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# taz.de -- Nordische Ski-WM in Norwegen: Eigene Erfolgswege entdecken
> Bei der WM in Trondheim erfreuen sich die Zuschauer an der norwegischen
> Dominanz. Was macht das Land mit der geringen Einwohnerzahl so
> erfolgreich?
Bild: Schon bei den legendären Olympischen Winterspielen 1994 in Lillehammer z…
Berlin taz | Als Norwegens Skilanglauf-Superstar Johannes Klæbo zur
Goldmedaille am Auftakttag der Nordischen Ski-WM in der Heimat sprintete,
erhob sich ein gewaltiger Jubelorkan auf der riesigen Tribüne in Trondheim.
„Krass – man fährt wie gegen eine Wand, die schreit. So etwas habe ich noch
nie erlebt“, berichtete die deutsche Skilangläuferin Coletta Rydzek
fasziniert. Ihr Teamchef Peter Schlickenrieder sprach von einem „Hochhaus
mit Menschen an Menschen“.
Das Stadion war selbstverständlich ausverkauft. 22.000 Zuschauer. An einem
Donnerstag zur normalen Arbeitszeit. Im Skilanglauf. Natürlich war auch
[1][Norwegens Kronzprinz Haakon samt Mette-Marit] in Vertretung seines
kranken Vaters Harald V. live vor Ort. Über 200.000 Tickets wurden
insgesamt schon für die Weltmeisterschaften verkauft. Mit denen, die im
Wald stehen und anfeuern werden, könnten es am Ende über 400.000 Fans
werden.
Das zeigt, [2][welche Wertigkeit der Wintersport in Norwegen genießt.] „Die
Sportarten haben einen Stellenwert, von dem wir in Deutschland nur träumen
können. Das ist bei uns höchstens im Fußball der Fall“, sagt der deutsche
Biathlon-Sportdirektor Felix Bitterling. Das gilt auch für die
Verdienstmöglichkeiten: Stars wie der nun zehnmalige Weltmeister und
fünfmalige Olympiasieger Klæbo oder der 23-malige
Biathlon-Rekord-Weltmeister Johannes Thingnes Bö sind Multimillionäre.
Klæbos Jahreseinkommen wurde zuletzt auf mindestens zwei Millionen Euro
taxiert.
Genug Geld für den Sport ist im vor allem durch die Ölvorkommen reich
gewordenen Norwegen vorhanden. Im Winter-Olympia-Jahr 2022 gab das Land
[3][laut einer Statistik des Instituts für Angewandte
Trainings-Wissenschaften (IAT)] 322 Millionen Euro für die
Spitzensport-Förderung aus. In Deutschland bewegte sich die Summe zuletzt
jährlich immer um die 300 Millionen Euro. Allerdings hat Deutschland über
83 Millionen Einwohner. Norwegen dagegen nur etwa 5,5 Millionen, das ist
etwa ein Fünfzehntel. Trotzdem gewannen die Skandinavier die
Medaillenwertung der letzten Olympischen Winterspiele in Peking 2022 (16
Gold, 37 Medaillen) genauso überlegen wie der letzten Nordischen
Ski-Weltmeisterschaften 2023 im slowenischen Planica (12 Gold, 27
Medaillen).
