# taz.de -- Polizeigewalt in Ägypten: „Hier sind die Polizisten die Gangster… | |
> Allein im Monat Februar wurden 111 Menschen von Angehörigen der | |
> Sicherheitskräfte getötet. Dokumentiert sind auch 88 Fälle von Folter. | |
Bild: Tausende Ärzte demonstrierten am 12. Februar in Kairo gegen Polizeigewal… | |
KAIRO taz | Die Willkür und Brutalität ägyptischer Polizisten war vor fünf | |
Jahren einer der Auslöser der Revolte gegen das Regime von Präsident Hosni | |
Mubarak. Seitdem hat sich wenig im Vorgehen des Sicherheitsapparates | |
geändert. Weiterhin werden Menschen in dem Land am Nil gefoltert, | |
verschwinden spurlos oder sterben in der Haft, während selbst Polizisten | |
niederer Dienstgrades auf der Straße in nahezu allmächtiger Willkür | |
agieren. | |
Das Kairoer Nadeem-Zentrum für Folteropfer hat dieses Verhalten des | |
Sicherheitsapparates für den Monat Februar dokumentiert. Danach wurden in | |
nur vier Wochen 111 Menschen getötet, darunter 65 durch außergerichtliche | |
gezielte Tötungen, acht bei Streitereien mit rangniederer Polizisten, ein | |
Opfer starb in Folge von Folter, ein weiteres wurde von einem Gebäude | |
geworfen. | |
Acht Ägypter starben während der Haft, weil sie medizinisch nicht versorgt | |
wurden. Insgesamt wurden in diesem Monat von der Menschenrechtsorganisation | |
88 Fälle von Folter dokumentiert. | |
In dem Bericht des Nadeem-Zentrums ist auch von 155 dokumentierten Fällen | |
die Rede, in denen Menschen verschwunden sind, nachdem sie von Angehörigen | |
des Sicherheitsapparat verschleppt wurden. Einige von ihnen tauchten später | |
in Gefängnissen wieder auf, einer gilt weiter als vermisst. Von anderen | |
wurde später die Leichen gefunden. Die meisten dieser Vorwürfe werden vom | |
Innenministerium abgestritten. | |
## Der Fall des Studenten Gulio Regeni | |
Nun versuchen die Behörden, das Nadeem-Zentrum zum Schweigen zu bringen. | |
Das Gesundheitsministerium hat dem Zentrum, das sich seit 1993 auch um die | |
psychologische Rehabilitation von Folteropfern kümmert, die Lizenz | |
entzogen. Der Fall der Schließung liegt derzeit vor Gericht. „Der einzige | |
Weg, Berichte über Folter in Ägypten zu stoppen, ist, wenn der Staat | |
endlich aufhört, Menschen zu foltern“, erklärt Aida Seif Edaula, die Chefin | |
der Zentrums, auf einer Pressekonferenz dazu trotzig. | |
Der Fall eines Verschwundenen und später tot aufgefundenen Opfers, der auch | |
international für Furore gesorgt hat, ist der des italienischen | |
Cambridge-Studenten Gulio Regeni. Der Doktorand, der in Ägypten über | |
unabhängige Gewerkschaften geforscht hatte, war im Januar verschwunden. | |
Seine Leiche wurde neun Tage später in einem Straßengraben am Stadtrand von | |
Kairo gefunden. | |
Die Leiche wies schwere Folterspuren wie Schnittwunden und Verbrennungen | |
mit Zigaretten auf. Regeni sei bis zu sieben Tage lang gefoltert worden, | |
bevor er starb, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen nicht | |
namentlich genannten Mitarbeiter der ägyptischen Gerichtsmedizin. Von | |
offizieller ägyptischer Seite wird das ebenso abgestritten wie die nicht | |
enden wollenden Spekulationen, dass einer der ägyptischen | |
Sicherheitsapparate hinter dem Mord steckt. | |
## Polizeiwillkür im Krankenhaus | |
Ein italienisches Untersuchungsteam hatte vor wenigen Tagen damit gedroht, | |
