# taz.de -- Gespräche mit der Heimat: Keine Pause vom Telefon | |
> Wenn es in Syrien gerade Strom und einen Internetzugang gibt, wird | |
> telefoniert – egal wann, auch nachts. Oft spricht man in Codes. | |
Bild: Immer wieder fällt in Syrien der Strom aus. Dann kann man auch nicht tel… | |
Als mein jüngerer Bruder 1996 Syrien verlassen hat, um in Kanada zu | |
studieren, hatten wir eine große Sorge – abgesehen von seinem Wohlergehen | |
natürlich. Wir fragten uns, wie wir mit ihm in Kontakt bleiben könnten, | |
weil das einzige Kommunikationsmittel teure Telefongespräche waren. | |
Damals existierte in Syrien noch kein Internet. Das gab es erst ein paar | |
Jahre später, war aber sehr teuer und wurde von der Regierung stark | |
zensiert. Heute, zwanzig Jahre später, ist das Internet in der Regel das | |
einzige Kommunikationsmittel, das wir Syrer im Ausland haben, um mit | |
unseren Familien und Freunden in Syrien Kontakt zu halten. | |
Eine Freundin von mir, die seit einem Jahr in Deutschland lebt, beklagte | |
sich darüber, dass die Leute nicht verstehen, warum sie, ein Flüchtling, | |
sich ein Smartphone leisten könne. „Wie soll ich denn sonst mit meinen | |
Söhnen in Syrien sprechen?“ fragte sie. „Wenn ich es schaffe, sie nach | |
Deutschland zu bringen, werfe ich das Telefon weg. Versprochen!“ | |
Wenn man in Zügen und Bussen Leute sieht, die laut in einer Fremdsprache | |
reden und das Telefon vor ihr Gesicht halten, dabei lachen und manchmal | |
sogar weinen, kann man davon ausgehen, dass sie Flüchtlinge aus Syrien | |
sind, die mit ihren Liebsten sprechen. | |
## Wir reden, wenn es in Syrien Strom gibt | |
Der Grund, warum wir in öffentlichen Verkehrsmitteln quatschen, ist | |
einfach. In den meisten syrischen Städten gibt es nur ein paar Stunden am | |
Tag Strom, und immer, wenn es sowohl Strom als auch eine Internetverbindung | |
gibt, reden wir – bei Tageslicht oder im Dunkeln. Mit meinem Vater und | |
einer Tante, die beide noch in Syrien leben, spreche ich, wann immer ich | |
die Gelegenheit dazu habe. Ich warte geduldig auf das grüne Signal neben | |
ihren Namen, das mir anzeigt, dass sie online sind, und ergreife die | |
Gelegenheit beim Schopf, mit ihnen zu reden. | |
Allerdings höre ich meinen Liebsten viel eher zu, als selbst etwas zu | |
sagen. Dafür gibt es viele Gründe. Der wichtigste ist meine Sorge um ihre | |
Sicherheit. Niemand kann absolut sicher sein, dass irgendein | |
Kommunikationsmittel nicht von einem der zahlreichen syrischen | |
Sicherheitsdienste überwacht wird. Deshalb vermeiden wir, über politische | |
Themen zu sprechen. | |
Ich vermeide auch alles, was dazu führen könnte, dass sie sich Sorgen über | |
meine Lebensbedingungen in Berlin machen. Also antworte ich auf die meisten | |
Fragen mit einem „Mir geht es gut und alles ist prima“, auch wenn nicht | |
alles prima ist. Sie sollen sich keine Gedanken darüber machen, dass ich | |
den ganzen Tag vor dem LaGeSo stehe, während sie selbst täglich mehrere | |
Stunden anstehen, um Brot oder Diesel für die Heizung zu kaufen. Wenn das | |
jetzt ihre Lebensbedingungen sind, müssen sie auch nicht wissen, dass ich | |
manchmal schlecht oder auf eine erniedrigende Art und Weise behandelt | |
werde. | |
Die Leute in Syrien entwickeln auch Codes, damit sie trotz einer möglichen | |
Überwachung Botschaften übermitteln können. Wenn also beispielsweise die | |
Sicherheitspolizei bei meinen Verwandten erscheint und nach mir fragt, | |
sagen sie mir, eine bestimmte Tante sei zu Besuch gekommen. | |
Leicht kann einen das Gefühl überkommen, man ertrinke in der Technik, und | |
manchmal habe ich das Bedürfnis, alles wegzuwerfen oder zumindest eine | |
Pause zu machen und lange, lange kein Telefon mehr anzurühren. Doch | |
angesichts der Lage zuhause in Syrien scheint der Tag, an dem ich diese | |
Pause machen kann, noch nicht so bald zu kommen. | |
Übersetzt aus dem Englischen von Beate Seel | |
18 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Dina Hosn | |
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