# taz.de -- Personality-Beraterin über die Frauenrolle: „Das Foul gehört zu… | |
> „Lernt schummeln“, sagt Claudia Cornelsen, Expertin für Personality-PR. | |
> Ein Gespräch über Aktentaschen und Frösche, die „Muh“ machen. | |
Bild: Im Frauenfußball normal: das Foul. Hier legt die Kolumbianerin Yoreli Ri… | |
taz: Frau Cornelsen, wieviel haben Sie in Ihren Beratungen mit einem | |
inneren Korsett von Frauen zu tun? | |
Claudia Cornelsen: Viel. Der Ausdruck gefällt mir: Ein Korsett kann man | |
nämlich ausziehen, ob innen oder außen. Es gibt aber auch durchaus Männer, | |
die unter ihren traditionellen Rollen etwa der Vater- oder der | |
Ernährerrolle leiden, sie müssen so eine Art Ritterrüstung der Stärke | |
tragen. Auch nicht schön. | |
Was ist das innere Korsett für Sie? | |
Das Korsett ist aus Mythen und Klischees zusammengenäht. Ein Mythos lautet, | |
dass Frauen mehr leisten müssen als Männer, um anerkannt zu werden. Das | |
Fatale: Wenn wir uns dieses Märchen permanent erzählen, halten wir es | |
irgendwann für wahr. Die Leistungsgesellschaft ist jedoch noch so ein | |
Mythos, nicht Realität: Unsere Wirtschaft belohnt regelmäßig nicht die, die | |
mehr leisten, sondern die, die besser ins Team passen. Das ist eher das | |
Mittelmaß. Man steigt auf, wenn man sich in den richtigen Seilschaften | |
bewegt, nicht wenn man still und allein Großtaten vollbringt. | |
Aber wenn eben zu Hause die zweite Schicht wartet, kann man nicht so viel | |
Zeit in Seilschaften investieren. | |
Das ist der zweite Mythos: You can’t have it all, Familie und Karriere. | |
Frauen machen so viel Familienarbeit, da leidet der Beruf oder umgekehrt. | |
Männer bringen Privatleben und Beruf perfekt unter einen Hut. Letztens | |
wurden Topmanager gefragt, wie sie ihre Zeit einteilen. Heraus kam: 60 | |
Prozent investieren sie in die Sacharbeit und 40 Prozent in die Peergroup. | |
Hier fließen Privatleben und Arbeit ideal ineinander: Beim Bier werden neue | |
Ideen geboren und Geschäfte gemacht. Dafür haben Frauen keine Zeit, weil | |
sie ja mit 150 Prozent Arbeit zu tun haben. | |
Aber viele Frauen machen abends eben den Haushalt und betreuen ihre Kinder. | |
Stimmt, das lassen sie sich allzu gern aufhalsen. Gehört zum Mutterkorsett. | |
Für Männer dagegen gehört Care-Arbeit oft nicht zum Selbstbild. Eine | |
lästige Pflicht. Muss gemacht werden, macht keinen Spaß, überlässt man gern | |
anderen. Wenn Frauen schon so bereitwillig, diese Arbeit allein erledigen, | |
dann sollten sie wenigstens auf dem Spielplatz statt über Babysocken über | |
Aktienkurse reden und in der Zuschauerbank beim Kinderturnen über | |
Vertragsklauseln diskutieren. Stattdessen privatisieren sie oft sogar die | |
Arbeit. Da wird zum Business-Meeting selbstgebackener Kuchen mitgebracht. | |
Das kostet private Zeit und privates Geld. Männer treffen sich im | |
Restaurant und setzen das Ganze als Arbeitsessen von der Steuer ab. Das | |
spart Zeit und Geld. Delegieren heißt auch: an den Partner oder die | |
Partnerin delegieren, der sich heute noch aus der Verantwortung stiehlt. Es | |
könnte sich lohnen, diese Konflikte auszuhalten. | |
Wegen ihrer angeblichen Familienorientierung gelten Frauen auch nicht als | |
die geborenen Führungskräfte. | |
Ein Problem vieler Frauen ist, dass sie das Hochglanzgerede ernst nehmen. | |
Sie wollen kooperativ sein, 150 Prozent geben, ein tolle Mutter, eine tolle | |
Ehefrau sein – und zweimal die Woche zum Sport. Dabei sind das alles | |
irgendwelche Pseudo-Ideale, Bullshit-Bingo der Wirtschaft. Eine kluge Frau | |
hört sich das an, schüttelt sich kurz und lebt ihr Leben. | |
Frauen wollen das gute Mädchen sein. | |
Genau darin liegt der Fehler. Schauen Sie, es gibt beim Fußball Regeln für | |
ein Foulspiel, weil das Foulspiel zwar verboten ist, aber es trotzdem | |
ständig stattfindet. Sonst bräuchte man keinen Elfmeterpunkt. Offenbar | |
gehört es zum Spiel dazu, ab und zu Foul zu spielen. Die Steuerberaterin | |
Marianne Schwan hat in ihrem Buch „Milchmädchens Rache“ vor 20 Jahren | |
erklärt, dass man eine Aktentasche von der Steuer absetzen kann, eine | |
Handtasche aber nicht. Welche Frau kauft also noch eine Handtasche, um | |
damit ins Büro zu gehen? Auf der Rechnung muss Aktentasche stehen! | |
Die Aktentasche ist ja so ein Symbol dafür, dass Frauen in diesen Jobs | |
