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# taz.de -- Afghanische Flüchtlinge in Griechenland: Mit dem Bus zurück zum V…
> Auf der Balkanroute ist von Griechenland aus praktisch kein Durchkommen
> mehr. Was tun Flüchtlinge nun, vor allem afghanische?
Bild: Eine Afghanin in Athen: Laut UNHCR werden 71 Prozent der Flüchtlinge in …
„Athen taz | Eigentlich will ich nur nach Hause“, sagt Tamim Fetrat Dost.
Der junge Mann steht auf dem Victoriaplatz im Zentrum Athens, hat seinen
hellbraunen Rucksack neben sich auf dem Boden abgestellt. „Nach Hause nach
Kabul“, betont Dost. Dorthin, wo seine Eltern, Geschwister und Freunde
sind. Doch das geht nicht. Der 24-jährige Afghane bekam vor knapp zwei
Monaten Besuch von Talibankämpfern.
Der Mann mit den leicht krausen Haaren, in Kapuzenjacke, Jeans und
Turnschuhen, hält kurz inne, schaut zu Boden. Er sei Englischlehrer und
habe an einer Sprachschule in Kabul unterrichtet, berichtet er. Englisch,
das sei schon ein Grund für die Taliban gewesen, ihn als Kollaborateur zu
betrachten. Nein, erwartet habe er das nicht. „Sie gaben mir ein Schreiben,
in dem steht, dass ich ausreisen muss“, sagt Dost. „Wenn ich bliebe, würden
sie mich töten, sagten sie mir.“ Und so musste Dost sein bisheriges Leben
in Kabul zurücklassen.
Seit Anfang des Jahres kamen mehr als 100.000 Flüchtlinge über Griechenland
nach Europa. Flüchtlinge aus Afghanistan dürfen seit Ende letzter Woche
nicht mehr über die griechisch-mazedonische Grenze nach Nordeuropa. Sie
sitzen in Griechenland fest, viele in Athen.
Zahlreiche Menschen sitzen auf den Bänken des Victoriaplatzes.
NGO-MitarbeiterInnen verteilen Kaffee und Obst. Auf den Grünflächen, aber
auch auf dem kalten Steinboden haben sich Flüchtlinge auf Decken
niedergelassen. Die meisten kommen aus Afghanistan. Sie werden jetzt nicht
mehr nach und nach mit Bussen an die Grenze zu Mazedonien gebracht, um die
Balkanroute gen Nordeuropa fortzusetzen. Denn sie gelten nicht als
Kriegsflüchtlinge.
## Grenzgebiet komplett abgeriegelt
Nur mit einem Rucksack bepackt, machte sich Dost vor gut einem Monat auf
den Weg nach Europa. Die Flucht über den Iran in die Türkei und von dort
über das Meer auf die griechische Insel Lesbos kostete 4.000 Euro. Das Geld
habe ihm sein Vater gegeben, ansonsten hätte er die Summe nicht
zusammenbekommen. Mit der Fähre sei er von Lesbos nach Athen gekommen, dann
mit dem Bus bis an die Grenze zu Mazedonien gefahren. „Und plötzlich –
alles dicht.“ Dost zuckt mit den Schultern, steht dann unbeweglich da. „Das
ist doch nicht gerecht!“, sagt Dost energisch. „Wir sind doch auch
Flüchtlinge. Unser Leben ist genauso in Gefahr!“
Er und weitere Männer aus Afghanistan haben dann versucht, den Bahnübergang
von Idomeni nach Gevgelija zu stürmen, um doch noch nach Mazedonien zu
gelangen. Daraufhin wurde das Grenzgebiet an dieser Stelle durch die
mazedonischen Behörden komplett abgeriegelt. Dost wurde mit anderen
Flüchtlingen aus Afghanistan in einem Bus wieder zurück nach Athen
gebracht. „Wir wurden dann einfach hier auf dem Victoriaplatz ausgesetzt“,
so Dost bitter. Niemand von ihnen habe genau gewusst, wo man sich befinde,
keine Informationen, keine Hilfe.
Vakil Rhamani steht an eines der Eisengitter gelehnt, das die Grünflächen
umgibt. Er ist ebenfalls heute morgen hier angekommen – vom Hafen Piräus
aus wurde er mit einem Bus ins Athener Zentrum gebracht. Von welcher Insel
genau er kam, weiß er nicht. Europa jedenfalls – das reiche ihm. Der junge
Mann in Lederjacke, Ringelpulli und schwarz umrandeter Brille kommt auch
aus Afghanistan. „Meine beiden Brüder haben es schon vor einigen Wochen bis
nach Deutschland, nach Mannheim geschafft“, berichtet er.
