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# taz.de -- Drosselung der Smartphone-Nutzung: Glück statt Glotzen
> Alle 18 Minuten greifen wir zum Smartphone – das macht uns unglücklich,
> sagt der Informatiker Alexander Markowetz. Und empfielt eine Diät.
Bild: Wir fühlen uns orientierungslos, deshalb klicken, schicken und teilen wi…
Das Kinn auf die Brust gesenkt, das Gesicht vom Display erleuchtet – das
ist die Haltung des modernen Menschen. In der Bahn, im Gespräch, im Bett:
das Smartphone ist stets mit dabei. Dass das nicht gut sein kann, hat man
schon lange im Gefühl. Jetzt hat man es auch schwarz auf weiß. In seinem
Buch „Der digitale Burnout“ zeigt der Informatiker Alexander Markowetz,
warum wir Smartphones immer wieder in die Hand nehmen und was dadurch mit
uns geschieht. Seine These: Es macht uns unglücklich und unproduktiv.
Ein ruhiger Freitagnachmittag, der 39-jährige hat sich für das Interview
ein wenig Zeit genommen – ganz im Sinne seiner These. Zwei Tassen Tee
stehen auf dem Tisch, die Handys sind weggepackt. Als Gesprächspartner ist
er konzentriert, obwohl er über das Thema schon sehr oft gesprochen hat.
Seit Markowetz vor einem Jahr die App „Menthal“ mit seiner Forschungsgruppe
programmiert und veröffentlicht hat, ist er ein gefragter Mann. Mit der
Anwendung können die Nutzer sehen, wie häufig sie ihr Smartphone und die
Programme darauf nutzen. Daraus wird ein sogenannter M-Score berechnet.
Dieser geht von 0 bis 100 und wird dem Nutzer jedes Mal gezeigt, wenn er
zum Handy greift – wie die Kilogrammanzeige einer Waage quasi. Außerdem
zeigt die App an, wie viel kommuniziert wird – egal ob per SMS, WhatsApp
oder - ganz oldschool – über Telefongespräche.
Über 300 000 Nutzer haben die App bisher installiert, deren
Nutzungsverhalten haben die Forscher nun analysiert. Das Ergebnis: Im
Schnitt nehmen wir alle 18 Minuten unser Smartphone zur Hand. Das geht auf
Kosten unserer Produktivität und unseres Glücks, sagen die Forscher.
## 53 Mal am Tag
Ja. Denn wer ständig unterbrochen werde, könne sich nicht konzentrieren und
komme nicht in den „Flow“. Damit wird in der Psychologie das Gefühl des
völligen Aufgehens in eine Tätigkeit beschrieben. Dieser Zustand ist eine
Quelle für Glück. Die Rechnung ist simpel: Smartphones, mit deren Hilfe wir
diesen Flow unterbrechen, kosten uns also durch die ständigen Ablenkungen
Glück.
Dabei funktioniert das Smartphone wie ein Suchtmittel: Einerseits klagen
viele über die ständige Erreichbarkeit und über die Überdosis an
Informationen. Aber aus der Hand legen kann man das Smartphone nicht.
„Jedes Mal, wenn wir das Handy benutzen, schüttet unser Körper Dopamin,
also Glückshormone, aus“, sagt Markowetz, „egal ob es was Neues gibt oder
nicht. Allein die Tatsache, dass es was geben könnte, lässt uns das
Smartphone in die Hand nehmen.“ Das müsse man bedenken, wenn man versuchen
will, sich vom Smartphone zu lösen. „Wenn man an einem Tag 53 Mal das Handy
entsperrt, dann sind das keine 53 aktive Entscheidungen, sondern quasi
Reflexe. Da lohnt es sich gar nicht, moralisch zu argumentieren. Das grenzt
nur aus“, erklärt Markowetz.
Jeder Einzelne müsse Tricks und Rituale finden, um seine Smartphone-Nutzung
zu drosseln. Etwa, indem man Zeiten auswählt, in denen das Gerät nicht
genutzt wird. Eine digitale Diät – kein vollkommener Verzicht, sondern
bewusster Umgang.
## Gar nicht kommunizieren
Doch darüber hinaus bräuchte es auch eine gesellschaftliche Umstellung,
betont er. Immerhin sei das ein gesellschaftliches Phänomen. Man müsse
gegenseitig Verantwortung übernehmen, fordert er. So müsse es auch möglich
sein, unwichtige Dinge gar nicht zu kommunizieren oder Zeiten festzulegen,
in denen Nachrichten und E-Mails nicht erwünscht sind – wie damals die
Mittagsruhe.
