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# taz.de -- Neuer Kinofilm von Jaco van Dormael: Wenig Liebe für Gott im Badem…
> In „Das brandneue Testament“ ist der Schöpfer ein Tyrann. Die Komödie
> erzählt vom Wissen der Menschen um ihren Tod.
Bild: Der Schauspieler Benoit Poelvoorde als Gott in „Das brandneue Testament…
„Als Gott den Mann schuf, übte sie nur.“ Was die Frauenbewegung längst
ahnte, ließe sich genau genommen noch ein wenig weiterspinnen –
atheistische Bedenken einmal beiseitegestellt: Wie, wenn die Welt – Männer
inklusive – zwar von einem Gottvater gemacht wurde, dessen Schöpfung aber
bloß ein stümperhafter Versuch gewesen sein sollte, der einige gründliche
Nachbesserungen vertragen könnte?
Einen solchen Heimwerker-Gott, der aus Langeweile erst Brüssel und später
den Menschen erschafft, hat der belgische Regisseur Jaco van Dormael in
seinem Film „Das brandneue Testament“ zu einem der Protagonisten gemacht.
Dieser Gott, zerknautscht-aufbrausend gespielt von Benoît Poelvoorde, lebt
in Brüssel eine ziemlich kleinbürgerliche Existenz, in einer schäbigen
Wohnung, in der das Licht so trübe-grau ist, als würde es auch drinnen
ständig regnen. Dort tyrannisiert er als ungekämmter Pantoffelheld seine
Frau und Tochter, über den verstorbenen missratenen Sohn JC alias Jesus
Christus schweigt er sich beharrlich aus.
Mit diesem Gott ist wahrlich nicht gut Kirschen essen. Besonders den
Menschen gegenüber zeigt er sich alles andere als gütig. In seinem Büro,
dessen Wände aus fugenfrei übereinandergestellten Aktenschränken bestehen,
die in schwindelerregende Höhen himmelwärts streben, erlässt er per
Heimcomputer am laufenden Band perfide Gebote. Etwa dass eine Brotscheibe
immer auf die Marmeladenseite fallen muss oder dass jedes Mal, wenn man
sich in die Badewanne setzt, plötzlich das Telefon klingelt.
Die Frage der Theodizee, wie Gott das Böse in der Welt zulassen kann,
beantwortet sich in diesem Fall sehr einfach: Gott selbst ist böse. Die
Menschen hat er einzig und allein erschaffen, weil er mit ihnen machen
kann, was er will. Sie gegeneinander aufbringen zum Beispiel.
## Makabre Inszenierungen
Kein Wunder, dass es der Tochter Éa (Pili Groyne als trotzig-stilles
Mädchen) irgendwann zu viel wird. Sie beschließt abzuhauen. Und holt sich
Rat bei ihrem Bruder, der, als kleine Standfigur getarnt, im Zimmer der
Schwester ausharrt.
JC empfiehlt Éa, ein neues Testament zu schreiben und sich sechs neue
Apostel zu suchen. Dann habe sie insgesamt 18, wie bei einem Baseball-Team.
Und die Mutter möge doch Baseball so gern.
Bevor sich die Tochter endgültig über einen Geheimweg aus der Wohnung
davonmacht, schleicht sie sich nachts in Gottes Büro, um von dessen
Computer aus den Menschen ihre Todesdaten zu schicken – per SMS aufs
Mobiltelefon.
Diese Pointe gibt van Dormael beste Gelegenheit zu makabren Inszenierungen,
bei denen er das bis dahin gemächliche Erzähltempo etwas beschleunigt: Eine
Frau, die erfährt, dass ihr zwei Minuten zum Leben bleiben, beginnt
panisch, in ihrer Wohnung herumzueilen, um Gefahrenquellen zu beseitigen.
Ein junger Mann, der erfährt, dass er noch über sechzig Jahre leben wird,
beschließt, sein Schicksal größtmöglich herauszufordern.
Sie alle sind plötzlich zu „Befristeten“ geworden wie in Elias Canettis
gleichnamigem Stück, in dem die Menschen um ihren „Augenblick“ wissen, in
dem sie sterben werden. In „Das brandneue Testament“ ist Gott damit ein
wichtiges Unterdrückungsinstrument abhanden gekommen: Die menschliche Angst
vor der Ungewissheit der eigenen Lebensdauer ist einer Ernüchterung
gewichen. Und mit ihr kommt der im Kern sehr ernste Film zu seinem
eigentlichen Anliegen.
