# taz.de -- Doping mit Meldonium: Grinsende Russen | |
> Seit 2015 steht Meldonium auf der Dopingliste. Viele Sportler wurden | |
> positiv getestet. Aber jetzt ist klar: Nur ein Bruchteil muss mit Strafe | |
> rechnen. | |
Bild: Positiv auf Meldonium getestet: der Russe Pawel Kulischnikow, hier im Feb… | |
Im russischen Sportreich wird das Grinsen immer breiter. Zwar waren unter | |
den bislang 172 bekannt gewordenen Meldonium-Dopingfälle mindestens 40 | |
russische Sportler. Aber Unklarheiten über das Nachweisfenster dieses von | |
Vertriebsfirmen in Osteuropa als leistungssteigernd für Herz und Hirn | |
angepriesenen Medikaments haben jetzt die Weltantidopingagentur Wada zu | |
einem Rückzieher veranlasst, jedenfalls zum Teil. | |
Nicht jede Urinprobe, in dem Meldonium gefunden wurde, gilt fürderhin als | |
Beweis für Doping. Die Wada legte Grenzwerte für die Konzentration wie auch | |
für den Zeitpunkt der positiven Dopingprobe fest. Das könnte zu einigen | |
Rücknahmen von Sperren auch für russische Leistungssportler führen. | |
Russlands Sportminister Witali Mutko verkniff sich noch das große | |
Triumphgeheul und sprach von einer „wahrhaft objektiven und unparteiischen | |
Entscheidung der Wada“. Sein oberster Chef, Präsident und Judoka Wladimir | |
Putin, verstieg sich allerdings zu der Feststellung, Meldonium sei | |
überhaupt kein Dopingmittel. Nun ja, da hat er die Laborrattenliteratur in | |
den Randzonen des einstigen Sowjetimperiums nicht gelesen, georgische | |
Sportwissenschaftler stellten nämlich schon 2002 bei Testreihen fest, dass | |
Meldonium sehr wohl die Leistungsfähigkeit erhöhe. | |
Das hatte sich durchaus herumgesprochen, wie eine Studie von den | |
Europaspielen 2015 in Baku zeigt. 23 Sportler von 662 getesteten gaben dort | |
Meldoniumkonsum an. Damals war das Medikament noch nicht verboten, eine | |
Angabe zog also keine Strafe nach sich. In insgesamt 66 Proben wurden | |
jedoch Spuren von Meldonium gefunden. Das heißt, einer von zehn | |
Hochleistungssportlern war offenbar herzkrank. Und zwei von drei | |
Meldonium-Usern im Sport verschwiegen die Einnahme – eine klare | |
Täuschungsabsicht. | |
## Mehrere Monate im Organismus | |
Dass die Wada im Meldonium-Gate trotzdem einknickt, liegt an einem | |
Expertenstreit. Bei einer Anhörung des Falls zweier russischer Biathleten | |
brachten Experten die Meinung ein, dass sich die Substanz unter Umständen | |
mehrere Monate im Organismus halten könne. Wer im Februar erwischt wurde, | |
hat die Substanz möglicherweise noch im Dezember zu sich genommen, als das | |
noch nicht verboten war. Bislang ging die Wada von einer Nachweiszeit von | |
nur wenigen Tagen aus. Eine abschließende Beweisführung ist für September | |
2016 avisiert. | |
Das ist ein brisanter Zeitplan, denn bis dahin sind die Olympischen Spiele | |
in Rio schon gelaufen. Manch ein positiv getesteter Sportler wäre womöglich | |
zu Unrecht von den Spielen ausgeschlossen, weil er noch 2015 zu dem | |
Präparat griff. Eine Generalamnestie allerdings würde auch manchen, der | |
definitiv 2016 dopte, zu den Spielen zulassen. Daher nun die Grenzwert- und | |
Fristenregelung der Wada. | |
Wer mehr als 15 μg/mL im Körper hatte, gilt zweifelsfrei als Doper; die | |
Konzentration ist so groß, dass das Medikament erst kürzlich eingenommen | |
wurde. Bei 1 bis 15 μg/mL legt die Wada den Stichtag 1. März fest. | |
Dopingproben mit einer solchen Konzentration ab dem 1. März, deuten laut | |
Wada auf eine Einnahme nach dem 1. Januar hin. Alles darunter führt – | |
zumindest in dieser Saison – zu Freisprüchen. | |
## Ein Zeichen von Verunsicherung | |
Dass die obersten Antidopingjäger nicht vor der Aufnahme der Substanz in | |
die Dopingliste die Nachweiszeiten überprüften, ist ein peinlicher Fehler. | |
Dass sie nun zurückrudern, ist ein Zeichen von Verunsicherung, denn der | |
Wada-Code legt ausdrücklich fest, dass ein Sportler, bei dem eine verbotene | |
Substanz gefunden wird, die unwissentliche oder gar unverschuldete Einnahme | |
selbst beweisen muss. Bei den Meldoniumfällen dürfte es daher für einen | |
Freispruch reichen, Atteste und andere Belege einzubringen, bei denen | |
Dosierung und Zeit der Verschreibung eine Einnahme vor dem 1. Januar | |
beweisen. Offenbar scheut die Wada aber solche Verfahren. | |
Die Fristenregelung bedeutet allerdings nicht, dass nun jeder | |
Meldonium-User freikommt. Das entscheiden wie gesagt Konzentration und | |
Zeitpunkt der Probenentnahme. Ein Freispruch der berühmtesten | |
Meldoniumklientin Maria Scharapowa etwa ist sehr unwahrscheinlich. Die | |
positive Probe des Tennisstars datiert zwar von Ende Januar. Die | |
Konzentration ist nicht bekannt. Das dürfte aber keine Rolle spielen, denn | |
Scharapowa gab in geradezu entwaffnender Naivität zu, sich gar nicht um das | |
Verbot ab 1. Januar geschert und das Medikament auch im Verbotszeitraum | |
eingenommen zu haben. Da fällt das Grinsen in Moskau wohl wieder etwas | |
weniger breit aus. | |
18 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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