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# taz.de -- Die Wahrheit: Kakteen in der Pubertät
> Aus dem Tagebuch eines botanisch und menschlich über jegliche Gebühr
> Verzweifelten: Gangsta-Rapper mit Bubikopf (Teil IV).
Was bisher geschah: Zimmerpflanzen produzieren allerhand Aufregung, vegane
Ernährung der Venusfliegenfalle gescheitert, Ficus-Verwandte aus Malaysia
zu Besuch, zuletzt Teilnahme der Begonie „Beggy“ an Casting „Germany’s …
Topfmodel“. Verwirrung bei Zuhausegebliebenen.
6. März
Schreck am Morgen: Wohnzimmerschrank von leuchtendem Graffiti bedeckt:
„Free the plants – prison sucks“. Scharfer Blick in die Runde: Ficus wisc…
demonstrativ auf Handy herum, Kakteen scheinbar ins Gespräch vertieft.
Betretene Blicke der Begonien und Usambaras. „Prison?“ Darauf aufmerksam
gemacht, dass Überleben in unserem Klima draußen allenfalls für Begonien
möglich ist. Probezeit auf Balkon angeboten. Herrschaften ignorieren mich.
Putzzeug reingeworfen, Tür zugeknallt. Abends zaghafte Klopfzeichen aus
Wohnzimmer: Usambaras wollen reden. Aber nur unter vier Augen. Morgen.
7. März
Blick ins Wohnzimmer: Schrank einigermaßen sauber. Gespräch mit
Usambara-Sprecherin in der Küche (Venusfliegenfalle als allgemein
anerkannte neutrale Beobachterin zugelassen). Über unhaltbare Zustände
unterrichtet: Kakteen drangsalierten gesamte Pflanzengemeinschaft. Blöde
Sprüche, sogar sexistische Anmache. Und jetzt das Graffiti. „Völlig
irrational.“ Usambaraveilchen in Tränen. Lösung versprochen.
8. März
Mit Venusfliegenfalle eingehend über Kakteen beraten: Verhalten nicht
hinnehmbar. Anscheinend Niedergang seit Abreise der Begonie ins Model-Camp.
Fehlende Aufgabe? Venusfliegenfalle tippt auf Testosteronüberschuss:
„Müssen sich die Stacheln abstoßen.“ Vereinzelung als Lösung? Einen der
beiden vorsorglich ins Schlafzimmer verfrachtet.
9. März
Halbe Nacht kein Auge zugetan: nicht enden wollendes Wehklagen des
Schlafzimmer-Exilanten. Wie schlimm das sei, er habe ja nichts getan, warum
immer er, was könne er denn dafür, nie dürfe man, immer müsse man, er habe
ja nicht angefangen? Blablabla. Schließlich Handtuch gegriffen und über
Kaktus geworfen. Kurze Verblüffung, dann Stille. Schließlich leises
Schnarchen. Erleichterung.
10. März
Kaktus ins Gebet genommen. Zerknirschtes Schweigen. Zweifel, ob eine Nacht
auf der Fensterbank im Schlafzimmer wirklich Einsicht bringt? Dem Heißsporn
ins Gewissen geredet. Zur Probe zurück ins Wohnzimmer. Allgemeines
Aufstöhnen. Ausdrücklich betont, dass es „nur ein Versuch“ sei. Bei
Zuwiderhandlung drohe Balkon. Zur Abschreckung auf Schneeregenschauer
verwiesen.
11. März
Versuch nach hinten losgegangen: Kakteen bringen aus lauter Lust an
Provokation alle gegeneinander auf. Überall beleidigte Mienen und
verschränkte Arme. Klima auf vorläufigem Tiefpunkt. Ficus als Wortführer
überreicht Petition gegen Kakteen-Terror. Nach kurzer Beratung mit
Venusfliegenfalle neue Maßnahme: Kakteen bei Kurs für „Gewaltfreie
Kommunikation“ angemeldet. Empörtes Murren. Was das bitte für ein
idiotisches Weichei-Gedöns sei? „Eben.“ Ab sofort strikte Trennung der
beiden Unruhestifter.
14. März
Erster Kurstermin der Kakteen. Hinfahrt in beredtem Schweigen. Vor Ort
Ansammlung schräger Gestalten: abgehalfterte Yucca-Palme, zerrüttet
wirkender Bubikopf und scheeläugiger Farn. Botanopsychologe macht erst mal
kompetenten Eindruck. „Kriege die Rabauken schon in den Griff.“
Aufmunterndes Lächeln ausgetauscht. Rückfahrt: Kakteen einsilbig und
nachdenklich.
15. März
Weiter Schweigen der Kakteen. Wohl einiges losgetreten.
16. März
Kakteen bitten um mehrtägige Klausur unter vier Augen, „und wenn es in der
Besenkammer ist“. Stattgegeben. Wollen wohl ernsthaft in sich gehen. Nach
Kommuniqué Aufatmen und vorsichtige Entspannung bei restlichen Pflanzen.
