# taz.de -- Dynamitfischen in Tansania: Gefahr für Umwelt und Sicherheit | |
> Mit Sprengstoff zerstören Fischer die Unterwasserwelt, doch ein Problem | |
> sind auch die mafiösen Strukturen. Der Staat geht jetzt dagegen vor. | |
Bild: Mitglieder der staatlichen Task Force kontrollieren ein Fischerboot. | |
Daressalam taz | Schwarzer Qualm zieht über den Fischmarkt im Zentrum von | |
Daressalam, eine Ansammlung von niedrigen Holztischen und Pavillons, | |
umzingelt von Buden. Links vom Eingang schlagen Männer mit einer Axt auf | |
Eisblöcke ein, bis sie zerbersten. Rechts beugen sich Frauen über einen | |
Tisch, ziehen Fischen die Innereien aus dem Bauch. | |
Misstrauisch mustern die Verkäufer jeden, der ankommt. Einer drückt sein | |
Handy ans Ohr, spricht etwas ins Telefon. Plötzlich schiebt ein Verkäufer | |
nebenan die Fische auf dem Tisch vor ihm in eine Plastiktüte, schnell hin | |
zu diesem Mann. Welchen Fisch kann er heute empfehlen? „Oh, heute ist kein | |
guter Tag, das Wetter ist schlecht zum Fischen“, sagt er und winkt ab. | |
Zwei Barsche sind noch nicht in der Tüte verschwunden. Ihre Augen sind rot, | |
Blut quillt aus ihren Kiemen hervor. Eindeutig: Diese Fische wurden nicht | |
mit Netz oder Angel gefangen. Sie wurden durch Dynamit getötet. | |
Tansania ist nicht nur eines der beliebtesten Reiseziele in Afrika. Es ist | |
auch dabei, Afrikas Nummer eins im Bergbau zu werden. Immer mehr Dynamit | |
kursiert auf dem Markt – es wird zum Sprengen gebraucht. Über Kriminelle | |
gelangt es in die Hände von Fischern. Ein Wissenschaftler zählte mehr als | |
300 Bombenexplosionen in 30 Tagen. Vor der Metropole Daressalam waren bis | |
zu zehn pro Stunde. Das Fischen mit Dynamit zerstört nicht nur die | |
Unterwasserwelt. Es treibt die Menschen an der Küste auch in die | |
Kriminalität – weil ihre Nahrungsgrundlage, der Fisch, knapp wird. | |
## Unterschätzte Gefahr | |
Zwar explodieren auch in den Nachbarländern hin und wieder Bomben im Meer. | |
Doch dort wird der illegale Handel mit Sprengstoff mit bis zu 30 Jahren | |
Gefängnisstrafe geahndet, um Terroristen mögliche Versorgungswege zu | |
kappen. In Tansania hat man das Ausmaß des Bedarfs von Sprengstoff in | |
illegalen Minen und in der illegalen Fischerei lange unterschätzt und kaum | |
verfolgt. Deshalb ist es das einzige Land in Afrika, in dem immer noch | |
kommerziell mit Dynamit gefischt wird – auch wenn das verboten ist. | |
Was die tansanische Regierung erst jetzt bemerkt: Längst sind die | |
Dynamitfischer in mafiöse Strukturen verwickelt, die das Land durchdringen | |
und seine Sicherheit bedrohen. Deshalb hat sie im Juni die Task Force Matt | |
gegründet – ein Multi-Agency-Task-Team gegen Umweltkriminelle. | |
An einem Vormittag gleitet das Tuckerboot der Marine hinaus aufs Meer – so | |
ruhig und glatt liegt es vor einem, wie eine Plastikplane. Kilulu, ein | |
kräftiger Polizist mit Schnauzbart, der zuvor Terroristen im Libanon gejagt | |
hat, lehnt an der Reling und sieht einem Soldaten im Overall zu. Der hievt | |
gerade ein Maschinengewehr in die Truhe unter dem Fahrersitz. „Wenn wir | |
Fischer erwischen, versuchen sie, ihre Bomben in unser Boot zu schleudern“, | |
sagt er. „Dann müssen wir uns wehren.“ | |
Etwa sechs Kilometer vor der Küste stellt der Steuermann den Motor ab. Der | |
