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# taz.de -- Doping bei den Olympischen Spielen: Russland in der Staatssportkrise
> Russland soll systematisch Doping seiner Athletinnen und Athleten
> verschleiert haben. Jetzt droht der kollektive Ausschluss von Rio 2016.
Bild: Muss vielleicht zuhause bleiben: Russlands Olympiateam für Rio 2016. Die…
BERLIN taz | Mario Thevis weiß nicht genau, wie er seinen Unmut in Worte
fassen soll. Er überlegt eine Weile. Dann sagt er: „Man ist schon etwas
hinters Licht geführt worden.“ Thevis war während der Olympischen
Winterspiele 2014 im Dopinglabor von Sotschi beschäftigt. Er gehörte zu
einem Team von 18 ausländischen Experten, die zusammen mit 60 russischen
Kollegen Hunderte Dopingproben untersucht haben. „Das sichert die
gewünschte Transparenz“, sagte er seinerzeit im Interview mit dieser
Zeitung.
Thevis hat sich wohl geirrt. Er arbeitete damals zehn Stunden am Tag. Doch
in der Nacht passierten offenbar merkwürdige Dinge. Darin verstrickt war
der Chef des Labors, der Russe Gregori Rodschenkow. Der hat nun behauptet,
während der Winterspiele im großen Stil manipuliert zu haben. Er soll der
Kopf eines Masterplans zur systematischen Dopingvertuschung gewesen sein.
Laut Rodschenkow waren 15 der 33 russischen Medaillengewinner gedopt.
Unabhängige Beweise gibt es dafür allerdings nicht. Rodschenkow hat sich
vor einigen Monaten in die USA abgesetzt und der New York Times vom
staatlich verordneten Doping in Sotschi berichtet. Jetzt ermittelt das
US-amerikanische Justizministerium wegen möglicher Verschwörung und
Betrugs.
Die Frage ist nun, ob eine Nation mit so einer Unkultur im Antidopingkampf
an den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro teilnehmen kann. Der
Chef des Internationalen Olympischen Komitee (IOC), Thomas Bach, ist
zumindest skeptisch. Der Frankfurter Allgemeine Zeitung sagte er am
Mittwoch: „Sollte es Hinweise auf ein organisiertes und flächendeckendes
Dopingsystem geben, das weitere Sportarten betrifft, müsste das IOC die
schwierige Entscheidung zwischen kollektiver Verantwortung und
individueller Gerechtigkeit treffen.“ Das Verfahren gegen die
Sportgroßmacht ist noch in der Schwebe.
## Urin wurde ausgetauscht
Die Manipulationen im Labor von Sotschi sollen von langer Hand geplant
gewesen sein. Urinproben wurden in nächtlichen Aktionen ausgetauscht,
eigentlich fälschungssichere Siegel gebrochen. Sauberer Urin wurde in
Fläschchen gefüllt und neu etikettiert. Die Proben sollen durch ein Loch in
der Wand in einen als Abstellkammer deklarierten Raum weitergereicht worden
sein. Dort sei es zu den Tricksereien gekommen, so Rodschenkow. Bereits im
Herbst 2013 habe der russische Geheimdienst FSB begonnen, seinem Labor
Besuche abzustatten, um sich über die Behälter von Dopingproben und deren
Verschlüsse zu informieren.
„Überwachung war nicht unsere Aufgabe“, sagt Thevis heute, „wir waren in
erster Linie eingeladen, um die russischen Kollegen bei der Durchführung
komplexer Analyseverfahren zu unterstützen.“ Es habe nicht jeder Winkel
ausgeleuchtet werden können, jedenfalls nicht von ihnen, den Gästen im
Labor von Sotschi. Thevis ist Biochemiker, kein Kriminalbeamter, außerdem
war für ihn unvorstellbar, dass Kollegen, die ja wie er Wissenschaftler
sind, so perfide betrügen könnten. „Wenn der Urin in der versiegelten
Flasche war, ist man bisher nicht davon ausgegangen, dass anschließende
Manipulationen vergleichsweise schnell und einfach möglich sind. ohne
sichtbare Spuren zu hinterlassen“, sagt Thevis.
Jetzt müsse man jeden einzelnen Schritt in der Dopinganalytik hinterfragen.
„Die Systematik des Betrugs, die hier beschrieben wurde, wäre schon
besonders.“ Aber es geht ja nicht nur um diesen mutmaßlichen Betrug von
Sotschi. Der russische Sport steht seit vielen Monaten wegen diverser
Dopingvergehen heftig unter Beschuss.
## Das Epizentrum des Sportbetrugs
Am Anfang der russischen Staatssportkrise stand eine Enthüllungsdoku der
ARD über Doping in der russischen Leichtathletikszene. Die Internationale
Antidopingagentur Wada ermittelte daraufhin. Als Konsequenz entzog die Wada
dem Moskauer Antidopinglabor im Vorjahr die Zulassung. In dem Wada-Bericht
hatte Rodschenkow zugegeben, 1.417 Dopingproben russischer Sportler
beseitigt zu haben. Er trat zurück – und flüchtete in die USA, vielleicht
auch, um dem Schicksal von Kollegen zu entgehen. Der frühere
Geschäftsführer der russischen Antidopingbehörde Rusada, Nikita Kamajew,
starb überraschend im Alter von nur 52 Jahren. Anfang Februar wurde der
frühere Rusada-Funktionär Wjatscheslaw Sinew tot aufgefunden.
Russland scheint derzeit das Epizentrum des Sportbetrugs zu sein, aber im
Vorfeld der Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro häufen sich die
Skandale weltweit. Bei nochmaligen Tests von Dopingproben, die bei den
Sommerspielen von Peking genommen worden waren, sind 31 Sportler aus zwölf
Nationen erwischt worden, wie am Dienstag bekannt wurde. „Mehrere
Schockwellen scheinen derzeit den Sport gleichzeitig zu treffen“,
beobachtet Mario Thevis, „das ist sicherlich nicht zuträglich für die
Glaubwürdigkeit des Sports. Um ehrlich zu sein, so etwas habe ich in meiner
Laufbahn noch nicht erlebt.“
Und dann ist da noch die Läufernation Kenia, die wegen zahlreicher
Dopingverfehlungen in der Kritik steht. Dutzende Sportler, darunter auch
die dreimalige Siegerin des Boston-Marathons, Rito Jeptoo, wurden gesperrt.
Kenia muss wegen des mangelhaften Kampfes gegen Doping das Olympia-Aus
befürchten. Es könnten sehr spezielle olympische Leichtathletikwettkämpfe
werden.
Mario Thevis wird in Rio wieder nach Anabolika oder Epo in den Körpersäften
der Sportler suchen. Der Dopingforscher hofft, dass dieses Labor keine
„Abstellkammer“ hat.
18 May 2016
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Russland
Doping
Sotschi 2014
Russland
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Russland
Anti-Doping-Agentur
Doping
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