# taz.de -- Pro & Contra Varoufakis’ neue Bewegung: Kann Gianis Varoufakis Eu… | |
> Der griechische Ex-Finanzminister präsentiert ein neues Bündnis für mehr | |
> Demokratie. Kann er Europas Zerfall stoppen? | |
Bild: Warnt vor Nationalismus und neuen Mauern in Europa: Gianis Varoufakis am … | |
Ja | |
Jetzt warnen sie wieder: Vor dem Mopedminister, dem Penthousepolitiker, dem | |
Giergriechen Gianis Varoufakis. Das ist der Typ, der am Dienstag in Berlin | |
eine europaweite Bewegung ausgerufen hat und dafür 12 Euro Eintritt | |
verlangte. Es ist ein Kinderspiel, die Attacken gegen Varoufakis so zu | |
untermalen. Es ist aber auch äußerst billig. Fakt ist: Varoufakis füllt mit | |
seinem Vorstoß eine Leerstelle, die die europäische Sozialdemokratie | |
hinterlassen hat. Dafür sollten wir ihm danken. | |
Denn wenn es diesem Europa an einem mangelt, dann an einer linken – und das | |
heißt konkret: an einer sozialen, humanistischen und demokratischen – | |
Vision. Es sind doch in Wirklichkeit diese Linken, die inzwischen zum Kitt | |
der europäischen Idee geworden sind. Sie betreiben in Griechenland die | |
Volksapotheken und sie schmieren in deutschen Flüchtlingsheimen die | |
Butterstullen für Geflohene. Sie sind es, die den europäischen Laden am | |
Laufen halten. Aus einstigen Staatszersetzern sind längst die Staatenretter | |
geworden. | |
Eines aber fehlt diesen Helden des Alltags: eine große Erzählung, die ihnen | |
gerecht wird. Und die bestehen kann gegen den Versuch von Europas | |
Repräsentanten, den Kontinent wieder in Nationen aufzuteilen und die | |
europäische Idee mit Mauern zu verteidigen. Varoufakis bietet diese | |
Erzählung und eine Vision. | |
Er setzt dabei auf eine banale Prämisse: dass sich die europäische Linke | |
niemals gegen, sondern immer nur für Europa entscheiden darf. Wer | |
Politikern wie Sigmar Gabriel, aber auch Sahra Wagenknecht oder Oskar | |
Lafontaine zuhört, weiß, dass dies unter Europas Linken keineswegs | |
selbstverständlich ist. Und so ist es gut, dass Varoufakis diesen, ja: | |
großspurigen, Anlauf wagt. | |
Es gab einmal einen europäischen Sozialdemokraten, der auch als Luftikus | |
und Frauenschwarm verspottet wurde. Sein Name war Willy Brandt (“Mehr | |
Demokratie wagen“). Brandt war Vorsitzender der SPD, Bundeskanzler und 16 | |
Jahre lang Präsident der Sozialistischen Internationale. Was ihn | |
auszeichnete, war, dass er sich nicht versteckte. Nach ihm gab es unter | |
Europas Sozialdemokraten keine großen Visionäre mehr, die die soziale Idee | |
derart fordernd und internationalistisch voranführten. Vision, das ist ja | |
nur noch ein Schimpfwort. | |
Nun ist Gianis Varoufakis kein neuer Willy Brandt. Aber er proklamiert laut | |
und fordernd eine Idee von Europa, die den Sozialdemokraten abhandenkam. | |
Sein Mittel ist der große Auftritt – ja und? Jetzt mal unter uns: Auch und | |
gerade Freunde des Eurovision Song Contest sollten doch Verständnis dafür | |
haben, wenn für gute Ideen auch mit popkulturellen Mitteln gekämpft wird. | |
Oder? Martin Kaul | |
Nein | |
Das Beste, was über diesen griechischen Bürger zu sagen wäre, könnte dies | |
sein: Er hat die europäische Öffentlichkeit ein knappes Jahr tüchtig in | |
Atem gehalten. Manche sahen – und sehen immer noch – in ihm einen Helden, | |
der den Moloch, die Krake namens EU mit dem Syriza-Wahlsieg in Griechenland | |
2015 endlich revolutioniert. Oder wenigstens den revolutionierenden Prozess | |
anstößt. Stattdessen hat der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (und | |
mit ihm fast alle anderen EU-Mitgliedsstaaten) ihn an die alte marxistische | |
Wahrheit erinnert: dass der Wohlstand eines Landes am Niveau der | |
Produktivkraftentwicklung hängt – nicht am moralisierenden Wehen und Klagen | |
seiner Eliten. | |
Gianis Varoufakis war und ist der Traum aller Linken, die immer noch das | |
ganz und gar Andere glauben erreichen zu können. Sie geben vor, die Welt | |
verändern zu wollen, und scheitern doch, weil sie Solidarität sagen und | |
Privilegierung in eigener Sache meinen. | |
Denn: Hatte Syriza, hatte Varoufakis ein Programm, sein Land zu | |
reformieren? Nein, der einzige Klingelton, der von diesem Mann in die | |
europäische Agora hineinplärrte, war einer, der klang wie: „Subventioniert | |
uns weiter wie bisher, sonst sind wir sauer!“ | |
Dass der einstige Finanzminister Griechenlands schließlich gehen musste, | |
damit er seinem Land keinen weiteren Schaden antun konnte – etwa mit der | |
womöglich realisierten Drohung, aus dem Euro auszuscheiden und sich dem | |
Kreml zuzuwenden –, verstand sich für Linke, die in Athen noch ganz bei | |
Trost sind, von selbst. | |
Vor allem weil die realpolitisch orientierten Linken (Orthodoxe, | |
Linksliberale, Dicke-Bretter-Bohrer, keine Operetten-Pseudo-Marlon-Brandos) | |
begriffen hatten, dass ihnen ein Mann nichts nützt, der aus | |
EU-Gremiensitzungen Seminare machen wollte – und Lehrstunden zu Leerstunden | |
machte. | |
Varoufakis will nun mit einem Manifest die EU-Wirklichkeit aus den Angeln | |
heben. Ausgerechnet in der Volksbühne, dem Berliner Epizentrum des | |
Caffe-latte-Halb-Bolschewismus. Ein Trauerspiel. Pop-Idole, die zu Wracks | |
werden, sind besonders niederschmetternd. | |
Das, was dieses Manifest sein soll, ist kein Aufbruch zu modernen Höhen, | |
sondern eine Sektenhuberei, wie sie in der bundesdeutschen Geschichte der | |
Linken wiederholt beklagt werden musste. Hinter diesen pseudopolitischen | |
Gründerzeiten mag Ohnmacht stecken oder Größenwahn: Varoufakis jedenfalls | |
wird es nicht sein, der weiter zocken darf. | |
Das europäische „Haus“ ist aufgebaut worden von Politikern, die mehr | |
konnten als Fensterreden: nicht von einem wie ihm. Jan Feddersen | |
9 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
Jan Feddersen | |
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