| # taz.de -- RAW-Gelände: Wie in jeder Disco | |
| > Besonders seit dem Tod eines 46-jährigen Nigerianers vor einer Woche gilt | |
| > die Gegend rund ums RAW-Gelände als eine der gefährlichsten Berlins. Ein | |
| > Reality-Check. | |
| Bild: Auf dem RAW-Gelände. | |
| Freitag, kurz nach 21 Uhr auf dem Friedrichshainer RAW-Gelände. Es ist | |
| genau eine Woche her, dass hier an einem Dönerladen ein 46-jähriger | |
| Nigerianer tot zusammengebrochen ist. | |
| Streng genommen starb der Mann ja gar nicht direkt auf dem Areal des RAW, | |
| sondern an der Ecke Warschauer/Revaler Straße. Aber für derartige | |
| Differenzierungen ist bei den aktuellen Diskussionen rund um das | |
| RAW-Gelände längst kein Raum mehr. RAW ist in der öffentlichen Wahrnehmung | |
| nicht mehr nur das Gebiet mit all seinen Clubs, Kneipen, Galerien und | |
| anderen Vergnügungsangeboten, sondern auch alles, was dieses an Straßen | |
| umschließt. Hier patrouillieren schließlich zu jeder Tages- und Nachtzeit | |
| die Drogendealer, die für das meiste, was hier für Negativschlagzeilen | |
| sorgt, wenigstens mitverantwortlich gemacht werden. | |
| Der Tote, das ist inzwischen bekannt, war tatsächlich einer der Dealer. Er | |
| wurde wohl das Opfer eines Konflikts in diesem Milieu. | |
| Mal schauen, wie die Stimmung dort in Wirklichkeit ist. | |
| Momo, Geschäftsführer eines Pizza-Imbisses, der sich nur etwa 20 Meter | |
| entfernt von der Stelle befindet, an dem der Nigerianer tot zusammenbrach, | |
| sieht das alles ganz sachlich: „Es war ein Streit unter seinesgleichen. | |
| Niemand außerhalb der Dealerszene kam zu Schaden. Und wer sich in so eine | |
| Branche begibt, der muss damit rechnen, dass ihm so etwas passiert.“ | |
| ## Momo ist genervt | |
| Momo ist hörbar genervt von all der Aufregung um das RAW-Gelände. Seit | |
| letzten August ein Freund von Jennifer Weist, der Sängerin der Band | |
| Jennifer Rostock, von einem Dieb mit einem Messer stark am Hals verletzt | |
| wurde und das Medienecho darauf riesig war, ist die Gegend rund um seinen | |
| Arbeitsplatz deutschlandweit bekannt als eine von Berlins gefährlichsten | |
| Gegenden. | |
| Wirklich schlecht für das Geschäft sei das jedoch nicht, sagt Momo, | |
| „Touristen kommen immer hierher.“ Trotzdem: „Vor zehn Jahren war alles no… | |
| viel schlimmer hier“, glaubt er. „Heute kommen nur noch harmlose Touristen, | |
| damals waren die Leute, die hier feierten, alle auf Drogen.“ | |
| Die Medien würden das, was auf dem RAW an Unschönem passiert, größer | |
| machen, als es ist, führt er weiter aus, vorneweg die B.Z., die tatsächlich | |
| in den letzten Monaten über das RAW-Gelände berichtet hatte, als ginge es | |
| hier ähnlich zu wie in einem Kriegsgebiet in Syrien. „Leute werden hier | |
| beklaut, das stimmt, aber das passiert auch in jeder anderen Disco jeden | |
| Abend“, glaubt der Imbissbetreiber. | |
| ## Wolf kennt sich aus | |
| Ähnlich sieht das auch der Türsteher am Eingang zum Areal des Urban Spree, | |
| einer Galerie mit angeschlossener Konzert-Location. Besuchern durchsucht er | |
| zunächst die Taschen, was nichts Ungewöhnliches ist. Auf diesem Gelände hat | |
| jeder Club einen Türsteher postiert. | |
| Der Mann vorm Urban Spree stellt sich als Wolf vor. Nur Wolf, nichts | |
| weiter, „das ist mein Name“, sagt er. Keiner kenne das Gelände hier so wie | |
| er, behauptet Wolf, seit acht Jahren stehe er hier, immer mal wieder vor | |
| einem anderen Laden auf dem Areal. Und: „In den letzten drei Jahren sind | |
