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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Lumpen-Oscar
> Begehrte Filmpreise: Am Sonntag fanden die Paralympics von Hollywood
> statt. Es wurden die Rag and Bone Awards vergeben.
Bild: Die Verletzungen, die Grizzly Bruno Leonardo DiCaprio in „The Revenant�…
Was den Olympischen Spielen die Paralympics sind, ist dem Oscar der Rag and
Bone Award, der Lumpen-Oscar. Auch er wird von der Academy of Motion
Picture Arts and Sciences in Los Angeles vergeben, allerdings sieben Tage
später als das umjubelte Hauptevent. Von der Weltöffentlichkeit meist
unbemerkt, werden auf der bescheidenen Party die wahren Helden der Branche
geehrt.
Genau eine Woche nach den „großen“ Oscars feiern sie in der ehemaligen
Kantine eines stillgelegten Güterbahnhofs in Hollywood-Nord. Am gestrigen
Sonntag war es wieder so weit. Wie alle zehn Jahre wurde der Lumpen-Oscar
an Crew-Mitglieder vergeben, die sonst im Schatten der Stars stehen. Ob
Third Grip Assistant, Best Girl, Driver, Foodstylist, Dish Washer, Hurt
Locker, Fluffer oder andere: Gestern war ihr großer Tag.
Es gibt Würstchen mit Kartoffelsalat, Erdnussflips und Dosenbier.
Vorbildlich erweisen die Größen des Geschäfts den tapferen, kleinen
Helfern, ohne die sie selber nichts wären, ihre Reverenz. „Screw the crew“,
grüßt Jack Nicholson launig per Videobotschaft, Martin Scorcese hat einen
Satz Pappteller und Plastikgabeln gestiftet, Cate Blanchett ein Glas
Rollmöpse mit kaum abgelaufenem Verfallsdatum.
## Ein greiser Moderator
Dann wird es spannend. Für den wichtigsten Award zieht der greise Moderator
aus einem gebrauchten Briefumschlag (Spende von Brad Pitt) den Namen des
besten Statisten: Es ist Lenny Howman, der im abschließenden Teil der
„Hobbit“-Trilogie (2014) als einer von tausend Bogenschützen versehentlich
den Zwergenkönig Drumpf erschießt und so einen komplett veränderten Plot
erzwingt. Das ist vor ihm noch keinem anderen Komparsen gelungen. Beifall
brandet auf, als Howman auf der aus Paletten improvisierten Bühne die
Trophäe entgegennimmt, eine überfahrene Ratte aus Weißblech.
Erneut keinen Gewinner gibt es hingegen bei den Blockern, die am Set die
Straße sperren und die Autos der Anlieger abschleppen lassen. Denn als für
alle Zeiten unschlagbar gilt nach wie vor der Reichsfilmgauabsperrwart
Horst Klötken, der für den unvollendeten deutschen Propagandafilm „Das
Leben geht weiter“ (1944) die Dreharbeiten unter Einsatz seines Lebens
gegen Störungen durch Fliegerangriffe verteidigte.
Dafür macht in der Kategorie des besten Tiercoachs ein aktueller Film das
Rennen. Grizzlybärentrainerin Mirinda Velasquez gelang in „The Revenant“
(2015) das Kunststück, ihren Schützling Bruno darauf abzurichten, Leonardo
DiCaprio exakt so schwere Verletzungen zuzufügen, dass die Wunden zwar
entsetzlich aussehen, doch der Mime noch so eben überlebt. Nicht zuletzt
diese Szene brachte DiCaprio nun endlich den lang ersehnten Oscar als
bester Hauptdarsteller ein. Eine Pfote wäscht die andere.
## Sieg des Körperdoubles
Wenig überrascht auch der Sieg des Körperdoubles Rob McKinsey, der in
„Shame“ (2011) Michael Fassbenders Filmcharacter Brandon den Penis lieh und
damit nach allgemeiner Kritikermeinung wesentlich zum Erfolg des Films
beitrug: Mit der „Minimöhre“ (Cinema) des Hauptdarstellers hätte man das
Publikum im Leben nicht bekommen.
Die Geheimfavoritin Mandy R. Meyer zog den Kürzeren. Ihr famoser Vulvastunt
in „The Iron Lady“ (2011) hatte Meryl Streep als Margaret Thatcher bei
ihrem Wimbledoner Umkleide-Quickie mit dem blutjungen Boris Becker
(gespielt von Ben Becker) ein Denkmal der Sinnlichkeit gesetzt. Nach einem
Rechtsstreit mit den Thatcher-Erben wurde die Szene jedoch gestrichen.
Gerade für die fleißigen Bienchen hinter den Kulissen ist die Erfahrung,
dass mit einem einzigen Schnitt Monate aufopferungsvoller Arbeit vernichtet
werden, leidvoller Alltag.
## Die Untersten der Unteren
Die Spannung in der Baracke sinkt analog zur Bedeutung der Preisträger –
das ist leider auch nicht anders als bei den Großen. Denn selbst unter den
Parias gibt es nochmals Unterprivilegierte. Der Low Sub, der den
Kabelträgern unterm Lauf die Schuhe bindet, damit sie nicht stolpern; der
Wiper, der den Diven nach erfolgtem Stuhlgang den Hintern abwischt; der
Worst Boy, an dem sich Regisseur und Kameramann mit Ohrfeigen abreagieren;
die Licht-, Ton- und Schattendoubles.
Als der beste Peeler, der im Catering-Mobil die Zwiebeln schält, den Preis
entgegennimmt, will schon keiner mehr wissen, wie er heißt. Wo die Namen
der anderen immerhin noch im Affenzahn übers letzte Ende des Abspanns
huschen, während im Kinosaal längst das Putzlicht strahlt, wird der Peeler
nicht mal eine Todesmeldung in den amtlichen Bekanntmachungen seines
Heimatdorfs bekommen.
7 Mar 2016
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Oscars
Hollywood
Sexualität
Schwerpunkt Landtagswahlen
Väter
Weihnachten
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