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# taz.de -- Kommentar NSU-Prozess: Den Mythos selbst beerdigt
> Dass Zschäpe NSU-Helfer benennt, ist der letzte Versuch, einer
> Höchststrafe zu entkommen. Rechtsextreme werden ihr das aber nicht
> vergessen.
Bild: Hoffen auf ein paar Jahre weniger im Knast: Beate Zschäpe und ihr Anwalt…
Es ist der Donnerstagnachmittag, der das Ende der rechten Szene-Ikone Beate
Zschäpe einläutet. Der Tag, an dem sich die Hauptangeklagte im Münchner
NSU-Prozess zum zweiten Mal zu Wort meldet. Und in der sie sich abwendet
von ihren einstigen Szene-Gefährten.
54 Fragen hatte Richter Manfred Götzl nach Zschäpes erster Einlassung im
Dezember gestellt. Und 54 Antworten liefert nun Zschäpe, schriftlich,
vorgetragen von ihrem Anwalt. Im Kern bleibt sie bei ihrer Unschuldsrolle:
die der verzweifelten, unterwürfigen Unbeteiligten. Die Morde und Anschläge
waren alleiniges Werk ihrer Untergrundkumpanen Uwe Mundlos und Uwe
Böhnhardt.
Sie sei für die Planung „nicht gebraucht“, von den beiden Männern oft
alleingelassen, von Böhnhardt gar geschlagen worden. Und doch habe sie es
nicht gewagt, sich zu stellen, ihren Kummer stattdessen in Sekt ertränkt.
Es ist das Bild einer tragischen Gefangenschaft, das die Angeklagte hier
kreieren will.
Nur passt es weiterhin nicht. Zeugen beschrieben Zschäpe als umtriebige
Rechtsextremistin, die sich nicht unterordnete, die Straftaten beging – und
gerade im Untergrund war sie nur noch die brave Hausfrau? Das Trio lebte
auf engstem Raum – und von den akribischen Tatvorbereitungen ihrer
Mitbewohner, von deren Bombenbau, bekam Zschäpe nichts mit?
Angeblich wollte sie sich jahrelang der Polizei stellen – aber nach dem Tod
von Mundlos und Böhnhardt zündet sie trotzdem die letzte Wohnung an und
verschickt Bekenner-DVDs? Und warum präsentiert Zschäpe ihre
Unschuldsversion erst jetzt, nach fast drei Jahren Prozess?
## Mitangeklagter André E. belastet
Auf all diese Widersprüche ging Zschäpe auch in ihrer zweiten Einlassung
kaum ein, sie haben Bestand – und machen die Aussage weitgehend zur
Makulatur.
Und dennoch gibt es einen gewichtigen Unterschied zur ersten Wortmeldung.
Denn Zschäpe eröffnet dem Gericht diesmal, was sie damals tunlichst
verschwieg: die Namen früherer Helfer aus der Szene. Es sind einstige
Kameradschaftler oder Aktivisten des inzwischen verbotenen
Blood&Honour-Netzwerks, einige bis heute in der rechten Szene aktiv.
Sie sollen dem Trio Wohnungen verschafft, ihnen Dokumente überlassen oder
Konten für sie eröffnet haben. So fanden es auch schon die Ermittler
heraus. Nun aber bestätigt es Zschäpe – und nennt noch zwei neue
Waffenlieferanten.
Mehr noch: Auch den Mitangeklagten André E. beschuldigt sie. Dieser habe
das Trio ebenso tatkräftig unterstützt, noch auf der Flucht habe er
Wechselwäsche seiner Frau überbracht. Die Attacke überrascht: Denn André E.
und seine Frau Susann gehörten zu den engsten Freunden des Trios im
Untergrund, zu den letzten Vertrauten. Die Treffen mit der Familie und
ihren zwei Söhnen hätten ihr gutgetan, sagte Zschäpe noch am Donnerstag,
auch weil sie selbst keine Kinder bekommen kann. Und dann vollzieht sie
auch hier den Bruch.
## Kodex des Schweigens
Auf die von Zschäpe Beschuldigten dürfte nun juristisches Ungemach
zukommen. In der rechten Szene wird man ihr das nicht vergessen. Dort gilt
bis heute der Kodex: Vor Gericht wird geschwiegen. Schon gar nicht werden
Kameraden verpfiffen. André E., bis heute Neonazi, trug selbst im
NSU-Gerichtssaal noch einen Pullover mit der Aufschrift „Brüder schweigen“,
bis heute verweigert er eisern die Aussage.
Viele Zeugen aus der rechten Szene mauerten im Prozess. Und nicht umsonst
kündigte der Angeklagte Ralf Wohlleben, ebenfalls weiter unter Neonazis
vernetzt, seine Einlassung als „Akt der Notwehr“ an. Mit dem eilfertigen
Verweis, seinen „Idealen“ treu zu sein.
Zschäpe nun verlässt diesen Kodex. Für sie ist es der letzte, verzweifelte
Rettungsversuch, um vielleicht doch noch einer Höchststrafe zu entkommen:
lebenslänglicher Haft, womöglich mit Sicherungsverwahrung. Wie taktisch
Zschäpe vorgeht, zeigt auch, dass sie von ihren Beschuldigungen
ausgerechnet den als wichtigsten NSU-Waffenbeschaffer angeklagten Wohlleben
verschont – der sie zuvor in seiner Aussage auffällig wohlwollend
beschrieb.
Die Taktiererei aber hat eine Konsequenz: Zschäpe versenkt ihre Ideologie
für die Hoffnung auf ein paar Jahre Freiheit. Es ist ein aus ihrer Sicht
nachvollziehbares Manöver. In der rechtsextremen Szene aber dürfte Zschäpe
nach diesem Auftritt jeden Kredit verspielt haben.
Wo sich der NSU in seiner Bekenner-Botschaft noch im Dienste der Szene sah,
als „Netzwerk von Kameraden“, bleiben für diese Szene nun nur noch zwei
tote Mörder und eine Nestbeschmutzerin“. Ohne Frage ist die Gefahr
rechtsextremer Gewalt, auch terroristischer, weiter gegeben, heute wieder
mehr denn je. Aber wenn der Prozess in München die Dekonstruktion des
Mythos NSU in der rechten Szene erreicht hat, dann ist das schon mal nicht
das Schlechteste.
22 Jan 2016
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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