ein Buch, | |
aber auch einen Blog und eine gut gepflegte Homepage. Garniert wird das | |
Ganze mit selbst geschossenem Film- und Fotomaterial, aus denen ARD-Serien | |
entstanden sind – ein Fernsehfilm ist in Arbeit – und eine professionelle, | |
multimediale „Roadshow“, die deutlich mehr bietet als der gewöhnliche | |
Reise-Diavortrag. Und dann ist da natürlich eine Weltreise, die in der | |
Segler-Szene polarisiert, aber bei den Jungunternehmern offensichtlich | |
stark nachwirkt. Lucato singt auf der Leinwand: „I’m totally free.“ Das | |
sagt alles. | |
Für die meisten Segler ist Musik nur das, was im Hintergrund aus | |
irgendwelchen Lautsprechern plärrt, während strubbelige und braungebrannte | |
Rennsegler an der Biertheke lehnen oder Freizeitkapitäne nach einem langen | |
Tag auf dem Wasser am Stammtisch sitzen. Kein Wunder also, dass der etwas | |
schräge Ansatz der beiden Sailing Conductors natürlich sofort Kritiker auf | |
den Plan ruft: „Die sollen anständig arbeiten gehen und nicht noch andere | |
dazu animieren, ebenfalls nicht richtig zu arbeiten.“ Harte Kritik. | |
Jedoch war alles ganz penibel geplant: Immerhin drei Wochen vor Reisebeginn | |
hat Ben Bart beim Internetsurfen in Sydney ein Boot für kleines Geld | |
gefunden, auch wenn es 3.000 Kilometer entfernt auf den Salomon-Inseln im | |
Pazifik lag, und einen Online-Segelkurs hatte er immerhin auch gemacht. | |
Für Verpflegung war auch gesorgt: Der beste Musik- und Studienfreund des | |
Skippers heuerte als Smutje an. Zuvor war er noch nie auf einem Segelboot | |
gewesen und er saß noch in Rostock und nicht in Australien. Aber er wusste: | |
„Wenn ich mich ab jetzt nicht mehr rasiere, werde ich ein Seemann.“ | |
Letzte Woche in Düsseldorf, auf der weltgrößten Bootsmesse, stand die Yacht | |
der Jungs, die über 30 Jahre alte „Marianne“ in einer Halle, in der sonst | |
nur glücklich wird, wer eine Million Euro für sein Boot ausgeben kann. Ganz | |
an den Rand gequetscht stand sie da, am Hallenende, im herrlichen Gegensatz | |
zu den teuren Schiffen. „Sucht einfach den rattigsten Dampfer auf der | |
Messe“, wird ihnen geraten. | |
Niemand wird enttäuscht. „Marianne“ sieht mit ihrer wilden Bemalung auf der | |
Außenhaut aus wie die Popartkunst eines Roy Lichtenstein auf Speed, | |
gekreuzt mit einer wüsten Flowerpower-Collage. Ein Mast fehlt. Stattdessen | |
steht eine Holzstange an Deck, von der die Flaggen der besuchten Länder | |
hängen: Indonesien, Australien, Thailand, Indien, Südafrika, Brasilien. Vom | |
Bug baumelt ein Kronleuchter, der als Bühnenstrahler dient, unterm Heck | |
steht ein Tischkicker. Dazwischen ein wackeliger Holztresen, an dem es | |
Freibier gibt. | |
Jede lange Reise mit einem Segelboot hat irgendeinen emotionalen Grund – | |
und sei es, dass nur der Freiheitsgedanke dahinter steckt. Die Segler sind | |
Typen, die meist viel aufgeben, um sich in prekären Umständen für längere | |
Zeit aus der Gesellschaft zu katapultieren – oftmals sind es irgendwie | |
Künstlertypen. | |
Von daher ist es wenig verwunderlich, dass gerade diese Szene ein so | |
schräges Projekt hervorbringt. Zwar gab es schon öfter Kunst, die die | |
Erinnerungen und Inspiration des Reisens verarbeitet haben – selbst | |
komponierte psychedelische Sinfonien oder Baumrinden-Ritzkunst. Aber viele | |
der Projekte haben mehr mit Wollen als mit Können zu tun. Eintagsfliegen, | |
aber keine Geschäftsmodelle. | |
Nichts von beidem ist von den Sailing Conductors zu erwarten. Das zweite | |
Album ist schon fast fertig. Für das Duo ist die Musikproduktion ihre | |
Zukunft, für Ben Schaschek – Tschechisch für Hofnarr – war die Reise sogar | |
Thema seiner Bachelorarbeit: „Expedition Music Concept“. Einen Businessplan | |
für ein Musiklabel hat er dafür auch geschrieben. Gedanklich lehnt sich ihr | |
Projekt an Objektkunst der sechziger Jahre. | |
Und das ist unüberhörbar. Das stärkste Stück der Darbietung ist wohl | |
„Travelling Man“. Es hat sich über die Kontinente entwickelt, ursprünglich | |
war da nur die akustische und textlose Urharmonie von Andrew James aus | |
Südafrika. Lucato schrieb darüber einen Text über Freundschaft, Alleinsein | |
und die Reise. Ein Nachwuchsorchester im brasilianischen Bahia | |
vervollständigte das Lied. Als ein Musikerfreund von James, dem Komponisten | |
der Urharmonie, das fertige Stück hörte, kamen ihm die Tränen. | |
Bei „Radiate“ verhält es sich ähnlich: Aus einem akustischen Solosong wur… | |
eine Wucht, an der 13 MusikerInnen beteiligt waren. Anders der „Thai | |
Blues“. In sich sehr zackig, weiß aber niemand, in welcher Sprache | |
eigentlich gesungen wird. Apropos Sprache: Bei dem Mitbringsel „Kaligatha“ | |
(„Regenwolken“) aus Indien liegt ein gesprochenes, perkussives „Ting. | |
Tannakating“ unter dem gesamten Track. Das ist eine heimische Sprach- oder | |
Gesangsübung und so indisch wie Madras-Curry. | |
Das Gitarrensolo in „The Blues“ deutet auf die Dimension des Projekts hin. | |
Das Solo ist schierer Wahnsinn, hätte aber Indien nie verlassen, wenn es | |
die Sailing Conductors nicht persönlich dort abgeholt hätten. Bei dem Album | |
handelt es sich weder um ein Kaleidoskop durch die Straßenmusik der Welt | |
noch um ein Projekt mit dem Motto „Hobbymusiker aller Länder vereinigt | |
euch“. Das Werk besteht aus einem Sammelsurium von professionell | |
aufbereiteter Kleinkunst. | |
Die Kunst ist spannend, jener Teil des Buches, bei dem es lediglich um | |
seglerische Details geht, weniger. Geschichten von Motorschäden und | |
Behördenzank haben schon viele aufgeschrieben. „Anfänger“, denken erfahre… | |
Segler da. Dabei sind gerade naive Anekdoten von einer versehentlich auf | |
den Grund aufsetzenden „Marianne“ amüsant. | |
Auf die Frage, ob sie verstehen könnten, dass eine solche Reise | |
polarisiert, zuckt Hannes Koch nur mit den Schultern: „Wieso, wir sind doch | |
angekommen.“ | |
2 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
matthias beilken | |
## TAGS | |
Segeln | |
Musikkultur | |
Südafrika | |
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