| hier auch schon drei Menschen ums Leben gekommen.“ | |
| Ein Toter auf dem RAW: nichts Ungewöhnliches demnach. „Es geht hier nicht | |
| schlimmer zu als vor acht Jahren“, erklärt Wolf, fügt dann jedoch hinzu: | |
| „Na ja, ein bisschen vielleicht.“ Mehr Flüchtlinge seien eben in der Stadt, | |
| viele von diesen seien ohne Job und würden deswegen geradezu in die | |
| Dealerszene vor Ort gedrängt werden. Und das würde die Konflikte unter den | |
| rivalisierenden Dealerbanden, die es schon so lange gäbe,wie er hier | |
| arbeitet, eben verstärken. | |
| Wolf hat wohl recht, denn es geht weiterhin ruhig und entspannt zu auf dem | |
| Gelände heute Abend. Kriegsgebiete jedenfalls fühlen sich ganz bestimmt | |
| ziemlich anders an. Nur die Dealer auf der Revaler Straße: Die verbreiten | |
| wirklich etwas mehr Hektik als früher. Damals standen sie immer nur einfach | |
| herum und warteten darauf, dass sich mal wieder ein doofer Tourist bei | |
| ihnen verirrte, um schlechte Drogen für viel zu viel Geld zu ordern. | |
| Jetzt kann man hier keine fünf Meter mehr gehen, ohne direkt angesprochen | |
| zu werden: „Hey man, what do you want? Coke? Speed? Marihuana? Speed?” | |
| Schneller als früher muss es jetzt mit der Geschäftsabwicklung gehen. | |
| Dauernd schwirrt die Polizei herum oder es drohen Razzien. In Wellen kommen | |
| und gehen die Dealer, mal ist die Revaler Straße voll mit ihnen, eine halbe | |
| Stunde später sieht man gar keinen mehr von ihnen. | |
| ## Christina ist entspannt | |
| Etwa gegen Mitternacht an diesem Freitagabend: Die drei jungen Frauen | |
| Christina, Livia und Marie kommen gerade auf dem Gelände an, weil sie hier | |
| noch irgendwo feiern wollen. Und sie wundern sich. Sie seien oft hier, | |
| erzählen sie, weil sie in der Nähe wohnen. Und sie kennen das schon: Man | |
| wird eigentlich immer beim Betreten des RAW-Geländes von einem der Dealer | |
| begrüßt. Heute jedoch nicht. Woran liegt’s? Vielleicht daran, dass seit ein | |
| paar Tagen ein neuer Wachschutz auf dem Gelände unterwegs ist, personell | |
| stärker aufgestellt als der vorherige? | |
| Die drei Frauen berichten, dass sie sich sicher hier fühlten, auch weil sie | |
| ja in der Gruppe unterwegs seien. Auf dem Weg hierher sei aber gerade heute | |
| dann doch die Sache mit dem Toten und überhaupt die Gefahrenlage auf | |
| Friedrichshains Spaßmeile Gesprächsthema gewesen. Nun aber seien sie nur in | |
| guter Ausgehstimmung und Christina sagt stellvertretend für die ganze | |
| Gruppe: „Wir fühlen uns ziemlich entspannt hier.“ | |
| Und warum auch nicht? Von Antanztricks, Messerstechern und Banden ist, auch | |
| wenn die Nacht immer noch relativ jung ist, weit und breit nichts zu sehen. | |
| Dafür aber tatsächlich ein Herr vom neuen Wachschutz, der gemütlich seine | |
| Runden dreht. Der Mann ist nett, will sofort etwas erzählen, hält dann | |
| plötzlich doch inne und ruft seine Zentrale an. Ob er mit jemandem von der | |
| Presse spreche dürfe? „Negativ“, kommt aus der Leitung. „Machen Sie | |
| freundlich, aber bestimmt klar, dass sie keine Auskünfte geben.“ | |
| Okay, wenn’s der Sicherheit dient, dann gibt es eben keine Informationen | |
| vom Wachschutzmann. 24 Stunden am Tag sei dieser im Einsatz, gibt dieser | |
| immerhin – inoffiziell sozusagen – noch an und fügt hinzu: „Es ist schon | |
| alles viel besser geworden, seit wir hier sind.“ | |
| 6 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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