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# taz.de -- Kohle auf dem Klimagipfel: Das Phantom von Paris
> Auf der Klimakonferenz fehlen die großen Kohlefirmen. Die Dreckindustrie
> hat nur ihre Strategie geändert.
Bild: Piotr Dytko, 42, Minenarbeiter in Łaziska Górne.
Peking, vergangenen Freitag, im Ausgehviertel Sanlitun: Wang Zhen hält
seinen Zeigefinger in die Luft. „Windstille“, sagt der 54-jährige
Straßenhändler, der auf einer Fußgängerbrücke geröstete Sonnenblumenkerne
verkauft. „Jetzt droht Peking wieder dichter Smog.“ Wang behält recht:
Nicht einmal eine halbe Stunde später umhüllen gelbe Nebelschleier Pekings
Hochhäuser. Mitten am Tag wird es dunkel, es riecht nach Schwefel und
verbrannter Kohle. Der Hals schmerzt, die Augen fangen an zu brennen. Die
Sonne ist nur noch in Facetten zu erkennen. Auf den speziellen Handy-Apps,
die die Luftqualität der Stadt anzeigen, schnellen die Kurven für Feinstaub
in die Höhe, auf das mehr als 25-fache des laut Weltgesundheitsorganisation
(WHO) noch erträglichen Wertes.
Der Smog in Peking ist nur Symptom eines globalen Problems: Kohle. Anfang
der Woche schworen sich am anderen Ende der Welt, in Paris beim großen
Klimagipfel (COP 21), über 160 Staatschefs mehr oder weniger auf
Klimaschutz ein. Im Nordostchina versank eine Region der Größe Frankreichs
und Deutschlands zusammen unter einer Glocke aus toxischer Luft.
In Paris ist allen klar: Der Klimawandel kann nur gemäßigt werden, wenn die
Menschheit ihre Sucht nach Kohle, Öl und Gas ablegt. Und Kohle steht im
globalen Therapieplan ganz oben. Die Kraft- und Stahlwerke, in denen sie
verbrannt wird, steuern 44 Prozent des weltweiten Ausstoßes an Kohlendioxid
bei.
In der Klimapolitik ist es deshalb en vogue, Kohle zu verteufeln. Nicht nur
bei Umweltschützern, auch bei mächtigen Präsidenten und einstigen
Verbündeten, den Öl- und Gaskonzernen. Nirgends sonst lässt sich das so gut
beobachten wie auf dem Weltklimagipfel in Paris. Dort riecht es nicht nach
Kohle, sondern nach: Fisch.
## Mittwoch, Paris, Le Bourget
Ein milder, windiger Tag. Wer die fossile Industrie in Paris finden will,
muss gut zu Fuß sein und den Geruch von frittiertem Fisch ertragen. Die
Kohlelobbyisten haben sich ganz hinten im riesigen Zelt „Climate
Generations“ versteckt, auf gerade mal 25 Quadratmetern. Erst, wer die
Pandabären des Umweltverbands WWF und die Reggaemusik des „Solar Sound
Systems“ hinter sich lässt, steht vor dem Messestand von „CO2GeoNet“.
Eine Wissenschaftlerin redet eindringlich auf einen Jugendlichen ein, der
sich erschöpft am Tisch niedergelassen hat. „Die Menschheit muss sich
entscheiden. Und sie muss es JETZT tun“, steht auf einem Poster. Das soll
meinen: Kohle ist gut für die Welt, weil sie Entwicklungsländern hilft,
billigen Strom für die Armen zu produzieren. Und Kohle kann man auch sauber
machen. Das ist die Strategie. So will sich die Kohleindustrie retten.
Zehn Minuten Fußweg und zwei Sicherheitsschleusen weiter kann sich die
Menschheit gerade wieder einmal nicht entscheiden. 10.000 Delegierte aus
195 Staaten reden über komplizierte Dinge wie Klimapläne, Finanzhebel,
Überwachungsmechanismen. Die Konferenz soll endlich einen weltweiten
Klimavertrag bringen. Und sie soll ein „Signal an die Investoren“ für ein
Auslaufen der fossilen Brennstoffe setzen, wie es die Klimachefin der UN,
Christiana Figueres, sagt. Hier soll es der Kohle an den Kragen gehen.
