# taz.de -- Die Wahrheit: Ein peinlicher Visitenkartentausch | |
> Tagebuch einer Vercheckten: Triffst du in einer Airportlounge auf einen | |
> coolen Mann, solltest du nicht zu heißohrig handeln. | |
Ein Cousin aus dem westfälischen Clan des Liebsten sollte neulich bei einem | |
Besuch in der Hauptstadt einen wichtigen Brief an ihn übergeben, den er | |
leicht zerknittert und ansonsten unbeschädigt an seinen Ausgangsort | |
zurücktrug. Das Hohngelächter der Seinen schallte bis nach Berlin: Ja, ja, | |
wer außer X macht so was? | |
Ich. Jede Familie hat ein Mitglied, das für Pleiten, Pech und Pannen | |
zuständig ist, und in meiner ist dieser Platz fest an mich vergeben. Als | |
ich im Ausland lebte, sammelte ich in frankierten Umschlägen Korrespondenz | |
an meinen deutschen Steuerberater und vergaß sie anschließend auf dem | |
Schreibtisch. Bei regelmäßigen Trips in die Heimat trug ich dann die mit | |
amerikanischen Marken beklebten Briefe über den Ozean, die am Zielort auf | |
Nimmerwiedersehen in deutschen Postkästen verschwanden. | |
Das Schicksal wollte, dass sich eines Tages ein Bryan-Ferry-mäßig cooler, | |
in elegante Beinkleider gehüllter Reisender in der Flughafenlounge zu mir | |
und meiner Brieffracht gesellte und mich mit exquisitestem Brit-Akzent um | |
eine Marke bat: „You wouldn’t happen to carry a stamp on you?“ Nehmt das, | |
ihr Post-sofort-Wegschicker!, triumphierte ich innerlich und feierte meinen | |
disziplinlosen Hang zur Prokrastination, während ich – „Of course, I | |
would!“ – mit selbstverständlicher Lässigkeit eine Marke abpulte und sie | |
dem Lounge-Gentleman überreichte. Der seinerseits bestand auf einem Dollar | |
als Gegenleistung: „My deposit for future drinks.“ An dieser Stelle nahm | |
unsere zarte Romanze eine jähes Ende, da unsere Flüge – er London, ich | |
Berlin – aufgerufen wurden. Wir tauschten rasch Visitenkarten, und prompt | |
verlor ich seine in einer Maschine von United Airlines. | |
Aber auch mein Ersatz-Bryan-Ferry blieb stumm. Ohne Erfolg hielt ich jedes | |
Mal in unserer Lounge nach ihm Ausschau, dafür jedoch traf ich eine | |
Bekannte, die berichtete, seit Wochen kryptische Mails und sogar Anrufe – | |
dem Akzent nach von einem Engländer – zu erhalten, den sie offenbar | |
nachhaltig beeindruckt habe, obwohl sie sich beim besten Willen an nichts | |
erinnern könnte. Er fasele von Drinks und Briefmarken, offenbar werde sie | |
von einem alkoholsüchtigen Philatelisten gestalkt. Jedenfalls hätte sie | |
seine E-Mails und Handynummer blockiert. Ich wagte einen schwachen Versuch: | |
„Hast du noch seine Kontaktdaten?“ – „Bist du irre? Habe ich natürlich | |
gelöscht!“ Natürlich. | |
Dear Mr. Unknown, if you happen to read this: My name is not „A. H.“. „A. | |
H.“ is the person on the business card I handed to you. My name is „P. F.“ | |
and you can find me in my own personal Schamturm. Nicht alle deutschen | |
Frauen sind streng, manche sind sogar echt cool, und eine davon passt super | |
zu Bryan-Ferry-mäßigen Althipstern wie Ihnen. Blöderweise ist sie etwas | |
vercheckt und setzt in entscheidenden Momenten ihre Brille nicht auf. Sie | |
lebt jetzt übrigens in Berlin, wo es, wie es aussieht, erst 2030 wieder | |
Airportlounges geben wird. Wenn Sie so lange warten möchten, freut sie sich | |
auf ein Wiedersehen. | |
28 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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