## Einsamkeit in exzentrischen Bildern
Denn die sechs neuen Apostel, die sich Éa im von milchigen Farben
beherrschten Brüssel zusammensucht, sind allesamt beschädigte Menschen, die
sich mit ihrer Einsamkeit bisher abgefunden hatten. Van Dormael stellt
einen nach dem anderen in gemessenem Rhythmus vor: eine Frau, die ihren Arm
verloren hat und seither eine Armprothese trägt, was sie glauben macht,
dass kein Mann sie je lieben wird.
Ein von seiner Familie entfremdeter Mann, der sich insgeheim als Killer
betrachtet und nach dem „Deathleak“ ein Gewehr kauft, um Menschen zu
erschießen. Sein Kalkül: Wenn er jemanden tötet, handelt er als Werkzeug
Gottes. Oder eine frustrierte reiche Ehefrau (würdevoll: Catherine
Deneuve), der wenige Jahre vergönnt sind und die sich fortan die Liebe, die
ihr der Gatte verweigert, von menschenähnlichen Lebewesen zu holen beginnt.
Van Dormael, der sich in seinen Filmen seit „Toto der Held“ von 1991 gern
Außenseiterfiguren gewidmet hat, kontrastiert die mitunter absurden
existenziellen Entscheidungen dieser Apostel mit einigem – ebenfalls
absurden – visuellen Kitsch. Dabei fungiert Éa als bildgebende Kraft, die
ihren „Jüngern“ nachts Träume eingibt.
So lässt sie die Armamputierte von einer abgetrennten Hand träumen, die
eine Ballettchoreografie auf dem Esstisch vollführt. Und ein Schuljunge,
der seine restlichen sechs Monate als Mädchen leben will, träumt von einem
fliegenden, strahlend weißen Fischgerippe, das die Melodie von Charles
Trenets Chanson „La Mer“ blubbert. Mit diesem beherzten Ausprobieren
exzentrischer Bilder unterstreicht van Dormael zugleich Éas tastende
Korrekturen an der Schöpfung ihres Vaters.
Gott, alles andere als erfreut über die Aktion der Tochter, macht sich auf
die Suche nach ihr, um sich zu rächen. Die Menschen allerdings nehmen ihn
wenig freundlich auf: Eine Frau, der Gott als Erstes begegnet, fürchtet
einen Überfall und sprüht dem Schöpfer, der in seinem schlabberigen
Bademantel wie ein verwahrloster Obdachloser wirkt, eine kräftige Ladung
Pfefferspray ins Gesicht. Und ein Priester, dem sich Gott in all seiner
Schlechtigkeit offenbart, zeigt am Ende wenig Nächstenliebe gegenüber dem
Vater des Heilands.
## Göttlicher Systemneustart
Man könnte einwenden, dass dieser Film im Grunde gar keinen christlichen,
sondern einen mehr oder minder heidnischen Gott zeigt, seine Frau und
Tochter erweisen sich ihm schließlich als ebenbürtig, was schlecht zur Idee
des Monotheismus passen will. Dass van Dormael die christliche Religion als
Vorlage für seine satirischen Ausschweifungen nimmt, dürfte gleichwohl die
richtige Entscheidung gewesen sein.
Nicht auszudenken, was für Reaktionen der Film, der völlig zu Recht für den
Europäischen Filmpreis nominiert ist, hervorgerufen hätte, wenn sein Gott
stattdessen ein islamischer gewesen wäre. So bleibt das Feld offen für den
Gedanken, dass Religionen möglicherweise ja doch keine gottgemachten
Angelegenheiten sind.
Die Göttin (apathisch-verstört: Yolande Moreau), allein zu Haus, beginnt
sich unterdessen von ihrer Unterdrückung durch den Ehemann zu lösen – warum
sie den ganzen Quatsch vorher über sich hat ergehen lassen, verrät der Film
nicht so recht. Beim Putzen der Räumlichkeiten muss der Stecker von Gottes
Computer vorübergehend dem Staubsaugerkabel Platz machen. Der folgende
Systemneustart bietet ihr ungeahnte neue kreative Möglichkeiten. Und siehe:
Die blasse Welt ward bunt.
2 Dec 2015
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Film
Christentum
Gott
Catherine Deneuve
Erotikfilm
EU
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