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# taz.de -- Kommentar Flüchtlingsevakuierung: Luftbrücke nach Tempelhof
> Österreichs Kanzler fordert Merkel auf, die Flüchtlinge, die in
> Griechenland festsitzen, direkt nach Deutschland zu holen. Ja mei, warum
> denn nicht?
Bild: 1948 bejubelten die BerlinerInnen die Rosinenbomber. Findet eine neue Luf…
Klasse Idee, Herr Faymann! Das hat sich der nette österreichische Kanzler
wirklich fein ausgedacht, um seiner deutschen Exfreundin Angela Merkel mal
so richtig hinterhältig eine mitzugeben. Wenn Deutschland wirklich weiter
keine Grenzschließungen und keine Flüchtlingsobergrenze wolle, dann, so hat
es der Herr mit der täglichen Obergrenze 80 vorgeschlagen, ja dann könne
Deutschland doch die Flüchtlinge, die momentan in Griechenland festsitzen,
einfach direkt nach Deutschland holen.
Sicher nicht gut gemeint, aber gut gemacht: Denn nun ist der Vorschlag in
der Luft – und, wer weiß, vielleicht sind es bald auch deutsche Flugzeuge,
die einigen Flüchtlingen den Weg über den Balkan inklusive Niederösterreich
und Niedertracht ersparen könnten. Auf jeden Fall erzwingt die vergiftete
Idee aus Wien erste Überlegungen in Deutschland. Eine Luftbrücke? Uups!
Oder um es österreichisch auszudrücken: Ja, mei, Freunderl, warum denn
eigentlich nicht?
Die Voraussetzungen sind speziell in Berlin nachgerade ideal. Die Stadt hat
erstens genug Erfahrung mit humanitären Luftbrücken, zweitens immer noch
genug humanitären Aufnahmewillen und drittens dank eines besonders
weitsichtigen Volksentscheids ein immer noch freies Tempelhofer Feld, auf
dem notfalls auch noch ein paar Flieger landen könnten. In den alten
Hitler-Hangars sollen ohnehin tausende Flüchtlinge untergebracht werden.
Zumindest übergangsweise, wie es heißt. Nicht schön, gewiss, aber immer
noch besser als die „Übernachtungsmöglichkeiten in Griechenland“, die
unsere „Kanzlerin der Herzen“ den dort gestrandeten Menschen gerade
wärmstens empfohlen hat.
Das Einzige, was jetzt noch gegen eine Luftbrücke spricht, ist die
vertrackte Realpolitik. Natürlich wäre es quasi politischer Selbstmord,
wenn Merkel direkt vor den drei wichtigsten Landtagswahlen ihrer Laufbahn
freiwillig die Lufthansa nach Athen schicken würde, um noch mehr
Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen, statt deren Zahl „spürbar zu
reduzieren“, wie sie es bei ihren von links bis rechts bejubelten
Auftritten auf dem CDU-Parteitag im Dezember und bei Anne Will am Sonntag
hoch offiziell versprochen hat.
Auch europapolitisch betrachtet, wäre eine deutsche Evakuierungsaktion
direkt vor dem EU-Gipfel am Montag nicht unbedingt genial zu nennen. Würde
sie doch erneut das Signal an die anderen EU-Kollegen senden: Ihr braucht
euch nicht um die Flüchtlinge zu kümmern, ihr könnt weiter ganz entspannt
euren Pastis respektive Whiskey respektive Wodka trinken und zuschauen,
denn wir schaffen das schon.
## Ein frommer Wunsch
Der Versuch, mit gutem Beispiel voranzugehen und darauf zu hoffen, dass die
anderen Europäer mitziehen, darf als gescheitert gelten. Merkel selbst
äußerte deshalb die neue Hoffnung, dass die Bilder der Flüchtlinge, die
verzweifelt am mazedonischen Grenzzaun rütteln und im Schlamm campieren,
endlich, endlich auch andere Europäer zum menschlichen Handeln bringen. Ein
frommer Wunsch, der aber garantiert nicht in Erfüllung geht, wenn
Deutschland den anderen sofort im Alleingang die Arbeit abnimmt – und damit
wahrscheinlich auch viele Wähler in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz entsetzt.
Schlauer wäre es wohl, die Gunst der Ruhe an den deutschen Grenzen zu
nutzen, um die AfD bei den Landtagswahlen möglichst klein zu halten,
vielleicht sogar zwei CDU-Siege einzufahren – und erst dann mit Luftbrücken
zu beginnen. Als frisch gestärkte Kanzlerin hätte Merkel dann auch mehr
Autorität, um die anderen dazu zu bewegen, wenigstens ein paar Flieger auch
nach Frankreich oder Finnland zu organisieren. Vielleicht sogar nach Polen.
Wenn’s sein muss, dorthin auch nur Christen. Besser als nix.
Schon früher eine Luftbrücke einzurichten, weil es die Not der Menschen in
Griechenland eigentlich erzwingt, wäre nach allen bisher geltenden Regeln
der Machtpolitik verrückt. Aber nicht unmöglich. Denn darum hat sich Merkel
im Sommer auch nicht geschert. Bleibt nur ein kaum lösbares Problem: dass
die Volksbewegung für ein freies Tempelhofer Feld ihren Widerstand gegen
eine sinnvolle Nutzung der öden Brachfläche aufgibt.
2 Mar 2016
## AUTOREN
Lukas Wallraff
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Werner Faymann
Luftbrücke
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