wieder aus Kairo abzureisen, weil die ägyptischen Untersuchungsbehörden | |
nicht kooperiert hätten. Daraufhin wurden den italienischen Behörden | |
endlich der Autopsie-Bericht, Zeugenaussagen und die Daten von Regenis | |
Mobiltelefon übergeben. | |
Derweil machte ein Fall von Polizeiwillkür in Ägypten Schlagzeilen, der zu | |
einem Machtkampf zwischen dem Innenministerium und dem ägyptischen | |
Ärzteverband geführt hat. Mindestens 4.000 - andere Quellen sprechen sogar | |
von 10.000 - Ärzten kamen im Februar aus dem ganzen Land zu einer | |
außerordentlichen Generalversammlung des Verbandes in der Innenstadt Kairos | |
zusammen, um Gerechtigkeit für zwei ihrer Kollegen einzufordern. Es war die | |
größte politische Zusammenkunft in Ägypten seit der Einführung eines | |
De-facto-Demonstrationsverbotes, nachdem das Militär den ehemaligen | |
Präsidenten und Muslimbruder Muhammad Mursi 2013 abgesetzt hatte. | |
Der Hintergrund: Im Januar waren zwei Ärzte im Matariya-Krankenhaus in | |
Kairo von einer Gruppe rangniederer Polizisten mitten im Krankenhaus | |
zusammengeschlagen worden. Einer der Polizisten, der eine leichte | |
Verletzung hatte, war mit seiner Behandlung unzufrieden und rief ein halbes | |
Dutzend seiner Kollegen, die dann auf die beiden Ärzte einprügelten. | |
Anschließend wurden die Ärzte auf die Polizeiwache gebracht. | |
## Anzeige und Gegenanzeige | |
„Ihr seid Hunde und wertlos, wir werden euch beibringen, euch richtig zu | |
verhalten, ihr seid Muslimbrüder und wenn wir wollen, endet ihr im | |
Gefängnis, haben die Polizisten auf uns eingeschrieen, wobei sie auch auf | |
dem Weg auf uns einschlugen“, erinnert sich Dr. Momen Abdel Azim, einer der | |
beiden Ärzte im Gespräch mit der taz. Später wurden die Ärzte wieder | |
freigelassen. | |
Nachdem der Krankenhausdirektor darauf bestand, dass die Ärzte eine Anzeige | |
erstatten, wurden sie bei der Staatsanwaltschaft mit einer Gegenanzeige der | |
Polizisten konfrontiert, in der ihnen vorgeworfen wurde, dass Ärzte sie | |
tätlich angegriffen hätten. Daraufhin sollten die Ärzte ausgerechnet in der | |
Wache inhaftiert werden, aus der die Täter stammten. | |
Die Matariya-Polizeiwache ist unter ägyptischen | |
Menschenrechtsorganisationen als „Schlachthaus“ berüchtigt. Mindestens 14 | |
Fälle von Tod durch Folter in Haft wurden dort von der | |
Menschenrechtsorganisation EIPR dokumentiert. Aus Angst zogen die Ärzte | |
zogen ihre Anzeige wieder zurück. | |
## Machtkampf zwischen Polizei und Ärzten | |
Doch das brachte erst Recht den Ärzteverband auf den Plan, der seitdem in | |
Krankenhäusern regelmäßig Protestaktionen organisiert. „Wir fordern, dass | |
das Gesetz angewandt wird und die Polizisten zur Rechenschaft gezogen | |
werden“, erklärt Sanaa Fuad, die Chefin des Kairoer Zweiges des | |
Ärzteverbandes. „In dieser Auseinandersetzung geht es letztendlich um die | |
Würde der Ärzte“, sagt sie. Die Regierung habe diese Situation zu einem | |
Machtkampf zwischen Polizei und Ärzten eskalieren lassen. | |
„Das Problem ist, dass diejenigen, die die Waffen haben, die stärkeren | |
sind“, meint sie frustriert, wenngleich der Protest der Ärzte das ganze | |
Land angespornt habe, sich nicht alles gefallen zu lassen. Sie vergleicht | |
