# taz.de -- Die Wahrheit: Brüllende Autoritäten | |
> Tagebuch einer Wüstenenthusiastin: Wer den Anfechtungen der Konsumwelt | |
> entfliehen will, ist in Namibia gut aufgehoben. | |
Wie jedes Jahr erweckt auch diesmal Weihnachten wenig Vorfreude auf | |
rituelle Kauf- und Fressorgien, sondern traditionell den Wunsch, das | |
Weitestmögliche zu suchen. Also, auf nach Namibia, wo auf Tausenden | |
Quadratkilometern Sand nicht die kleinste Tanne wächst! | |
Vorher aber landen wir beim festlichen Sicherheitscheck auf dem Frankfurter | |
Flughafen. Bei der Gepäckkontrolle bildet sich um ein chinesisches Paar in | |
Sekundenschnelle ein waffenstarrender Wall Uniformierter, flankiert von | |
einer finster blickenden Grenzschutz-Amazone. Maschinengewehre zielen auf | |
weihnachtlich Verpacktes, aus dem ein todesmutiger Beamter ein | |
Profi-Fleischmesser pult. Den Besitzern wird höflich mitgeteilt, Utensilien | |
zum Ausbeinen toter Tiere seien an Bord ungern gesehen, was bei den | |
Chinesen, die bekanntlich alles essen und ausbeinen, das nicht an die Wand | |
genagelt ist, auf Unverständnis stößt. | |
Der Beamte entdeckt derweil neue Gefahr und fuchtelt aufgeregt mit einem | |
Stück folienverschweißtem Hartkäse, diversen Computerkabeln und einer | |
Tastatur vor den verstörten Reisenden. Dann bohrt er ein Kabelende durch | |
die Plastikhaut in den Käse und das andere ins Keyboard. „Bumm!“, führt er | |
begeistert den Beweis. „This looks very dangerous!“ Das finden wir auch und | |
sind froh, dass der Käse konfisziert wird. | |
So beschützt fliegen wir in die Wüste, wo uns fantastische | |
Dünenlandschaften, muckelige 45 Grad und tolle Führer erwarten, die in | |
Elefantenkacke lesen und jedes Tier beim Namen nennen können. Die sind | |
allerdings nicht halb so exotisch wie ihre eigenen. „Hi, I’m wanted!“ | |
stellt sich einer strahlend vor. Gerade noch kann man sich ein wenig | |
originelles „Wie hoch ist das Kopfgeld?“ verkneifen, als der Blick aufs | |
Schildchen am Tropenhemd fällt, von dem es deutlich „Wanted“ grüßt. Sein | |
Kumpel hört auf „Ballack“. Wir lernen, dass Stammesnamen schlecht | |
buchstabierbar sind und der Trend zum Zweitnamen geht. Und die | |
Auswahlkriterien? Klangvolles Wort, super Fußballer. So einleuchtend. | |
Das Land ist dreimal so groß wie Deutschland und besteht zu 90 Prozent aus | |
Wüste, in der sich 2,5 Millionen Menschen verlaufen. Ein kurzer Traum | |
befällt einen, man könnte in gewissen Momenten mal eben ganz Berlin da | |
entleeren. Die Schulzes, Hardtkes und Yilmaz würden gar nicht auffallen | |
zwischen den Wanteds und Ballacks und ein paar übriggebliebenen | |
Kaiser-Wilhelm-Denkmälern. | |
Nach zwölf Tagen Abenteuer treten wir widerstrebend die Rückreise an. | |
Erster Weihnachtsfeiertag, ein verödeter Flughafen, das Leben | |
entschleunigt. Die Reisenden entledigen sich metallischer Gegenstände und | |
durchschreiten die Sicherheitskontrollschranke. „Tröööhhht...!“ macht ei… | |
auf gleicher Höhe lässig neben einem Kollegen am Durchleuchtungsapparat | |
lehnende uniformierte Schöne. Die Reisenden suchen überrumpelt nach | |
vergessenem Geschmeide, während sich die Autoritäten vor Lachen brüllend | |
High Five geben. | |
Herrliches Afrika. Käse haben wir aber vorsichtshalber gar nicht erst | |
dabei. | |
7 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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