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# taz.de -- Ein Plädoyer für das Voice Messaging: Einfach loslabern
> Auf den ersten Blick sind WhatsApp Voice Messages eine umständliche
> Zwischenfunktion. Doch ihnen wohnt der sinnliche Zauber des Unperfekten
> inne.
Es macht bing. In der Hosentasche klimpern Schlüssel und Kleingeld im Takt
der Handvibration. Schnell wird das Smartphone gecheckt und schnell kommt
der Schock. Eine WhatsApp Voice Message.
Verdammter Mist. Wenn er genug Zeit dazu hat, solo auf sein Telefon
einzureden, warum ruft er nicht einfach an? Warum schreibt er nicht? Was
soll diese sinnfreie Dazwischenfunktion überhaupt?
Es gibt viele Skeptiker und Feinde der Sprachnachricht. Ihre Argumente
sind: Selbst mit frisch aufgeladenem Guthaben dauert es je nach
Empfangsqualität ewig, bis die Messenger-App die Audiodatei heruntergeladen
hat. Wenn man sie dann endlich abspielen kann, muss man sie sich anhören.
Manchmal mehrere Minuten lang. „Tippen geht doch viel schneller!“, ist der
häufigste Einwand, eine Textnachricht ist flink gelesen und unkompliziert
beantwortet. Und darum ging es bei diesem ganzen Social-Media-Kram doch
ursprünglich mal, oder?
Die Sprachnachricht ist nicht schnell. Sofern man keine Kopfhörer dabeihat,
kann man sie sich weder im Bus noch heimlich bei der Arbeit anhören. Sie
ist umständlich und irgendwie unangenehm. Einseitig intim. Sie ist wie ein
Anrufbeantworter. Und welcher normale Mensch spricht freiwillig und gerne
auf einen Anrufbeantworter?
Selbst ein extrovertierter Egomane klingt auf Band schnell wie ein
schüchternes Mauerblümchen. Sofern man nicht regelmäßig Selbstgespräche
führt, verstört einen das Sprechen ins Nichts. Und dann muss man dabei auch
noch locker und sexy klingen und darf sich nicht verhaspeln!
Trotz allem: Seit die Audiofunktion im Jahr 2013 auf WhatsApp gelauncht
wurde, sieht man immer mehr Leute in ihre Smartphones wie in ein
Walkie-Talkie sprechen, weil sie den Aufnahmeknopf gedrückt halten müssen.
Beschäftigen wir uns einmal mit den Vorteilen dieser von vielen so wenig
geschätzten Funktion.
## Eine natürliche Stimme mit Äh-Pausen
Es mag sein, dass es ungewohnt ist, wenn man das erste Mal eine
Sprachnachricht aufnimmt. Der heutige Social Media User ist so daran
gewöhnt, die Illusion von einem perfekt inszenierten Ich
aufrechtzuerhalten, dass es nervös macht, die natürliche Stimme mit all
ihren Äh-Pausen, Versprechern und anderen weniger hübschen Eigenarten
aufzunehmen und via WhatsApp zu verewigen.
Auch private Telefonate sind seltener geworden, weil sie die bequeme
Distanz, an die wir uns auf Facebook und Snapchat gewöhnt haben, aufheben.
Genau darin liegt aber der Reiz von Sprachnachrichten. Sie sind nicht
künstlich geschönt und gefiltert, man hört das Charakteristische am
Menschen am anderen Ende der digitalen Leitung heraus.
Andererseits hat man immer noch ein gewisses Maß an Kontrolle: Man kann
eine misslungene Sprachnachricht auch löschen und neu aufnehmen. Bei einem
Telefonat geht das nicht. Und dennoch ist der Grad der Intimität weit
größer als bei einem Text.
Was die Anrufbeantworter-Situation angeht: Im Gegensatz zur aussterbenden
Festnetz-Hinterlassenschaft, geht es bei der Sprachnachricht nicht immer um
die reine Vermittlung von Informationen.