Zumindest auf der Konferenz ist dieses Ziel schon erreicht. Die Kohle ist
das Phantom von Paris. Sie ist zwar überall: In den Gesprächen auf den
Korridoren. In den Statistiken. Bei den Verhandlungen hinter verschlossenen
Türen. Gleichzeitig ist sie nirgends: Es gibt keine großen Stände der
Kohle-Lobby. Es gibt von ihr keine offiziellen „Side Events“, wo sonst im
Stundentakt Staaten und Interessengruppen ihr Angebot zur Weltrettung
zwischen Happening und Häppchen präsentieren.
Was sich als Beitrag zum Kampf gegen die Erderwärmung verkaufen lässt, hat
auch ökonomische Gründe. Kohle ist zum Investorenschreck geworden. In den
USA ist Erdgas extrem billig geworden, weil viel zu viel mittels Fracking
gefördert wird. Die Börsenwerte der Kohle-Konzerne sind um 90 Prozent
abgestürzt. Seit auch die Bank of England vor diesen Investments warnt,
suchen Geldgeber andere Anlagen. Das ist auch in Deutschland zu spüren: Der
deutsche Braunkohle-Riese RWE hat diese Woche seine Aufspaltung verkündet –
das Kohlegeschäft wird ausgegliedert.
Längst ist auch die Phalanx der Energiekonzerne aufgebrochen, wie man an
Philip Ringrose sehen kann. „Ja, früher waren die Kohleleute noch da“, sagt
er und klappt neben dem Kohlestand seine Stelltafel zusammen. „Jetzt nicht
mehr“. Der Norweger mit den rosigen Wangen und dem roten Schnäuzer grinst,
während er mit seiner Tafel kämpft, die sich immer wieder entfaltet.
Ringrose arbeitet für den norwegischen Öl- und Gaskonzern Statoil. Solche
Konzerne sehen mittlerweile eine Chance im Niedergang der Kohle. Gleich
zweimal versammelten sich in diesem Sommer die Chefs von Energiekonzernen
wie Shell, BP, Total und Statoil, um ein „bedeutungsvolles Abkommen“ zum
Klimaschutz zu fordern.
Sie setzen sich sogar für eine weltweite Steuer auf CO2 ein, eine der
Kernforderungen von Klimaschützern. US-Konzerne wie ExxonMobil und Chevron
schließen sich dem zwar nicht an, sie wünschen der Konferenz offiziell
alles Gute, setzen aber auf ein Scheitern der Klimaverhandlungen. Für den
Rest der Öl- und Gasindustrie würde eine CO2-Steuer schlicht ein
Wettbewerbsvorteil gegenüber der Kohle bedeuten. Ihr Erzählung: Ersetzt
Kohle durch Gas, weil Gas effizienter und damit klimafreundlich ist.
Der Norweger Ringrose ist optimistisch. Immerhin wirbt seine Firma in
Deutschland mit riesigen Anzeigen, in denen sich das Gas aus der Nordsee
als idealer Partner der Energiewende andient. Und er sagt: „Nächste Woche
kommt unser Vorstandschef Eldaer Saetre nach Paris. Der wird auch sagen:
Nehmt Gas. Vergesst die Kohle.“
Allerdings ist das nur die halbe Geschichte: Global gesehen gibt es eine
Art grünes Paradox. Weil die Kohle vor allem in den USA gegen das Gas
verliert, sinkt die Nachfrage. Damit fällt der Preis. Die Folge: Länder wie
China, Indien, Vietnam, Indonesien, Südafrika oder die Philippinen finden
diese Art der sicheren und billigen Stromversorgung extrem attraktiv.
Weltweit sind laut „Global Coal Plant Tracker“ 1.466 Kohlekraftwerke im
Bau. Für diese Staaten heißt die Rechnung: Kohle oder Armut. Für die
Klimaschützer dagegen heißt es: Kohle oder Klima. Beides geht nicht.