## Begeisterung für Winterspiele in Lillehammer
So richtig begonnen hat das alles in der Zeit, als Norwegen mit den
legendären Olympischen Winterspielen 1994 in Lillehammer oder den ersten
Nordischen Ski-Weltmeisterschaften 1997 in Trondheim Gastgeber für
Großereignisse war. „Das hat eine Begeisterung ausgelöst, auch in der
Wirtschaft. Viele große Unternehmen sind in den Sport gekommen“, erzählt
[4][die norwegische Langlauf-Legende Bjørn Dæhlie] im Interview mit dem
Münchner Merkur: „Was dazu führte, dass wir in Bereichen wie Material und
Training führend waren und sind.“
Geld ist aber nur ein Puzzleteil des Erfolgsgeheimnisses. Sehr viel hängt
auch mit der sozialen Wertigkeit des Sports und der Lebenseinstellung der
Norweger zusammen. „Norwegen ist für uns die Inspirationsquelle Nummer
eins“, sagt der deutsche Langlauftrainer Peter Schlickenrieder: „Einfach
diese Lust am Abenteuer, diese Lust am Draußen-unterwegs-Sein und
Entdecken. Das transportiert auch die Weltmeisterschaft in Trondheim
wunderbar. Draußen campen, Lagerfeuer machen, Schlafsack und Kinder dabei
haben. Die spielen den ganzen Tag im Schnee, fahren Schlitten und hüpfen
von Schanzen. So wird die Begeisterung am Leben in der Natur und am Sport
geweckt.“
Es gibt sogar ein eigenes Wort im Norwegischen dafür: „Friluftsliv“. Das
heißt übersetzt „Leben in der freien Natur“. Friluftsliv als Fach ist in
der Schule so normal wie in Deutschland Mathematik. Es soll das „sinnliche
Erleben der freien Natur“ fördern. Dabei werden pädagogische Zielsetzungen
wie ökologische Nachhaltigkeit, die Förderung der physischen Fähigkeit der
Schüler und die Nutzung nichttechnischer Fortbewegungsmittel unterstützt.
Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Zahl von jugendlichen
Nordisch-Wintersportlern wesentlich höher als in Deutschland ist.
„Da starten über 200 Skispringer bei einem nationalen Wettbewerb, da können
wir nur davon träumen“, sagt Horst Hüttel, Sportlicher Leiter Skispringen
und Nordische Kombination im Deutschen Skiverband (DSV). In der
Nationalsportart Skilanglauf ist das Nachwuchsangebot in Norwegen noch
wesentlich größer, was den Konkurrenzdruck erhöht und die Leistung fördert.
## Anderes System im Nachwuchs
Auch trainingsmethodisch und wissenschaftlich haben die Norweger die früher
dominanten Deutschen längst eingeholt und hinter sich gelassen. Und Hüttel
weist auf eine weitere Besonderheit hin: „Die Norweger haben ein anderes
System im Nachwuchs. Sie ordnen die Trainingsgruppen nach biologischem
Alter ein, nicht wie bei uns nach dem kalendarischen Alter. So können reife
14-Jährige zum Beispiel mit 16-Jährigen zusammen trainieren.“
Zunehmend wichtiger wird in Zeiten des Klimawandels zudem, dass es in
Norwegen immer noch ausreichend Schnee für den Wintersport gibt. Im hohen
Norden kann man dort teilweise immer noch von Anfang Oktober bis Mitte Mai
trainieren. In Deutschland reicht der Naturschnee selbst in den Alpen meist
nur von Dezember bis März.
Einen weiteren Grund für die Überlegenheit der Norweger nennt Sverre Olsbü
Roiseland. „Was wir in Norwegen gut machen, ist die Verantwortung für das
eigene Training. Schon Teenager lernen, was gut für sie ist, und sind quasi
alles kleine Coaches“, sagt der norwegische Trainer der deutschen
Biathlon-Frauen. Die Gesamtweltcup-Spitzenreiterin Franziska Preuß hat
unter seiner Führung bei der WM in der schweizerischen Lenzerheide gerade
Gold gewonnen. [5][Auch weil sie konsequent ihren eigenen Weg gegangen
ist,] was im deutschen Leistungssportsystem häufig nicht so gern gesehen
wird.
In Norwegen ist das anders: Schon im Nachwuchsbereich müssen Sportler,
Eltern und Trainer wegen der Vielzahl der Talente alle denkbaren Wege
austesten, um eine Chance für den Aufstieg zu haben. So pushen sich
Athleten zu immer neuen Höchstleistungen. Es gibt eine Mischung aus
staatlichen und privaten Sportgymnasien, in der eine Leistungsphilosophie
mit den Werten „Wille – Freude – Respekt“ gefördert wird. All das hat …
geführt, dass die Norweger nun auch in den Sommersportarten gefürchtet
sind. Sei es in der Leichtathletik mit Topstars wie Jakob Ingebrigtsen oder
Karsten Warholm, im Handball mit den Olympiasiegerinnen aus Norwegen oder
im Fußball mit Erling Haaland.