Venusfliegenfalle für Kurs-Vorschlag mit Frischassel-Leckerli belohnt.
Madame vorgeblich etwas beleidigt (man sei doch „kein dressierter Hund“),
aber heimlich ganz zufrieden.
21. März
Kakteen zum Kurs aus Besenkammer geholt. Etwas blass, aber deutlich
entspannter. Grundlegender Gesinnungswechsel? Auch andere Kursteilnehmer
offenbar aufgeräumter. Nach Kurs von Kakteen bestürmt: Ob Bubikopf bei uns
einziehen dürfe? Netter Typ, habe von guter Pflanzengemeinschaft gehört und
sei umsiedlungswillig. „Stimmt’s?“ Nicken. Gettofaust. Betont, dass ich d…
nicht allein entscheiden könne.
22. März
Telefonat mit Bubikopfbesitzer. Bittet sich Bedenkzeit aus. Habe immerhin
durch Kommunikationskurs „nicht wenig Geld“ in Entwicklung des Bubikopfs
investiert. Könne aber verstehen, dass Bubikopf sich in größerer
Gemeinschaft wohler fühlt. Heimische Grünlilie eher eigenbrötlerisch und
abweisend. Mediation bereits gescheitert. Wolle noch mal drüber schlafen.
23. März
Frühmorgens Anruf von Bubikopfbesitzer: Unausgesetztes Quengeln des
Bubikopfes, dass er zu uns wolle. Vielleicht Tausch möglich? Hin und her
überlegt. Gummibaum und Ficus unangemessen. Und Venusfliegenfalle quasi
UNO-Generalsekretärin der Pflanzengemeinschaft. Muss also bleiben.
Fröhliches Usambaraveilchen oder mitteilsame Begonie zu mürrischer
Grünlilie? Oder als Doppelpack? Falls Grünlilie kalte Schulter zeigt?
Vielleicht auf Probe. Im Wohnzimmer nach Freiwilligen gefragt. (Dabei
zugegebenermaßen etwas wolkig von „Wellness-Aufenthalt“ gesprochen.) Alle
Finger gehen hoch. (Ha.) Zwei kräftige Pflanzen ausgewählt. Jubel und High
Five der Kakteen. Skeptisches Augenrollen des Ficus.
24. März
Tag des Austausches. Begonie und Usambara mit gepackten Beauty-Cases.
Gummibaum schlägt Abschiedslied vor: „Junge komm bald wieder“. Lautstarker
Protest aller Begonien und Usambaras. Kaktus moderiert von sich aus mit neu
gelernten Kommunikationstechniken. Ehrlich erstaunt. Beim Türklingeln
aufgeregtes Durcheinanderreden. Bubikopf sichtlich in freudiger Erwartung,
allseits neugierige Blicke, abreisende Begonie tauscht Küsschen mit
Freundinnen, verspricht zu schreiben. Usambara jetzt doch etwas kleinlaut,
aber reißt sich zusammen. Gummibaum intoniert „Muss i denn, muss i denn“,
wird aber niedergebrüllt.
25. März
Bubikopf und Kakteen unzertrennlich. Inszenieren sich als
Gangsta-Rapper-Trio. Süß. Verliebte Blicke der Usambaras bemerkt. Tuscheln
der Begonien.
26. März
Begonie „Beggie“ überraschend aus Model-Camp zurück. Kleinlautes Häufchen
Elend: abgemagert, glanzlos, Blüten vom Scheinwerferlicht versengt.
Allgemeine Bestürzung. Venusfliegenfalle etwas schulmeisterlich: habe
„Entwicklung kommen sehen“. Betroffenes Schweigen der anderen Pflanzen.
Sofort Düngerinfusion begonnen. Auch Kakteen zeigen karitative Seite:
Blattspray, gutes Zureden. Reizende Fürsorge auch der Usambaras und anderen
Begonien. Heimlich Träne zerdrückt.
28. März
Ficus verliest WhatsApp-Nachricht von Austausch-Begonie: Aufenthalt so weit
okay, aber wann denn nun die Wellness-Anwendungen begönnen. Bisher nur
klares Wasser verabreicht bekommen. Betreten gehüstelt und weiter Zeitung
gelesen.
1. April
Pflege zeigt Wirkung: Zustand und Laune der Begonie deutlich besser. Erste
Erzählungen aus Camp lassen tief blicken. Idee der Begonie zu Gründung von
Online-Selbsthilfegruppe für Model-Camp-Opfer. Kakteen mit besserer Idee:
Theater-AG! Begonie Feuer und Flamme: Habe schon immer die Julia spielen
wollen. Aber nur mit dem Bubikopf als Romeo. (Schüchternes Erröten.)
16 Apr 2016
## AUTOREN
Tanja Küddelsmann
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