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# taz.de -- Erotikfilm „Love“ von Gaspar Noé: Liebe machen in 3-D
> Gaspar Noé nutzt in seinem Film „Love“ so ziemlich alle Möglichkeiten d…
> Darstellung sentimentaler Sexualität. Nur ist alles furchtbar
> austauschbar.
Bild: Das Liebespaar Murphy (Karl Glusman) und Electra (Aomi Muyock) in „Love…
Achtung, hier passiert Schlimmes! In Ländern mit Anspruch auf die
moralische Vorbildwirkung des Kinos – wie etwa in Russland – gar
Verbotenes! Und das in 3-D! Was dazu führte, dass jedes Festival, das
diesen vom Titel und seiner Message her ganz problemlos übersetzbaren Film
zeigt, einen vorprogrammierten Skandal-Hit landete. Es sind Massen, die
sich von der L.O.V.E. mit optischer Tiefenwirkung angezogen fühlen,
mehrheitlich Fans von Monsieur Noé, dessen Kino seit „Irréversible“ (2002)
mit dem fixen Label der „radikalen Grenzüberschreitung“ (Feld: Sex)
versehen ist.
Nun, selbst wer sich auf Exzesse pornografischer Natur gefreut hat, wird
insofern enttäuscht, als der erigierte Penis unseres einzigartigen
Loser-Helden Murphy zwar ganz gut (aus der Leinwand heraus) kommt, sich
aber das Transgressive ansonsten vor allem auf die ekstatische Dauer –
sagen wir’s: Überlänge – bezieht, mit der sich Liebender und Liebende
einander körperlich hingeben.
Wieder und wieder tauchen sie ein in einen buchstäblich nicht enden
wollenden Rausch an Berührungen und Windungen. Meist zu zweit (Murphy mit
Electra), mal zu dritt (mit Nachbarin Omi), mal high auf Opium, mal im
Darkroom oder im Flur, ansonsten im Bett.
Schön, schöner, am schönsten ist das: rötlich ausgeleuchtet und unterlegt
mit mehr (Funkadelic) oder weniger (Satie) originellen Klängen, symmetrisch
gebaut und lichtgedämpft die Inszenierung; aalglattrasiert, Haut pur die
Figuren. Direkt durchsichtig sind auch diverse metapoetische Passagen
(Ironie ist dabei keine zu erkennen, wie sehr hätte man sie sich gewünscht
in einem Film, wo der Hund Gaspar, der Nebenbuhler Julio und eine Galerie
Noé heißt).
Es fehle dem Kino an sentimentaler Sexualität, sagt Murphy zum Beispiel.
Dieses Defizit wettzumachen, nimmt sich Gaspar Julio Noé Murphy
offensichtlich vor. Nur ist alles furchtbar austauschbar – Sentimentalität,
Sinnlichkeit, Leidenschaft, Exzess – und so radikal redundant, dass man vor
lauter Langeweile ständig abdriftet … wie würde das alles aussehen,
unrasierter, faltiger stellenweise?
## Eifersucht und ein Kind
Aber zurück zum Film, der schauspielerisch getragen wird von einem
relativen Newcomer (Karl Glusman, Markenzeichen: ultimative
Gesichtslosigkeit) und zwei Models, die nach üblicher Kombinatorik verteilt
sind (Aomi Muyock – cool und schwarz, Klara Kristin – brav und blond). Die
Handlung lässt sich auf folgenden Nenner bringen: Aus dem Dreier wird eine
fatale Dreiecksbeziehung, aus der sehr viel Eifersucht und ein Kind
entspringt, dessen Existenz die Leichtigkeit der (plötzlich nicht mehr so)
jungen Liebenden erschwert.
Ärgerlich wird es dann, wenn Murphy aus dem Off nicht nur unentwegt banale
Flüche abfeuert (“selfish cunt“), sondern auch auf so dümmliche Weise sein
eigenes Prunkstück demetaphorisiert (“I am a loser. A dick. A dick has no
brain.“), dass man seinem „I fucked it all up“ leider nur zustimmen kann
und ihm wünscht, seine Konsequenz daraus zu ziehen – statt in hirnlosen
Selbstmitleidsmonologen zu versinken.
„Stop it, please“, hört man sich so zum Strippenzieher dieser ruinösen
Plattitüden sagen, denn ganz will man es ihm nicht mehr abnehmen, dass
Murphy nichts mit ihm, Gaspar, gemein hat. Zumindest etabliert „Love 3-D“
ein Kino, das ebenso hartnäckig pubertär bleiben will wie sein Held.
26 Nov 2015
## AUTOREN
Barbara Wurm
## TAGS
Erotikfilm
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Russland
Kunstfilm
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