die Lage sogar mit dem Jahr 2010, wenige Monate vor der Aufstand gegen | |
Mubarak. „Auch damals hatten die Menschen langsam ihre Angst verloren“, | |
sagt sie. | |
Alles gefallen lassen wollten sich auch die Einwohner des Darb | |
El-Ahmar-Viertels in Kairo nicht. „Du dreckige Regierung, ihr Söhne des | |
Drecks“, skandierte eine wütende Menge, die in der Nacht des 28. Februar | |
durch das Viertel zog und „Hier sind die Polizisten die Gangster“ riefen. | |
## Tödlicher Schuss nach Streit um Geld | |
Ein Bewohner des Viertels, der Fahrer Mohammed Darbaka, war zuvor von einem | |
Polizisten vor Zeugen auf offener Straße praktisch exekutiert worden. Er | |
hatte auf einem Kleinlastwagen private Dinge des Polizisten transportiert. | |
Bei einem anschließenden Streit über die Bezahlung zog der Polizist seine | |
Waffe und schoss dem Fahrer in den Kopf. | |
Zunächst hatte die Polizei versucht, den Fall vertuschen und sprach von | |
einem Unfall. Doch es gab zu viele Augenzeugen. Am Ende übte sich | |
Innenminister Magdy Abdel in Schadensbegrenzung und traf sich mit dem Vater | |
des Opfers, um ihm vor laufender Kamera medienwirksam als eine Geste der | |
Entschuldigung auf den Kopf zu küssen. In diesem Fall ist der Polizist in | |
Haft. | |
Doch zumindest der von der Polizei verprügelte Arzt hat wenig Vertrauen in | |
Ägyptens Justizsystem. Bisher wurde keiner der Polizisten verhaftet, die | |
ihn geschlagen haben. „Aber selbst wenn, würde das nur geschehen, um die | |
Lage zu beruhigen“, glaubt er. Die Polizisten säßen dann ein paar Monate in | |
Haft, während die Untersuchung im Sande verlaufe, um dann wieder auf freien | |
Fuß zu kommen. Abdel Aziz ist sich sicher: „Dann werden sie jene Ärzte | |
heimsuchen, die ihnen den Ärger bereitet haben“. | |
12 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
## TAGS | |
Ägypten | |
Justiz in Ägypten | |
Kairo | |
Ägypten | |
Ägypten | |
Abdel Fattah al-Sisi | |
Ägypten | |
Tahrir-Platz | |
Ägypten | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ägypten gegen Al-Dschasira-Mitarbeiter: Sechs Todesurteile wegen Spionage | |
Ägypten wirft dem Sender Al-Dschasira vor, die Muslimbrüder zu | |
unterstützen. Der Richterspruch gegen Ex-Präsident Mursi wird aber vertagt. | |
Mord an Italiener in Ägypten: Polizei tötet vermeintliche Kidnapper | |
Die ägyptische Polizei hat vier Männer erschossen. Laut Regierung sollen | |
sie für den Tod des italienischen Studenten Giulio Regeni verantwortlich | |
gewesen sein. | |
Humor in Ägypten: Ein Präsident steht zum Verkauf | |
Ein Witzbold versteigert Al-Sisi auf Ebay. Sein Preis stieg schnell auf | |
über 100.000 Dollar. Inzwischen hat die Plattform das Posting entfernt. | |
In Kairo getöteter Italiener: Politisch aktiver Jungforscher | |
Giulio Regeni arbeitete unter anderem für „Il Manifesto“. Die Umstände | |
seines Todes sind ungeklärt, Aktivisten vermuten einen staatlichen Mord. | |
Kolumne Macht: Die Knospen von gestern | |
Vor fünf Jahren war der Tharirplatz in Kairo ein Symbol der Sehnsucht nach | |
Wandel. Geblieben sind vor allem Enttäuschungen. | |
Verschleppt in Ägypten: Hundert Fragen, keine Antwort | |
Seit 2015 sind zahlreiche Ägypter verschwunden. In geheimen Haftanstalten | |
wird gefoltert. Viele der Verschleppten tauchen nie wieder auf. |