## Neu-Delhi, Mittwochnachmittag
Umweltminister Prakash Javadekar muss sich im Oberhaus des Parlaments, der
Rajya Sabha, den Fragen stellen.
Ob die Luftverschmutzung in Neu-Delhi zu Depressionen führe? „Das
Ministerium hat keine wissenschaftlichen Daten oder Informationen, die den
Schluss zulassen, dass die faule Luft in Delhi Menschen in den Selbstmord
treibt“, sagte Umweltminister Javadekar.
Vergangene Woche erreichte die Feinstaubbelastung in Delhi Werte, die zehn
Mal so hoch waren als die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen
Grenzwerte.
Nach einer Studie, die an der Universität von Ohio an Mäusen durchgeführt
wurde, zeigten die Tiere, die langfristig starker Luftverschmutzung
ausgesetzt waren, Anzeichen von Depression und Angst: „Die Resultate legen
nahe, dass ein anhaltender Kontakt mit verschmutzter Luft negative
Auswirkungen auf das Gehirn haben kann.“
Nach Angaben des indischen Umweltministers sind Autoverkehr, Industrie und
intensive Bautätigkeit für die schlechte Luft in Delhi verantwortlich. Und
damit auch: die Kohle. Man könnte dies Entwicklung nennen.
Entwicklung, das ist der Trumpf, den die Kohleindustrie noch hat. Ein paar
depressive Mäuse in einem Labor stören da nicht weiter. Ungebrochenen
Fortschrittswillen strahlt auch der indische Pavillon in Paris aus: Tablets
überall, ein stilisierter Baum hält das Dach, hüfthohe Bildschirmtische
zeigen Bilder vom indischen Klimaprogramm. Hostessen in Saris helfen bei
Fragen gern weiter. Am Eingang bildet ein künstlicher Wasserfall die
Schlagworte der COP 21 spektakulär aus beleuchteten Wassertropfen:
„Climate“ steht dann da, oder „Action“. Derzeit aber ruht das Spektakel:
Das Wasser hat das Becken beschädigt.
Mit der indischen Climate Action ist das so eine Sache. Auf der
Klimakonferenz hat Premierminister Modi eine „Solarrevolution“ angekündigt.
Doch für die Entwicklung der heimischen Wirtschaft bleibt die Kohle erste
Wahl. Zwar findet man sie nicht mehr auf den Ausstellungsflächen und bei
den Sponsoren in Paris, aber hinter den Wänden der Delegationsbüros. Hier
stehen Manager der staatlichen und halbstaatlichen Energiekonzerne auf der
Delegationsliste: In Indien, aber auch in Südafrika oder Kanada, gelten die
Angestellten der Kohleindustrie als Experten.
Es scheint, als könnte der Kampf gegen die Kohle nicht gewonnen werden,
wenn sich der Gegner in Paris versteckt und in großen Teilen der Welt als
unersetzlich gilt. War’s das? Bleibt es dabei: Klima und Kohle, das geht
nicht zusammen?
„Geht doch“, sagt Marco Baroni. Der Experte der Internationalen
Energie-Agentur IEA trägt einen eleganten, grauen Anzug. Ab und zu
übertönen ihn scheppernde Ansagen in der Zelthalle. Baroni zuckt nur kurz
zusammen, ehe er weiterdoziert. „In Südostasien werden Dutzende von
Kohlekraftwerken gebaut“, sagt er. Dazu kommen Hunderte geplante Kraftwerke
in China und Indien. „Das ist nicht zu verhindern, wenn die Leute Strom
bekommen sollen, selbst wenn sie so viele Erneuerbare bauen wie möglich.
Der Bedarf ist einfach zu groß.“
Damit kommt eine weitere Rettungsstrategie der Kohleindustrie zum
Vorschein: Die Speicherung von CO2 in der Erde, unschädlich gemacht für den
Menschen und das Klima. Der Zaubertrick, der das CO2 verschwinden lässt,
heißt CCS. Kohle will nicht nur unersetzlich für die Schwellenländer sein.
Verkauft wird ein Versprechen: Uns gibt es auch sauber.
