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# taz.de -- 20 Jahre Bosman-Urteil: Opfer der Maschinerie
> Das Bosman-Urteil, das vor 20 Jahren erging, hat den Profifußball radikal
> verändert. Der Belgier Jean-Marc Bosman konnte davon kaum profitieren.
Bild: Jean-Marc Bosman (M.), 1995, im Kreis seiner Anwälte
BERLIN dpa/taz | Jean-Marc Bosman hat seine Sportart mal geliebt, jetzt
blickt er mit Verachtung auf den Fußball in Europa. Früher sei es ein
schönerer und geselligerer Sport gewesen, sagte der Exprofi der Gazzetta
dello Sport. Aber mittlerweile habe sich der Fußball in eine Maschinerie
verwandelt. „Die Spieler verdienen astronomische Summen, Verträge werden
nicht respektiert“, meint er verbittert. „Der Fußball ist zum Geschäft
geworden.“ Und Bosman selbst hat auf den Tag genau vor 20 Jahren seiner
Meinung nach maßgeblich dazu beigetragen.
Als Profi ist er nur Mittelmaß, doch mit seinem mutigen Schritt löst er
Anfang der 90er Jahre eine Fußballrevolution aus. Das nach ihm benannte
Bosman-Urteil durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) am 15. Dezember
1995 erschütterte die Vereinsmanager.
Seitdem gilt: Nach dem Ende ihres Vertrags dürfen Fußballspieler in Europa
ablösefrei den Verein wechseln. Bosman durfte das nicht. Deswegen klagte
er. Die Geschichte des Belgiers ist auch die Geschichte eines Mannes, der
einen langen Kampf gewonnen, aber dennoch viel mehr verloren hat.
Bosman wird 1964 in Montegnée geboren, einem Vorort von Lüttich, unweit der
Grenze zu Deutschland. Noch heute lebt er in der Region. Das Beste, was der
Fußballprofi während seiner kurzen Karriere erleben darf, sind zwei
Uefa-Cup-Spiele gegen den FC Tirol und Rapid Wien. Bosman ist
Mittelfeldspieler, nicht sonderlich begabt und daher auch kaum bekannt.
Seine Laufbahn beginnt er beim belgischen Erstligisten Standard Lüttich,
berühmt wird der heute 51-Jährige aber erst als Spieler des Stadtrivalen
RFC.
## Fünf Jahre dauernder Prozess
Als 1990 sein Vertrag ausläuft, will der Klub ihn zwar verlängern, bietet
Bosman aber deutlich weniger Gehalt an. Das lehnt der mehrfache
Familienvater ab und will stattdessen zum französischen Zweitligisten USL
Dünkirchen wechseln. Der RFC verlangt von den Franzosen dafür eine hohe
Ablösesumme von rund 600.000 Euro, die weder Dünkirchen noch ein anderer
Klub für den Mittelfeldspieler bezahlen möchte. Bosman wehrt sich.
„Jean-Marc war in der Tat der Einzige, der den Mut hatte, es zu tun“, sagt
der Generalsekretär der internationalen Spielergewerkschaft FIFPro. „Ich
weiß, dass sie damals versucht haben, ihn umzustimmen und ihm eine Menge
Geld geboten haben.“ Doch Bosman lehnt das ab und trifft damit eine für ihn
folgenschwere Entscheidung.
Über fünf Jahre dauert der Prozess, den in Europa niemand wirklich ernst
nimmt – bis der EuGH 1995 mit seinem Urteil den Profifußball für immer
verändert. „Nach so einem Prozess gegen eine der mächtigsten Organisationen
der Welt kann ich dir garantieren, dass dein Leben zu einer Tortur wird“,
sagt er.
Seit dem Gerichtsentscheid genießen Profifußballer in Europa wie andere
Arbeitnehmer Freizügigkeit. Nach Bosmans Ansicht hat das in den Folgejahren
zu stark steigenden Gehältern geführt. Sein Argument: Nach dem Ende eines
Kontrakts gibt es für die Klubs seit dem Urteil keinen entsprechenden
Ersatz in Form einer hohen Ablösesumme mehr. Also müssen sie die begehrten
Spieler langfristig binden. Das lässt die Gehälter steigen.
Bosman hatte nie etwas davon, die meisten Klubs lehnen ihn nach dem Urteil
ab. Für den RCS Visé macht er in der Saison 1995/1996 noch sieben Spiele
und schießt ein Tor. Dann beginnt sein Absturz, zwischenzeitlich verfällt
er dem Alkohol. „Es gibt zahlreiche Spieler, die jetzt ein schönes Leben
haben“, sagte er dem britischen Guardian. „Ich, auf der anderen Seite, ich
verdiene nichts.“
15 Dec 2015
## TAGS
Fußball
Transfer
Bundesverfassungsgericht
Fifa
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