# taz.de -- Monotonie im Skilanglauf: Der Weltcup wird zum Norwegencup | |
> Die Dominanz der Skandinavier im Weltcup sorgt für Langeweile. Doch eine | |
> Hoffnung bleibt für die anderen Nationen. | |
Bild: Schon wieder gewonnen! Die Norwegerin Therese Johaug beim Sieg in Oberstd… | |
Stockholm taz | Keine Überraschung, dass das Mutterland des | |
Skilanglaufsports an der Weltspitze führend mitmischt. Aber wie die | |
norwegischen SportlerInnen bislang in dieser Saison dominiert haben – 23 | |
von 27 möglichen Siegen und 57 von 81 Podestplätzen –, kommt auch nicht in | |
jedem Winter vor. Gestern waren wieder vier Norwegerinnen vorn, als im | |
Rahmen der Tour de Ski 10 km im klassischen Stil gelaufen wurden. | |
Es dominierte wieder einmal Therese Johaug. Bei den Männern, die gestern 15 | |
km in Oberstdorf zurücklegten, wurde der beste Norweger zwar nur Vierter, | |
dennoch dominiert Martin Johnsrud Sundby in diesem Winter. „Wir haben die | |
Konkurrenz k. o. geschlagen“, frohlockte die Osloer Tageszeitung | |
Aftenposten dieser Tage. | |
Eitel Freude herrscht darüber allerdings nicht einmal in Norwegen selbst. | |
„Wir nähern uns dem Punkt, wo Langlauf wegen der norwegischen Dominanz | |
langweilig wird“, befürchtet Morten Aa Djupvik, bis 2011 Trainer der | |
norwegischen Langlaufmänner und seit 2014 Sportchef beim Biathlonverband. | |
So eine Dominanz ist fürs das Business nicht gut. Auch wenn nun die | |
NorwegerInnen jedes Rennen an der Mattscheibe verfolgen, sind sie vor allem | |
in Polen und Deutschland abgestürzt. „Die Leute wollen einen Weltcup sehen | |
und keinen Norwegencup“, beklagte Filip Grabowski, der beim internationalen | |
Skiverband Fis die Fernsehrechte verwaltet. | |
## „In Norwegen wird ganz einfach besser trainiert“ | |
Aber warum sind sie so überlegen, die NorwegerInnen? Selbstverständlich | |
spielen die Breite dieser Sportart und die deshalb große Rekrutierungsbasis | |
eine wesentliche Rolle, um zu einer gut besetzten Elite zu kommen, sagt | |
Odd-Bjørn Hjelmeset, ehemaliger Spitzenläufer. Vielleicht noch wichtiger | |
sei aber: „In Norwegen wird ganz einfach auch besser trainiert. Da können | |
andere Nationen noch etwas lernen.” Und auch Petter Northug, | |
erfolgreichster Langläufer bei Nordischen Weltmeisterschaften, glaubte die | |
herummäkelnden schwedischen Konkurrenten vor einigen Wochen mit einem | |
ähnlichen Rat ärgern zu müssen: „Auf dem Sofa sitzen und Süßigkeiten | |
futtern reicht nicht.“ | |
Dabei fängt das Geheimnis der norwegischen Erfolge aber nicht erst beim | |
Training der Spitzensportler an. Sondern wie bei Northug auf einem | |
Bauernhof, wo der Vater dem fünfjährigen Petter im Schuppen die ersten | |
Skier wachste, damit der auf einer selbst gebauten kleinen Schanze | |
Skispringen üben konnte. | |
Wächst im Zweifel jedes Kind, sobald es laufen kann, auch auf Skiern auf, | |
setzt sich die sportliche Förderung erst in den Schulen und dann in | |
speziellen Spitzensportgymnasien („Toppidrettsgymnas“) fort. Hat man die | |
absolviert, winken Talent-Stipendien der einzelnen Sportverbände oder des | |
nationalen Olympischen Komitees, die es ermöglichen, ohne Arbeit oder | |
Studium Spitzensport zu betreiben. GoldmedaillengewinnerInnen und | |
Weltmeister wie Ole Einar Bjørndalen, Liv Grete Poirée oder Martin Johnsrud | |
Sundby durchliefen solche Talentschmieden. | |
Im Skilanglauf sei Norwegen Kapitalismus, bei den meisten Konkurrenten nur | |
Idealismus und Enthusiasmus, meinte Inge Bråten, mittlerweile verstorbener | |
Skilanglauftrainer und der Mann hinter den Erfolgen bei der Winterolympiade | |
in Lillehammer im Jahre 1994, vor einigen Jahren in einem Interview. Das | |
stimmt so sicher nicht mehr. | |
## Erfolge kommen in Wellenbewegungen | |
Aber natürlich spielt es eine Rolle, wenn sich ein Land auf einige wenige | |
