# taz.de -- Wahrscheinlichkeits-Kunst: Die Welt, wie sie sein könnte | |
> Die Figuren und Landschaften des dänischen Malers Christoffer Wilhelm | |
> Eckersberg, derzeit in Hamburg zu sehen, changieren gekonnt zwischen | |
> Ideal und Realität. | |
Bild: Wie realistisch ist der Ausblick? 1815 malte Christoffer Wilhelm Eckersbe… | |
HAMBURG taz | Huch, wo ist denn das Kolosseum geblieben? Ach so, man steht | |
ja drin und schaut auf die Dächer von Rom. Denn das Große ist klein und das | |
Kleine groß geworden, die Perspektive um 180 Grad gedreht auf diesem | |
Gemälde. Und das mit Bedacht: Der derzeit in Hamburgs Kunsthalle | |
präsentierte dänische Maler Christoffer Wilhelm Eckersberg wusste, dass man | |
besser malt, wenn man nicht das bekannte Klischee darstellt, sondern | |
scheinbar Nebensächliches. Nur dann wird man malen, was man sieht: weil es | |
kein blind abrufbares Bild gibt, sondern ungewohnte, mühsam zu ergründende | |
Details. | |
Immer wieder hat der 1853 verstorbene Eckersberg, der Mitbegründer des | |
dänischen „Goldenen Zeitalters“ war, seine Schüler ermutigt, erstens | |
endlich draußen zu malen und zweitens jeden Baum und Strauch der dänischen | |
Landschaft. | |
Damit hat er nicht nur den damals in ganz Nordeuropa erstarkenden | |
Nationalismus bedient, sondern auch das Unspektakuläre malwürdig gemacht. | |
Dabei war Eckersberg gar kein expliziter Sozialreformer oder Demokrat. Nur | |
eben einer, der frenetisch realistisch war, der Licht und Perspektive | |
minutiös erfassen wollte. Und so einer kann sich nicht damit aufhalten, | |
zwischen Diener und König zu unterscheiden. Er ist Naturwissenschaftler und | |
beschreibt, was ist. | |
Allerdings war genau das die kleine Revolution, die Eckersberg nach seinen | |
Rom-Studien als Professor an die Kopenhagener Akademie brachte. Denn auch | |
gesellschaftlich drängte damals die zweite Reihe nach vorn: Das Bürgertum | |
erstarkte, wurde selbstbewusster und wollte – wie der König – standesgemä… | |
porträtiert werden. | |
Eckersberg profitierte davon, malte Kaufleute, Akademielehrer und | |
Künstlerkollegen. Wichtigster Auftraggeber war der jüdische Kaufmann Mendel | |
Levin Nathanson, ein aufstrebender Bürger und liberaler, assimilierter | |
Reformjude. Doch wie im Rest Europas gab es auch im toleranten Dänemark | |
1819 – die Industrielle Revolution boomte, die Armut wuchs – gewalttätige | |
antisemitische Aufstände, die „Hep-Hep-Unruhen.“ | |
Nathanson ließ sich also vorsorglich als erfolgreicher, ehrbarer Kaufmann | |
porträtieren, der sich in sein christliches Umfeld integriert hatte. In | |
Hamburg hängt derzeit das monumentale Bild der Familie Nathanson; die | |
Eltern kehren gerade vom Besuch beim König zurück. Wo das Gemälde einst | |
hing, ist nicht ganz klar. Dass es der Repräsentation diente, dagegen | |
schon. | |
Andererseits leugnete Nathanson seine jüdischen Wurzeln nicht und bestellte | |
bei Eckersberg eine riesige „Rast der Israeliten nach dem Durchzug durch | |
das Rote Meer“, das frappierend gut zur aktuellen Situation passt: Den | |
Schergen des Pharao entronnen, steigen die letzten aus Ägypten geflohenen | |
Juden aus dem Wasser und ruhen sich am Ufer aus. | |
Auf einem Fels stehen ihre Anführer Aron und Moses mit Stab, der eine | |
letzte Verwünschung zu den Verfolgern herüberwinkt. Doch abgesehen davon | |
ist das Bild bodenständig und schafft elegant den Link zwischen | |
Protestantismus und Reformjudentum. Denn beide Fraktionen schätzten die | |
alten mystischen Erzählungen von übernatürlichen Rauchsäulen während dieser | |
Flucht nicht, und in Eckersbergs Szene kommen sie auch nicht vor. | |
Trotzdem – im Vergleich zu Eckersbergs Porträts ist dieses Bild immer noch | |
sehr pathetisch. Denn wenn Eckersberg die Familie Nathanson oder den | |
Kaufmann Schmidt am Schreibtisch malt, gestikuliert und lächelt da keiner. | |
Auch Schmidts Frau samt Strickzeug wurde wie Staffage auf das Sofa gesetzt, | |
als solle sie für immer eingefroren werden. Dabei ist – wie auf | |
niederländischen Porträts des 15. Jahrhunderts – jede Rüsche, jede Falte | |
samt Schatten eingezeichnet, mit fotografisch exaktem Blick. Trotzdem: | |
Prall lebendig wirken auch die schönen, maskenhaften Nathanson-Schwestern | |
nicht. | |
Und das ist das Irritierende an Eckersbergs Bildern: So realistisch sie auf | |
den ersten Blick scheinen, so künstlich wirken sie auf den zweiten. Die | |
Landschaften sind perfekt durchkomponiert, die römischen Dächer allzu | |
akkurat mittig zwischen die Kolosseums-Torbögen gesetzt, die Menschen | |
idealtypisch gezeichnet. Das entspricht den Prinzipien des Klassizismus, | |
der zwar nicht die Dramatik des vorangegangenen Barocks, wohl aber eine | |
Portion Idealisierung wollte. So kommt es, dass die meisten Porträtierten | |
wie Abziehbilder wirken, als Visitenkarte, nicht als private | |
Charakterstudie gedacht. | |
Einzige, sehr anrührende Ausnahme in der Hamburger Schau ist das Porträt | |
von Eckersbergs zweiter Frau Julie: Sie schaut zärtlich zum Betrachter, ihr | |
Gesicht ist leicht gerötet, die Haut umspielen Licht und Schatten, und sie | |
darf sogar lächeln. Alles andere ist Objektivität, fast griechisch-antike | |
Strenge, akkurates Ausmessen, auch bei den Aktbildern – wobei es Eckersberg | |
war, der auch weibliche Modelle in Dänemark durchsetzte. | |
Die Erotik dieser Bilder äußert sich aber sehr subtil: im malerischen | |
Modellieren von Licht und Schatten auf der Haut. Aber sie bleibt an der | |
Oberfläche, Details halten sich in Grenzen, nicht jede Falte wird gemalt. | |
Denn Eckersberg, ausgebildet beim französischen Klassizisten Jacques-Louis | |
David, interessierte sich für die Idee hinter der Form; das Individuelle | |
stand fürs Allgemeine. Und vielleicht ist es genau so: Jede individuelle | |
Form – sei es Gebäude, Landschaft oder Körper – ist eher zufälliges | |
Studienobjekt für Eckersbergs Suche nach dem Prototyp. | |
Damit der ansehnlich daherkommt, darf auch geschummelt werden, der Baum von | |
links nach rechts, das Schiff gerade statt schräg hingesetzt. Denn auch das | |
ist Teil der klassizistischen Wahrscheinlichkeitsrechnung: die Welt | |
darzustellen, wie sie ist, einerseits. Wie sie sein könnte, andererseits. | |
Der Unterschied ist marginal. | |
24 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
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Kunst | |
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