Jemand hat Geburtstag und es ist unwahrscheinlich, dass man ihn am frühen
Morgen vor der Arbeit per Anruf erreichen und ihm gratulieren kann? Nichts
ist charmanter als ein Happy-Birthday-Ständchen via WhatsApp. Nachts am
Kotti, unten am Gleis der U 8, spielt endlich mal wieder diese geile
Jazzband? Man nimmt das Handy heraus und richtet den Lautsprecher auf die
Musiker. Dann nimmt man einen Teil der Melodie und das begeisterte
Klatschen ringsherum auf und schickt es einem Freund, den man ewig nicht
gesehen hat.
## Wir teilen einen kleinen Alltagsmoment
Auch wenn man sich seit Wochen nicht erkundigt hat, wie es ihm geht und was
er so treibt – er weiß durch die Sprachnachricht nicht nur, dass man gerade
an ihn denkt, sondern er nimmt auch an einem kleinen Alltagsmoment teil,
den man in ähnlichen Situationen schon zusammen erlebt hat.
Die mangelnde Gleichzeitigkeit der Kommunikation, die bei Sprachnachrichten
oft als nervig empfunden wird, ist in Wirklichkeit ihr größter Charme. Lebt
der Partner, die Mutter oder die Freundin in einem anderen Land oder gar
auf einem anderen Kontinent, muss man sich trotz aller Vernetztheit
schließlich immer noch verabreden, wenn man Sehnsucht nach einer
persönlichen Unterhaltung hat. Hört man dann endlich die Stimme des
Vermissten, befindet man sich meist zu Hause in einem seltsam stillen
Schlafzimmer. Man hört nichts vom Trubel der Straße, den Freunden oder der
Musik im Leben des anderen. Der eine ist müde, weil es früh ist, der andere
ist müde, weil es spät ist.
Schickt man sich aber gegenseitig zeitversetzte Nachrichten, in denen man
das Lachen des drei Wochen alten Enkels – oder die Geräuschkulisse des
Wochenmarkts aufnimmt, auf den man jeden Samstagmorgen geht, dann ist das
eine viel zärtlichere und kreativere Form der Kommunikation als ein
verabredeter Skype-Call. Eine WhatsApp Voice Message ist im besten Fall
also ein kleines, persönliches und unverwechselbares Stück einer Person,
die einem wichtig ist und der man nahe sein will.
Die Skepsis, die in Deutschland noch viele gegenüber der Sprachnachricht
empfinden, ist in anderen Teilen der Welt längst überwunden. In Südamerika
hat sie die Textnachricht nicht nur in der privaten Kommunikation
verdrängt, sondern wird auch in Firmen immer häufiger eingesetzt. Politiker
verbreiten durch sie Statements, die von allen Leitmedien aufgegriffen
werden.
## Witzige Geschichten im Gruppenchat
Besonders beliebt ist es auch, in privaten Gruppenchats Voice Messages zu
verschicken: Jemand erzählt eine witzige Geschichte, die er auf dem Weg
nach Hause erlebt hat. Man nimmt die Atmosphäre in einem Club auf, um den
abwesenden Stubenhockern ein schlechtes Gewissen zu machen und sie dazu zu
überreden, hinzuzukommen.
In der frischen Beziehung ist die erste Voice Message vom Partner ein
Meilenstein: Er traut sich, er selbst zu sein. Sicher, man sollte nicht
allzu langsam reden, wenn man eine Sprachnachricht aufzeichnet. Man sollte
auch nicht komplett darauf verzichten, auch mal anzurufen oder zu skypen.
Geschweige denn darauf, sich auch mal in Fleisch und Blut zu Gesicht zu
kriegen. Aber das verlangt ja auch keiner.
Die WhatsApp Voice Message ist eine schöne Ergänzung zu all den anderen
Möglichkeiten, die wir heute haben, um miteinander in Kontakt zu bleiben.
Dass sie von vielen unterschätzt und missverstanden wird, ist schade. Sie
bietet nämlich eine ganze Menge Spielraum für eine entschleunigte und
persönlichere Art der Kommunikation. Also Schluss mit schnell und perfekt.
Ganz entspannt zurücklehnen. Und loserzählen.
28 Jul 2016
## AUTOREN
Morgane Llanque
## TAGS
Kommunikation
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