Sportarten konzentriert und sich dort auch die meisten Sponsoren sammeln, | |
wie in Norwegen beim Langlaufsport. Und dass sich im Schatten erfolgreicher | |
Vorbilder neue Talente besser entwickeln können, die darauf brennen, selbst | |
ähnlich erfolgreich zu werden, ist auch kein Geheimnis. Er habe in der | |
Schweiz, Deutschland und Kanada als Trainer gearbeitet, berichtete der | |
mehrfache Weltmeister Tor-Arne Hetland kürzlich in der Aftenposten:Auf die | |
ökonomischen Ressourcen, die Norwegen hatte, sei er da nie neidisch | |
gewesen. „Ich habe das Gefühl, wir hatten insoweit wirklich gleiche | |
Voraussetzungen.“ | |
„Und eigentlich ist es sowieso immer eine Wellenbegung”, sagt Anders | |
Aukland. Der Staffelolympiasieger von Salt Lake City 2002 hat selbst das | |
Wellental miterlebt, in das Norwegens Skilanglaufsport ab Mitte der 2000er | |
Jahre zeitweise abgerutscht war. 2001 und 2002 sei Norwegen ähnlich | |
dominant gewesen wie in dieser Saison. Und er erinnert an die legendären | |
Pressefotos, die bei der Weltcup-Premiere 2001 im finnischen Kuopio acht | |
Norweger auf den ersten acht Plätzen zeigten. In Salt Lake City stärkste | |
Nation, sei man vier Jahre später bei der Turin-Olympiade regelrecht im | |
Keller gelandet: „Und so etwas hat nichts mit dem Wachsen zu tun.“ | |
Es waren diese Krisenjahre, deren direktes Resultat die jetzigen Erfolge | |
sind, glaubt Kjetil Kroksæter, Sportkommentator bei der in Trondheim | |
erscheinenden Tageszeitung Adresseavisen: „Krise führt nämlich zur | |
Entwicklung.” Damals sei der Skiverband zu einem Neuanfang gezwungen | |
gewesen. In dessen Zentrum stand ein Forschungsprojekt über | |
Trainingsmethoden, „dessen Ergebnis für das damalige Trainerkorps recht | |
unbehaglich“ gewesen sei. Es habe sich nämlich erwiesen, dass früher besser | |
trainiert wurde und sich zwischenzeitlich viel nicht mehr hinterfragte | |
Routine eingeschlichen hatte. | |
## Die norwegische Trainingsbibel | |
Der Verband habe daraufhin neue Trainingsrichtlinien entwickelt, diese in | |
einer umfassenden Seminartätigkeit nicht nur auf Eliteniveau, sondern bis | |
hin zum kleinsten Verein weiter vermittelt, mehrfach den aktuellen | |
Gegebenheiten angepasst und über die Jahre hinweg fest verankert. Nun habe | |
man landesweit eine einheitliche Coachingkultur. Heimlich sei an | |
Trainingsprogramm und -philosophie gar nichts, die vom Skiverband 2013 | |
herausgegebene „Trainingsbibel“ gebe es mittlerweile auch in deutscher | |
Übersetzung. „Das Buch ist Pflichtpensum in jedem norwegischen Trainerkurs | |
und sollte es vielleicht in anderen Ländern auch sein“, empfiehlt | |
Kroksæter. | |
Bleibt bis zum Beweis des Gegenteils also als Erklärung des norwegischen | |
Höhenflugs die fest verankerte Langlaufkultur, eine Skisporttradition mit | |
dem geografischen Vorteil langer schneereicher Winter und Loipen gleich vor | |
jeder Haustür, ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an jungen Talenten und | |
besseres Training? „Das Rezept gegen einseitige Wettkämpfe ist jedenfalls | |
nicht, dass die Norweger schlechter werden“, versicherte Fis-Renndirektor | |
Pierre Mignerey im norwegischen Rundfunk NRK: „Die anderen Nationen müssen | |
besser werden.“ | |
Und bis zum Saisonende tut sich vielleicht noch was, glaubt Aukland. Dann | |
werde Norwegen nicht mehr so glänzend dastehen wie vorm Jahreswechsel: „Die | |
Konkurrenz untereinander ist so mörderisch, dass unsere Läufer schon sehr | |
zeitig in Topform sein müssen, um eine Chance zu haben, berücksichtigt zu | |
werden. Je länger die Saison dauert, desto besser die Aussicht für andere | |
Nationen.“ | |
7 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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