Zeiger des Messgeräts deutet auf minus 44 Meter. „Die Dynamitfischer kommen | |
hierher, weil es hier viele Thunfische gibt“, erklärt Kilulu. Vorne | |
schaukelt ein Holzboot, direkt vor einem dreißigmal so langen | |
Containerschiff. Zehn Personen, darunter auch Kinder, ziehen ein Netz an | |
Bord. Vermutlich eine Fischerfamilie. Dynamitfischer sind das jedenfalls | |
nicht: „Die tragen immer Taucheranzüge und Schwimmflossen“, erklärt Kilul… | |
„Die Druckwelle der Bombe lässt die Luftblase der Fische platzen, deshalb | |
müssen sie tauchen und ihre Beute aufsammeln.“ | |
Ein Mann auf dem Meer entpuppt sich aus der Nähe als Surfer. In der Hand | |
hält er eine Plastikflasche, an der ein Faden mit Haken baumelt. Er winkt | |
und zieht zwei Makrelenhechte aus einer Plastiktüte: schlanke Fische, die | |
hier in Schwärmen an der Meeresoberfläche jagen. Das ist seine ganze Beute. | |
Bomben hat die Crew heute keine entdeckt. „Dafür haben wir zumindest | |
Präsenz gezeigt“, sagt Kilulu. Fischer, die Bomben ins Meer werfen und die | |
Korallenriffs in Unterwasserwüsten verwandeln, kommen gegen eine Strafe von | |
umgerechnet 2,50 Euro frei. Deshalb versuchen auch Undercover-Agenten in | |
der Dealerszene die Chefs der Dynamit-Mafia aufzuspüren. | |
## Vom Dynamitfischer zum Ehrenamtlichen | |
In Kigamboye, 40 Kilometer südlich von Daressalam, passt Omari Mussa darauf | |
auf, dass niemand in seinem Ort mit Dynamit fischt. Die Siedlung besteht | |
aus etwa 50 einfachen Steinhäusern. Mussa ist in einem von ihnen | |
aufgewachsen. Seine Haut ist von der Sonne gegerbt, an der linken Hand hat | |
er nur noch einen Finger – die anderen hat er verloren, weil er eine Bombe | |
zu spät losgelassen hat. „Das Fischen mit Dynamit ist gefährlich“, sagt e… | |
„Trotzdem haben das alle hier gemacht. Das Fischen mit den normalen | |
Methoden lohnt sich kaum noch.“ | |
Als seine Eltern nicht mehr genug Geld hatten, brach er die Schule ab und | |
wurde Dynamitfischer. Wer eine Bombe auf einen dicht besiedelten | |
Korallenriff abwirft, kann auf einen Schlag bis zu hundert Fische töten – | |
und eine Menge Geld verdienen. Doch woher bekam er den Sprengstoff? „In | |
Daressalam gab es einen Typen, der hat Dynamit aus den Minen in den Bergen | |
bekommen. Das hat er an uns verkauft.“ | |
Flink läuft er einen Pfad voraus, vorbei an mannshohen Büschen und Palmen, | |
zu einem weißen Strand. Der Himmel ist wolkenlos blau. Ein Fischer | |
schaufelt Wasser aus dem Boot. Stolz präsentiert er seinen Fang: etwa 20 | |
handgroße Fische, die in der Sonne silbern glänzen. Mussa lächelt. „Als wir | |
aufgehört haben, hier mit Bomben zu fischen, gab es lange keine Fische | |
mehr“, sagt er. „Erst jetzt werden es wieder mehr.“ | |
Jeden Tag kontrolliert er im Auftrag des WWF, wie viele Fische und vor | |
allem wie die Fischer sie gefangen haben. Sein Geld verdient er aber als | |
Koch. Wie hat ihn die Umweltorganisation überzeugt? „Ich bin hier | |
aufgewachsen mit den bunten Korallenriffen. Ich will nicht, dass sie | |
zerstört werden“, sagt er. „Außerdem habe ich erfahren, dass Fische, die | |
mit Dynamit gefangen werden, impotent machen.“ | |
Wenn es um die Zukunft des Meeres geht, tischt die Umweltorganisation den | |
