# taz.de -- Aus Fernsehen wird Theater: „Borgen“: Der Eros der Politik | |
> In Berlin inszeniert Nicolas Stemann „Borgen“: Der Fernsehstoff ist ein | |
> „gefundenes Fressen“ für die glänzende Schauspielriege. | |
Bild: Die Schauspieler Sebastian Rudolph und Stefanie Eidt mit den Requisiten f… | |
Es geht um die Glaubwürdigkeit von Politik. Kann sie mehr sein als eine | |
Inszenierung, geschrieben von Autoren, die gerade ihr eigener Erfolg zu | |
Zynikern macht? Diese Frage stellt sich in „Borgen“ vor allem der | |
Hauptfigur, der grünen und moderaten Politikerin Brigitte Nyborg, die | |
gleich am Anfang der dreißigteiligen dänischen Fernsehserie zur | |
Ministerpräsidentin aufsteigt. | |
„Kann man politisch erfolgreich sein und trotzdem man selbst bleiben“, ist | |
ihre erste, vor dem Spiegel in der Maske eines Fernsehstudios gemurmelte | |
Frage. So erzählt es zumindest auf der Theaterbühne der Schauspieler | |
Sebastian Rudolph, der in den kommenden dreieinhalb Stunden sowohl Brigitte | |
Nyborgs Ehemann als auch die meisten ihrer politischen Gegner markieren | |
wird. | |
Gleich in Folge 1, resümiert Rudolph, gelingt ihr ein Auftritt, bei dem sie | |
durch die Abweichung vom Skript, von den vereinbarten Fragen an | |
Authentizität zurückgewinnt. Es geht um Flüchtlinge; sich für deren | |
Aufnahme auszusprechen entsprach nicht der Strategie ihres Beraters. Und | |
für einen winzigen Moment hat sie das abgekartete Spiel durchstoßen. | |
Schauspieler sind Experten der Inszenierung, der Repräsentation und auch | |
des Moments, in dem die Maske durchstoßen wird. Mit dieser Kompetenz | |
ausgestattet lässt sie der Theaterregisseur Nicolas Stemann an der Berliner | |
Schaubühne „Borgen“ nacherzählen, die ersten drei Folgen in rasanter | |
Montage, nach der Pause einzelne Episoden; etwa, wie Nyborg in einem | |
afrikanischen Land einen Bürgerkrieg befriedet, aber nur um den Preis, | |
dabei Dreck unter den eigenen Teppich zu kehren. Oder wie sie die korrupten | |
Machenschaften hinter dem Kauf eines Kampffliegers aufdeckt, und dabei aus | |
lobbyistenkritischer Prinzipientreue ihrem Ehemann jegliche Position in der | |
Industrie verbietet. | |
Was dabei vor allem passiert, ist ein genüssliches Ausbreiten der | |
Serien-Dramaturgie, ein Blick in den Werkzeugkasten, dessen Elemente die | |
Bühnenschauspieler voller Freude über dieses wirklich „gefundene Fressen“ | |
glücklich in den Händen drehen. Denn Politik wird hier durchlitten, von | |
echten Subjekten, weil jeder politische Konflikt, jede moralische Frage, | |
sofort ein Echo findet in den privaten und persönlichen Konstellationen. | |
## Kalte Leerstelle heiß gefüllt | |
Dafür hat Adam Price, der Drehbuchautor der Serie, gesorgt. Möglicherweise | |
hat das, neben ihren Spannungselementen, zum Erfolg von „Borgen“ unter den | |
Fernsehzuschauern beigetragen: dass an die kalte Leerstelle der Kluft, die | |
politische Repräsentanten von den von ihnen Repräsentierten trennt, hier | |
die intimen und auch sinnlich aufgeladenen Dramen gesetzt werden, die sich | |
zwischen der Ministerpräsidentin und ihrem Mann oder zwischen der | |
idealistischen Journalistin Katrine und dem politischen Skriptschreiber | |
Kaspar ereignen. Solch ein Eros der Politik tritt in der Realität sonst nur | |
als Skandalon zutage, nicht aber als ihr alltäglicher Spannungszustand. | |
„Borgen“ auf der Bühne ist ein Schauspielerfest mit vier Stars und einer | |
Reihe Statisten, die auch als Musiker und Techniker agieren. Stephanie | |
Eidt, Sebastian Rudolph, Tilman Strauß und Regine Zimmermann sind Erzähler | |
und Darsteller in einem, switchen zwischen dramatischem und | |
postdramatischem Gestus und zwischen den Rollen sowieso. | |
## Ein Skript für Merkel | |
Das bekommt einen ganz eigenen Drive auf der Bühne, wenn der Text des als | |
windigen Strippenziehers angelegten Spindoktors, von Tilman Strauß | |
gespielt, nahtlos an den Text des achtjähriges Sohnes von Brigitte | |
anschließt, immer noch von Strauß gespielt, jetzt aber mit halb zugeklebter | |
Brille. Nicht nur, weil sich die Inszenierung von Politik und die Kritik an | |
ihrer Glaubwürdigkeit damit des gleichen Sprechers, sondern auch | |
kompatibler Argumente bedienen. Sie schöpfen aus den gleichen Quellen der | |
Erkenntnis. | |
Eine andere Verblüffung, die „Borgen“ auf der Bühne bereithält, ist, dass | |
die Inszenierung nahelegt, dass die 2010 bis 2013 erstmals in Dänemark | |
ausgestrahlte Serie in der Frage der Flüchtlingspolitik so etwas wie die | |
Vorlage für die Haltungen und Ansagen von Angela Merkel oder von deutschen | |
Wirtschaftsbossen gewesen sein könnte. Ist das jetzt eine unheimliche | |
Erkenntnis, dass eine dänische Fernsehserie als Blaupause für deutsche | |
Politik gedient hat? Ein heißes Argument dafür, dass die virtuelle Realität | |
dabei ist, sich der realen zu bemächtigen? | |
Wohl eher nicht; wohl eher eine Bestätigung für das Wahrnehmen in Mustern, | |
das Erkennen in Wiederholungen. | |
„Borgen“ auf der Bühne ist gut getimt im Wechsel zwischen schnellem | |
Vorspulen und Detaileinstellung, und es erschien mir, die ich „Borgen“ im | |
Fernsehen allerdings kaum gesehen habe, ein spannender Theaterabend; Fans | |
und Kenner der Serie mögen da anders urteilen. Vorwerfen kann man der | |
Inszenierung, etwas zu selbstverliebt mit dem Blick hinter die Kulissen zu | |
spielen. Und als bleibende Erkenntnis mitnehmen, dass sich Idealismus und | |
Inszenierung nicht ausschließen. | |
16 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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Borgen | |
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