nicht vorgesehen sind. Wie sie es machen, ist es falsch: Wenn sie auf den | |
Tisch haut, ist sie unweiblich, wenn nicht, dann eine schwache Chefin. | |
Eine Frage der Erwartungen. Wenn ein Frosch auf die Bühne kommt, erwarte | |
ich, dass er quakt. Wenn er Muh sagt, sage ich: Das ist kein Frosch. Das | |
sind kognitive Dissonanzen. Veränderung braucht Übung von allen | |
Beteiligten: Vielleicht macht die Frau, die als erste auf den Tisch haut, | |
keine weitere Karriere. Aber sie leistet Pionierarbeit. Es werden weitere | |
folgen, die auf den Tisch hauen – und die kommen dann ein Stück weiter. | |
Aber der Frosch, der muht, wirkt künstlich. Frauen können schließlich nicht | |
auf das Bild des Genies oder der geborenen Führungspersönlichkeit bauen … | |
Genies sind angeblich männlich. Dies Klischee muss ich also bedienen oder | |
modulieren, wenn ich als Frau meine Idee durchbringen will. Eventuell muss | |
ich sie einem der Hierarchen unterjubeln und auf meine öffentliche | |
Autorschaft verzichten. Dann ist die Idee realisiert, nur der Ruhm ist | |
flöten. Alles hat seinen Preis. Wenn man seine Ziele erreichen und die | |
Lorbeeren kassieren will, dann muss man kooperieren: Du sagst dies, du das; | |
du bist pro forma dagegen und am Ende übernehme ich. Frauen sollten | |
erkennen, dass diese Art von „Schummeln“ Teil des Spiels ist. | |
Und Ihr Beruf ist es, Frauen das Schummeln beizubringen: | |
Schummeln ist Teil der Strategie, wie man sein öffentliches Image designen | |
kann. Man braucht zwei Dinge: Abi und Sex. | |
Was? | |
Ein Akronym: APISEGS. A heißt Absurditäten schaffen, etwa wenn Stefan Raab | |
Boxweltmeisterin wird. P ist Polarisieren, zum Beispiel jemanden angreifen, | |
wo es mich nichts kostet. Ein offener Brief an Merkel und mein Name ist | |
bekannt. Inszenierte Polarisierungen sind in der Politik gang und gäbe. I | |
steht für „Im Glanze anderer sonnen“, also immer hübsch darauf achten, mit | |
wem man gesehen wird, und darüber reden, wen man alles kennt. S wie | |
Selbstinszenierung: Männer bezahlen Geld dafür, dass sie auf Kongressen | |
reden dürfen. Das wissen Frauen oft gar nicht. Sie sehen nur, dass sie | |
nicht aufs Podium geladen werden. Man kann auch ein Buch schreiben, ohne | |
dass man es selbst schreibt. Deswegen gibt es Ghostwriter. E wie | |
Erfolgreiche Blamage: einen Misserfolg zuzugeben macht sympathisch. Das | |
können Frauen ganz gut, da müssen eher die Männer üben. G wie Geheimnisse | |
schaffen. Man ist dann total wichtig im Unternehmen, wenn man an | |
Geheimprojekten mitarbeitet. Verschlusssache! Und das Letzte ist eben S wie | |
Schummeln. | |
Wenn Sie also mit den Frauen üben, Dinge zu tun, die sie bisher für falsch | |
hielten – dann werden die relativ oft sagen: Das mach ich nicht, dazu habe | |
ich keine Lust mehr. | |
Es geht nicht darum, Dinge zu tun, die man für falsch hält. Im Gegenteil! | |
Es geht darum, endlich die Dinge zu tun, die man tun will, aber nicht tun | |
darf. Es geht um ein Art Coming-out der ehrlichen Frau. Aber das ist | |
fürwahr nicht unanstrengend, weil drum herum so wenige Frauen sind, die | |
sich ein solches Coming-out trauen. Deswegen scheuen viele den Kampf und | |
hören frustriert auf. Viele der angeblich „gescheiterten“ Frauen aus den | |
Vorständen haben zwar unter der schlechten Presse gelitten, aber sie haben | |
auch gesagt: Wisst ihr was, finanziell hab ich ausgesorgt, und jetzt | |
genieße ich das Leben. Das ist schade für die anderen Frauen und die | |
Frauenbewegung. So entsteht der nächste Mythos: Frauen scheitern. Aber sie | |
scheitern nicht an der Macht selbst, sondern höchstens daran, dass sie | |
anders sind, als der Mythos erlaubt. | |
Was genau hat da nicht funktioniert? | |
Vieles von dem, was wir hier besprochen haben. Diese Frauen sind | |
Pionierinnen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten sehr weit gekommen. Wer | |
einen Gipfel nur in Stöckelschuhen erklimmen darf, damit der Mythos | |
Weiblichkeit nicht in Frage gestellt wird, kommt eben nicht sonderlich | |
weit. Schon gar nicht, wenn man allein geht und keine Seilschaft hat. | |
Inzwischen schaffen es Frauen relativ locker bis zur Schneegrenze. Jetzt | |
sind wir in der Phase, wo die Frauen sich über Schuhe Gedanken machen und | |
über Seilschaften. | |
8 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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