Fischern wohl auch Lügen auf. Aber kann man mit Freiwilligen tatsächlich | |
kriminelle Verbindungen zerschlagen? Umweltverbrechen wie das | |
Dynamitfischen werden unterschätzt: Sie stehen nicht auf den | |
Sanktionslisten der Vereinten Nationen. Doch gerade das macht sie | |
interessant für Kriminelle, die sich nicht mit Drogen und Waffen die Hände | |
schmutzig machen wollen. | |
## Gefährlicher Einsatz | |
Hyasint Wariro hat soeben gekochtes Fleisch, Kartoffeln und Gemüse im | |
Garten des „Triniti“ verspeist, einer der angesagten Bars gleich hinter dem | |
Stadtstrand von Daressalam. Er trägt Tunika, dazu Sonnenbrille und | |
unterstreicht seine Sätze mit ausladenden Gesten. Drei Jahre lang hat er | |
die Küste bei Tanga im Norden Tansanias für das Umweltministerium überwacht | |
– bis ihn Dynamitfischer attackierten. | |
200 Fischer mit Sprengstoff schleppte er zur Polizei, verlor viele Freunde. | |
Doch nur fünf von ihnen wurde der Prozess gemacht. Der Grund: „Die | |
Dynamitfischer sind organisiert wie ein Wohlfahrtsverband“, erklärt er und | |
betont dabei jedes dritte Wort. „Jedes Mitglied zahlt umgerechnet 20 Euro | |
pro Monat – damit kaufen sie ihre Leute frei und bestechen die Beamten.“ | |
Wariro rechnete schon lange mit der Rache. Am 11. April 2011 geschah es. | |
„Mein Motorrad sprang nicht an, also stieg ich auf mein Fahrrad, um zur | |
Arbeit zu fahren. In einer Kurve haben sie auf mich gewartet, zu viert, auf | |
zwei Motorrädern.“ Dann hält er kurz inne. „Es hatte viel geregnet, um | |
nicht durch eine Pfütze zu fahren, musste ich direkt an ihnen vorbei.“ | |
Uuuuuh, macht er und verzerrt sein Gesicht. „Die Flüssigkeit, die sie mir | |
in die Augen gespritzt haben, brannte, ich wollte sie mit meinem Ärmel | |
trocknen. Doch da fing mein Hemd Feuer.“ | |
Die Säure hat seine Haut zerfressen, die Lippen sind zusammengeschmolzen. | |
Innerhalb eines Jahres wurde er zehnmal operiert, doch die vernarbte Haut | |
spannt sich immer noch unsymmetrisch über sein Gesicht. Er schiebt seine | |
Sonnenbrille hoch. Anstatt seines rechten Auges prangt da eine Narbe. Aus | |
einem Loch, das die Ärzte gelassen haben, laufen Tränen heraus. | |
Wariro hat sich wieder gefasst. „Bald wird man von Terroristen aus Tansania | |
hören“, sagt er. In Tanga, im Norden, hätten die Dynamitfischer bereits | |
eine Bombe vor einer Bank gezündet. „Es gibt effektivere Methoden, um an | |
Geld kommen, als mit Fischen“, sagt er. Zeitungsmeldungen über Explosionen | |
und Sprengstofffunde geben ihm recht. | |
Wie lange wird Tansania noch der stabile Anker in Ostafrika sein? Wariro | |
beugt sich über den Tisch und spricht leise, aber bestimmt: „Wenn du weißt, | |
wie man eine Bombe baut. Wenn du weißt, wie viel Dynamit sie enthalten | |
muss, um alles im Umkreis von zwei oder von fünfzig Metern zu zerstören.“ | |
Er lehnt sich wieder zurück, hebt die Schultern: „Worauf wartest du dann | |
noch?“ Dann schiebt er seine Sonnenbrille über die Augen und bestellt ein | |
Motorrad-Taxi. Er hat alles gesagt. Morgen wird er wieder Meeresbiologie | |
unterrichten und die heranwachsende Generation vor den Folgen des | |
Dynamitfischens warnen. | |
2 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Julia Maria Amberger | |
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