Außerdem müsse man miteinander reden. Markowetz fordert, dass eine digitale
Diät als Prestige anerkannt wird. „Wenn man damit angeben kann, wie wenig
man sein Handy benutzt, wird es sich auch durchsetzen. Das hat uns auch
beim Essen geholfen. Unsere Eitelkeit hilft uns dabei“, erklärt er. Dann
verschwindet er ins Nebenzimmer, um sich für seinen Termin umzuziehen.
Markowetz‘Ausführungen treffen offensichtlich den Nerv der Zeit. Eine Zeit,
in der wir zwar eine technische Revolution nach der anderen erleben, aber
keinen Knigge dafür in die Hand bekommen. Seine App, sein Buch und die
Tatsache, dass er jahrelang in dem Bereich geforscht hat, haben den
39-Jährigen zum viel gefragten Experten gemacht: Im letzten Jahr hat der
39-Jährige etwa 300 Interviews gegeben: vom deutschen Frühstücksfernsehen
bis zu einer katalanischen Talkshow war alles vertreten. Das Bedürfnis nach
Orientierung, nach Handlungsanweisungen scheint groß zu sein. Dabei tritt
er offenbar auch als pragmatischer Mittler auf.
„Bisher war die Diskussion, gerade in Deutschland, von Extrempositionen
geprägt“, sagt Markowetz. „Zwischen absoluter Zustimmung und absoluter
Ablehnung war nicht viel Platz.“ Dabei seien Smartphones ein Werkzeug und
so müsse auch darüber gesprochen werden.
„Keiner würde eine Talkshow zum Thema ‚Hammer. Ja oder nein?‘ machen, wa…
also über Smartphones?“ Es sollte auch beim Smartphone allein um die Frage
gehen, wie und wann man es anwenden soll, ohne darunter zu leiden. Nicht
darum, ob man es überhaupt benutzen sollte.
## Suche nach sozialer Bestätigung
Das interessiert auch Politiker. Ein Experte, der erklären soll, was die
Digitalisierung ist und was wir tun können, um deren Nachteile zu
reduzieren, scheint derzeit Mangelware zu sein.
Wie in der Industrialisierung, in der Muskelkraft automatisiert wurde,
verändere auch die Digitalisierung die Welt, so Markowetz’ These. Es gehe
um die Automatisierung der intellektuellen Arbeit, wie er eindringlich
erklärt: „Es gibt erst mal die Digitalisierung selber und daran hängen die
Seiteneffekte. Wenn man da wieder in das 19. Jahrhundert guckt, merkt man,
dass da das moderne Proletariat erschaffen wurde. An der Industrialisierung
hängen der Sozialismus und der Faschismus zusammen. Das gesamte Desaster
des 20. Jahrhunderts hat seinen Ursprung in der Industrialisierung. So was
gibt es in der Digitalisierung auch. Wir nennen das psychosoziale
Nebenprodukte.“
Ein drängendes Problem sei dabei der Wegfall von Aufmerksamkeit: Die
traditionellen Quellen dafür, wie etwa Dorfgemeinschaften, würden sich
immer weiter auflösen. Gleichzeitig konkurriere man durch die sozialen
Medien mit der ganzen Welt um Beachtung und fühle sich orientierungslos.
Man sei konstant auf der Suche nach sozialer Bestätigung jeglicher Form und
versucht es sich auf allen Wegen zu beschaffen: „Bei den Pegida-Mitläufern
fällt oft der Satz: ,Hier hört man uns endlich mal zu.‘ Es geht bei diesen
Gruppen also auch um Aufmerksamkeit und gesellschaftliche Teilhabe. Das ist
eine riesige Herausforderung von der Politik: Wie soll man eine
Gesellschaft schustern, in der jeder genügend Aufmerksamkeit bekommt?“
Genau das soll er ihnen sagen. Genauso, wie er den Journalisten erzählen
soll, wie wir mit unseren Smartphones umgehen sollen. Eine allgemeine
Lösung hat er nicht, und die gibt es auch nicht. Das müsse im Diskurs
herausgefunden werden: „Wir müssen uns erst einmal darüber im Klaren
werden, in was für eine Welt wir zukünftig leben wollen, und den Weg dahin
dementsprechend gestalten. Bisher handeln wir nur reaktiv. Wir hauen was
raus und bessern die Fehler erst aus, wenn wir merken, dass das so nicht
funktioniert. Wir brauchen ein Zielbild, und so eins aufzubauen ist die
große Herausforderung der heutigen Zeit.“
3 Jan 2016
## AUTOREN
Laila Oudray
## TAGS
Smartphone
Kommunikation
Kommunikation
Essen
künstliche Intelligenz
Handy
Journalismus
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