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# taz.de -- Flüchtlingslager in Idomeni: Ungewissheit, Zorn und Verzweiflung
> Die Nerven liegen blank im nordgriechischen Idomeni, Bewohner geraten
> aneinander. Noch immer weiß keiner, wie es weitergeht.
Bild: Was steht in den Sternen? Flüchtlingsmädchen in Idomeni mit Häuptlings…
Idomeni taz | Schon wieder gibt es Kabbeleien in der Schlange für die
Morgensandwiches. Die Stimmung im Lager Idomeni ist trotz der wärmenden
Sonne und dem nachlassenden Wind nicht gut. Die Menschen sind verunsichert.
„Was bedeutet das Abkommen der EU mit der Türkei für uns?“ Sie verstehen
die komplizierten Entscheidungsmechanismen in der EU nicht. Bei manchen
liegen die Nerven blank. Es kommt zu Schlägereien um Nichtigkeiten.
Die Ungewissheit über das eigene Schicksal ist durch die Verhandlungen
zwischen der Türkei und der EU noch verstärkt worden. „Wir werden in dem
Abkommen nicht einmal erwähnt“, sagt der 22-jährige Journalist Taher* aus
Syrien, „Was sollen wir denn tun? Sollen wir hier bleiben und hoffen, dass
das Tor nach Mazedonien doch noch geöffnet wird? Oder in ein anderes Lager
gehen und abwarten?“
Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Amschad betrachtet kritischen Auges, dass
das Lager sich jetzt sogar nach nationalen Gruppen zu organisieren beginnt.
Über einem Zelt hängt die kurdische Fahne, darum herum halten sich nur
Kurden auf. „Die Schlägereien zwischen Syrern und Afghanen sind ein Problem
für uns alle, das sind Zeichen von Verzweiflung“, sagt Taher. Deshalb sei
eine Demonstration auch nicht sinnvoll.
Mit der Parole „Wir wollen wissen, was mit uns passiert“ wollten sie durch
das Lager ziehen. Aber das heize die Lage nur noch an. Und außerdem hätten
sie „seltsame Reporter“ beobachtet, die sagten, „euch Muslime wollen wir
nicht in Europa“. Für Amschad ist klar, „das sind Leute, die ein schlechtes
Bild über uns in Europa zeigen wollen“. Besser ruhig bleiben, beschließen
beide. Es sind wohlerzogene, freundliche, gut Englisch sprechende junge
Männer aus der Großstadt Aleppo, wie viele hier im Lager.
## Bombardiert, bedroht, gefoltert
So auch Mohannad, 21 Jahre alt, aus Falludscha im Irak. Er hat zusammen mit
seinem Bruder eine abenteuerliche Geschichte hinter sich. Doch bevor er
weiterspricht, hilft er einem Mann im Rollstuhl, der im Krieg beide Beine
verloren hat, bringt ihn über die Gleise, besorgt ihm Wasser.
Erst dann lädt er den Reporter in sein Zelt ein. Sein drei Jahre älterer
Bruder Ahmed und er haben eine kleine Sitzecke aus einem Bettgestell und
Metallrohren aufgebaut. In der Mitte glimmt noch die Asche eines Feuers.
Die beiden Sunniten berichten, wie die Stadt von schiitischen Milizen
bombardiert wurde, wie die Schiiten drohten, Giftgasbomben einzusetzen. Sie
erzählen, wie dann IS-Milizen die Stadt übernommen hatten. „Wir befanden
uns zwischen zwei Extremen. Die IS-Milizen haben mehr Sunniten umgebracht
als die Schiiten.“
Ihnen blieb nur die Flucht zu Verwandten nach Syrien. Endlich im
Assad-Gebiet angekommen, wurden sie nun von Polizisten bedroht. Ihr Freund
Hasan – ein Zelt weiter – sei von den Assad-Leuten gefoltert worden, sieben
Monate musste er in Hockstellung verharren, bei jeder Bewegung sei er
geschlagen worden.
## In jedem Zelt eine Geschichte
Vor vier Monaten seien sie über den Libanon in die Türkei gekommen und dann
hierher, nach Idomeni. „Was soll jetzt mit uns geschehen? Wird Europa uns
hier in diesen unwürdigen Umständen versauern lassen?“
In jedem Zelt hier steckt eine Geschichte. Zum Beispiel in dem von Adnan
Fanash aus Ayash in Syrien. Er hatte es schon im Mai 2015 nach Deutschland
geschafft und seine 17 Jahre junge Frau Mayada und ihr im Januar 2014
geborenes Kind in der Türkei zurückgelassen. Er bekam einen
Aufenthaltsstatus, verfügt seit Ende August 2015 über den speziellen
Reisepass für Flüchtlinge.
Seine Frau kam nach, strandete aber in Idomeni: Sie war ein paar Tage zu
spät dran. Adnan fuhr sofort hin, jetzt lebt er mit seiner Familie in einem
Zelt neben den Bahngleisen. Er weiß nicht, wie er sie nach Deutschland
bringen kann, obwohl er alle Papiere hat, auch die übersetzte und
beglaubigte Heiratsurkunde.
Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR erklärte ihm, Mayada müsse in Griechenland
einen Asylantrag stellen und dann Familienzusammenführung beantragen. Doch
er misstraut den griechischen Behörden und dem UNHCR.
Alle diese Menschen warten jetzt auf die Entscheidung, wie es weitergehen
soll. Wieviele Monate sollen sie noch im Schmutz von Idomeni zubringen?.
20 Mar 2016
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Idomeni
Balkanroute
EU-Flüchtlingspolitik
Schwerpunkt Flucht
Demonstrationen
Schwerpunkt Flucht
Germanen
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