# taz.de -- Kolumne Macht: Die Knospen von gestern | |
> Vor fünf Jahren war der Tharirplatz in Kairo ein Symbol der Sehnsucht | |
> nach Wandel. Geblieben sind vor allem Enttäuschungen. | |
Bild: Zu frühe Blüte muss die Zukunft fürchten. | |
Erinnerungen an all die Hoffnungen, mit denen vor fünf Jahren der | |
ägyptische Frühling in Ägypten begann, sind für viele nur noch schwer zu | |
ertragen. Zu tief sitzt die Enttäuschung. Denn die Verhältnisse sind | |
mindestens genau so schlimm wie vor der Revolution: Summarische | |
Todesurteile, willkürliche Verhaftungen und die Beschneidung von | |
Grundrechten gehören zum politischen Alltag. Hunderte von Demonstranten | |
sind in den letzten Jahren erschossen worden. | |
Der Tahrirplatz in Kairo, für kurze Zeit ein Symbol der Sehnsucht nach | |
Wandel, ist wieder genau das, was er früher war: Ein ständig verstopfter | |
Verkehrsknotenpunkt. Kein Mahnmal erinnert an die Opfer des Widerstandes. | |
Fasziniert - und ja, auch begeistert - hatte die Welt zugeschaut, als am | |
25. Januar 2011 friedliche Demonstranten in Kairo gegen das Regime von | |
Hosni Mubarak auf die Straße gingen, und als sie den Diktator nur 18 Tage | |
später vom unverrückbar scheinenden Thron stürzten. Damals hatte die | |
demokratische Protestbewegung von Berlin bis Washington fast nur Freunde. | |
Heute ist der neue Diktator, Präsident Abd al-Fattah as-Sisi, im Ausland | |
ein gern gesehener Gast, auch die US-Militärhilfe fließt wieder. Der Sieg | |
hat viele Väter. Die Niederlage ist bekanntlich Vollwaise. | |
## Wie konnte es dazu kommen? | |
Wie konnte es zu der Niederlage der Demokratiebewegung kommen? Über diese | |
Frage werden Zeitgeschichtler noch lange streiten. Lag es an internen | |
Streitigkeiten der liberalen Opposition? An der Unfähigkeit der | |
Muslimbruderschaft, die nach Jahrzehnten im Untergrund an die Macht gespült | |
worden war, einen Staat professionell zu leiten? Oder war es ägyptischen | |
Militärführern von Anfang an nur darum gegangen, Hosni Mubarak und seine | |
Familie kalt zu stellen? Waren die idealistischen Demonstranten auf dem | |
Tahrir für sie einfach nützliche Idioten gewesen? | |
Wahrscheinlich stimmen all diese Erklärungen gleichzeitig, jeweils ein | |
bißchen. Unbestreitbar ist: Das Interesse des Westens an stabilen | |
Verhältnissen in Ägypten war und ist größer als dessen Interesse an der | |
Beachtung von Menschenrechten. Wegen des übergeordneten Zieles der | |
Bekämpfung von Islamisten, weil man ein verlässliches Machtzentrum im Nahen | |
Osten wünscht und weil die Entwicklung in anderen arabischen Staaten – | |
Syrien, Jemen, Libyen - ja nicht dazu angetan ist, demokratische | |
Experimente zu unterstützen. Dann doch lieber aufs Bewährte setzen. | |
Was bedeutet: Gegebenenfalls einen Putschisten zu unterstützen. Präsident | |
al-Sisi war Oberbefehlshaber der Streitkräfte, als er seinen Vorgänger, den | |
Islamisten Muhammed Mursi, durch die Armee vertreiben ließ. So | |
unsympathisch man den auch finden mag - Mursi war demokratisch gewählt. | |
Feldmarschall al-Sisi war es nicht. | |
Wer heute in Ägypten aus politischen Gründen im Gefängnis sitzt, ist | |
ziemlich allein. Auf die Unterstützung ausländischer Regierungen, die gern | |
die Bedeutung von Menschenrechten betonen, sollten Gefangene jedenfalls | |
nicht bauen. Wäre es vielleicht besser gewesen, der arabische Frühling in | |
Kairo hätte nie Blüten getrieben? | |
„Während der französischen Revolution sind schreckliche Dinge geschehen. | |
Die Zeitgenossen hätten sich vermutlich nicht vorstellen können, dass | |
dieses Ereignis einmal zum Symbol für Freiheit und Demokratie werden | |
würde“, sagt Mona Anis, eine prominente ägyptische Journalistin. | |
„Vielleicht gilt dasselbe einmal für den arabischen Frühling. Wir leben in | |
einer Periode des Übergangs.“ Noch knapper formuliert es der Historiker | |
Khaled Fahmy: „Der Geist ist aus der Flasche.“ | |
Vielleicht haben beide Recht. Vielleicht ist nur Geduld gefragt. | |
24 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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