CCS, das ist auf der Klimakonferenz ein beliebtes Thema auf Podien und in
Diskussionsrunden. Einer, der auf diesen Podien sitzt, ist Mike Marsh. Ein
junger Mann mit Hornbrille und kurzem, schwarzen Haar, das an den Spitzen
grau wird. Er hat gelernt, zu überzeugen, und das muss er auch. Er ist
Manager beim kanadischen Stromkonzern SaskPower, der in der Provinz
Sasketchewan seit einem Jahr das Kohlekraftwerk „Boundary Dam“ betreibt:
Das einzige Kohlekraftwerk der Welt, das mit CCS ausgestattet wurde. Das
heißt, es ist sauber.
Kaum CO2 kommt noch aus dem Schornstein, weil eine angeschlossene
Chemiefabrik es auffängt. Von den 1,5 Milliarden US-Dollar für die
Renovierung des Kraftwerks hat der CCS-Teil über 900 Millionen
verschlungen. „Wir hatten keine Wahl“, sagt Marsh, „es hieß: sauber werd…
oder das Kraftwerk dichtmachen.“ Marsh bestätigt damit den Verdacht: CCS
ist für ihn die Rettung für die Kohle.
Doch das Beispiel aus Kanada taugt nicht als Vorbild. Philipp Ringrose vom
Öl- und Gaskonzern Statoil rechnet vor: „Bei denen müsste die Tonne CO2 100
Dollar kosten, damit kostet es derzeit 8,50 Euro eine Tonne CO2
auszustoßen.
Damit setzt die Welt ihr Schicksal auf eine Technik, die technisch nur als
subventionierter Pilotversuch funktioniert, die zusätzliche Energie braucht
und teuer ist. Baroni von der IEA hofft deshalb auf China: „Die Kosten
sinken durch Entwicklung und China wird dabei eine Hauptrolle spielen.“
Bislang ist davon allerdings noch nichts zu sehen.
Die Erzählung von der sauberen Kohle, sie verfängt auch in Europa. Die
polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo machte bei ihrem Statement am
ersten Konferenztag deutlich, dass sie sich immer noch als erste
Bergbauarbeiterin der heimischen Kohleindustrie sieht. Sie warnte vor
„unnötiger Bewegung“ beim Klimagipfel. Polen sei stolz darauf, seit „Jah…
das System der Verhandlungen zu formen.“ Für Klimaschützer klang das wie
eine Drohung.
## Warschau, sechs Tage vor Beginn der Klimakonferenz
Andrzej Duda, Polens neuer rechtsnationaler Präsident, legt sein Veto gegen
ein Gesetz ein, mit dem Polen das Kyoto-Protokoll und die weitere Absenkung
des Kohlendioxidausstoßes bis 2020 verlängert hätte.
Derweil wird in Krakau immer öfter „SOS-Smog-Alarm“ ausgerufen. Mit den
winterlichen Temperaturen hat die Heizperiode begonnen. Noch immer heizt
ein großer Teil der Krakauer mit Kohle, Koks, Holz und billigem
Kohlegranulat. Viele stecken alles in den Ofen, was irgendwie brennt:
Haushaltsabfälle, Lumpen, alte Möbel, leere Plastikflaschen. Viele nehmen
das Keuchen und Husten, die Asthmaanfälle bei immer mehr Kindern, als
unabänderlich hin. Doch immer mehr Krakauer kämpfen in Bürgerinitiativen
wie Krakauer Smogalarm oder Luft für Krakau für besseres Atmen.
Zurück in Paris. Die Verhandlungen laufen auf Hochtouren weiter, aber sie
laufen oft im Leerlauf. Dem Abkommen sind schon lange die meisten Zähne
gezogen worden. Was immer aus Paris herauskommt, wird nicht direkt für die
Kohle bindend sein. Auch nach Paris wird geredet, und die Lobby der
dreckigen Energie schafft Fakten. 1.446 Kohlekraftwerke sind weltweit im
Bau. Nach Paris wird sich daran erst einmal nichts ändern.
5 Dec 2015
## AUTOREN
Bernhard Pötter
Felix Lee
Britta Petersen
Gabriele Lesser
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