Rhamani seufzt, hält kurz inne. Er selbst habe noch zwei Monate bis zu
seinem Abschluss in Ingenieurwissenschaften vor sich gehabt. „Ich wollte
unbedingt meinen Abschluss machen“, sagt der Mann. Das Dokument habe er
fotografiert und trage es im Smartphone bei sich. Damit er etwas vorweisen
kann – er wolle doch arbeiten! Und jetzt das. Ausgerechnet jetzt, wo er in
Griechenland ankomme, seien die Grenzen dicht.
## „Wir sind keine Terroristen“
Rhamani hat große Sehnsucht nach seinen Brüdern, sagt er leise. In
Afghanistan sei das Leben unmöglich. „Du weißt nie, ob du wieder nach Hause
kommst, wenn du das Haus verlässt“. Er wolle endlich in Freiheit leben. Die
Europäer sollten nicht solche Angst vor den Flüchtlingen haben, lacht er.
„Wir sind ganz normale Menschen, keine Terroristen!“ Illegal wolle er nicht
weiterreisen. Das könne er sich nicht leisten. Das Geld habe gerade so bis
hierher gereicht.
Am Rande des Victoriaplatzes sitzt Fatma mit ihrer Familie auf einer Decke.
Die 22-Jährige möchte ihren richtigen Namen lieber nicht nennen. Ja, das
Leben in Afghanistan sei grausam, sagt sie. Unter den Taliban sei es ihr
verboten gewesen, zur Schule zu gehen. „Man hat dort keinerlei Rechte, lebt
ständig in Angst“, berichtet die quirlige junge Frau in brauner Lederjacke,
dunkelgrüner Jeans und gelbem Poloshirt. Sie und ihre Familie seien dann
nach Pakistan gezogen, erzählt sie weiter. Doch dort gehörten sie ebenfalls
zur schiitischen Minderheit und wurden wieder diskriminiert.
Fatma schiebt sich ihre hellbraune Wollmütze aus der Stirn. „Aber ich
konnte Englischunterricht nehmen“, sagt sie und strahlt wieder über das
ganze Gesicht. Ihre Eltern legten großen Wert auf Bildung und haben immer
versucht, ihr das auch zu vermitteln. Doch in diesen Ländern sei das Leben
generell sehr schwer, seufzt Fatma. Deshalb haben sie sich alle auf den Weg
nach Europa gemacht. Dass die Grenzen nun für afghanische Flüchtlinge dicht
sind, ist ein harter Schlag. Keiner hier wisse genau, was man nun tun soll.
„Ich gebe die Hoffnung nicht auf“, sagt Fatma und scheint sich selbst Mut
zuzusprechen. „Ich möchte Pilotin werden, möchte lernen dürfen“, so die
junge Frau. In welches Land sie komme, sei ihr und ihrer Familie egal.
Hauptsache, man könne in Freiheit leben.
Doch die Flüchtlinge ohne Passiererlaubnis müssen bis auf Weiteres in
Griechenland ausharren. Die Auffanglager Griechenlands sind jetzt schon
überfüllt. Und der Strom der Flüchtlinge reißt nicht ab. Täglich kommen
weitere Schiffe mit Tausenden Flüchtlingen in Piräus an. Die griechische
Regierung will deshalb nun weniger Flüchtlinge aufs Festland schaffen, sie
lieber auf den Inseln einquartieren, etwa auf gecharterten Fähren.
Durch die Grenzschließung Mazedoniens stecken nach Schätzungen der
griechischen Behörden inzwischen etwa 20.000 Flüchtlinge in Griechenland
fest. Zusätzlich warten am Grenzort Idomeni mehr als 4.000 Migranten auf
eine Gelegenheit, über Mazedonien in Richtung Norden weitergelassen zu
werden. Unterdessen streitet sich die Europäische Union über die Verteilung
der Flüchtlinge auf die Mitgliedsstaaten. „Wir glauben an das, was die EU
vereinbart hat und wozu sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet haben. Und
darauf beharren wir“, so der Minister für Migrationsangelegenheiten,
Ioannis Mouzalas. Griechenland dürfe nicht zum Lagerhaus für Flüchtlinge
werden.
Dem stimmt auch Katerina Kitidi zu, Sprecherin der UN-Hilfsorganisation
UNHCR in Athen. Außerdem solle genauer auf die Hintergründe der Flüchtenden
geschaut werden. „Eine Studie von UNHCR zeigt, dass 71 Prozent der
afghanischen Flüchtlinge wegen Verfolgung ihr Land verlassen mussten“, so
Kitidi. Diese Flüchtlinge „sollten unbedingt dieselben Rechte“ wie die
syrischen und irakischen Flüchtlinge haben. Die derzeitige Politik treibe
die Menschen in die Hände von Schlepper und bringe sie dadurch weiter in
Gefahr.
26 Feb 2016
## AUTOREN
Theodora Mavropoulos
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Griechenland
Balkanroute
Mazedonien
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