## Vorfreude auf die nächsten Tage
Einer wie Langlauf-Ikone Johannes Klæbo kann in Sachen Popularität in der
Heimat mindestens mit dem Weltklasse-Stürmer mithalten. Während der WM-Tage
von Trondheim stellt er Haaland in den Medien sogar locker in den Schatten
– zumal sein Sprint-Titel nur der Auftakt zu seiner Jagd nach bis zu fünf
WM-Goldmedaillen gewesen sein soll. „Ich freue mich auf die nächsten zehn
Tage und habe noch einiges vor“, erklärte Klæbo süffisant und posierte mit
einer riesigen blauen Zipfelmütze mit weißer Bommel für die Fotografen.
Seine Erfolge haben freilich auch Schattenseiten. Klæbo wird auf Schritt
und Tritt von Boulevardzeitungen wie Verdens Gang (VG) verfolgt. Sein
Vorgänger Bjørn Dæhlie berichtet, dass er in seiner Erfolgszeit keinen
Schritt unbeobachtet tun konnte. Pro Tag bekam der achtmalige Olympiasieger
50 bis 100 Briefe. Irgendwann war ihm das alles zu viel, und er zog in die
Schweiz. Von dort beobachtet er die Entwicklung in seiner Heimat auch mit
einem Anflug von Sorge: Wenn bei Großereignissen keine Norweger ganz oben
stehen, sei das inzwischen eine Enttäuschung und Niederlage: „Da ist nicht
mehr der Hunger, die Leute sind verwöhnt.“
Die hohe Erwartungshaltung zeigt sich auch am Beispiel des Ausnahmeläufers
Johannes Klæbo. Als vor zwei Jahren ein Sponsor absprang und das
norwegische Skilanglauf-Team sparen musste, trat der Superstar kurzzeitig
aus dem Nationalteam zurück. Auch bei der Nordischen Ski-WM in Trondheim
ist mitunter ein teils arrogantes Selbstverständnis der gastgebenden
Skination spürbar. Bei den offiziellen Pressekonferenzen mit norwegischen
Athleten wie Klæbo am Donnerstag wurden seine Antworten in der
Landessprache schlichtweg nicht auf Englisch übersetzt. Ein absolutes No-go
bei internationalen Großereignissen.
Vielleicht hängt es ja damit zusammen, dass vor allem im Männer-Skilanglauf
mit Klæbo viele Wettbewerbe norwegischen Landesmeisterschaften mit
internationaler Beteiligung ähneln. „Wenn du fast immer sechs, sieben
Norweger unter den ersten zehn hast, dann ist das schön für uns, aber es
ist auf die Dauer nicht gut für den Sport. Wir brauchen mehr Nationen in
der Spitze“, sagt Dæhlie.
Die Zuschauer auf der „Hochhaus-Tribüne“ in Trondheim sehen das freilich
anders. Sie wollen Siege von Klæbo und Co bejubeln, viele gekleidet im
traditionellen Norweger-Pullover, Sonnenbrille auf der Nase, Landesfähnchen
in der Hand und einem breiten Grinsen auf den Lippen.
28 Feb 2025
## LINKS
[1] /Krise-im-norwegischen-Koenigshaus/!6050831
[2] /Wintersport-Riese-Norwegen/!5146994
[3] https://sport-iat.de/factsheets-sportarten/detail/sf-spitzensportsystem-nor…
[4] /Doping-im-Langlauf/!5072317
[5] /Franziska-Preuss-ueber-Biathlon-WM/!6065377
## AUTOREN
Lars Becker
## TAGS
Ski
Norwegen
Förderung
Skispringen
Wintersport
Nordische Kombination
Olympische Winterspiele 2022
Langlauf
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