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# taz.de -- Kongress kritischer Ökonomen in Berlin: Bitte mal etwas Deutungsho…
> Kritische Ökonomen fühlen sich marginalisiert. Sie schimpfen bei einem
> Treffen über den Mainstream und warnen vor Einflussnahme.
Bild: „Wenn die Turnhalle nicht montiert wird, haben Maler und Lackierer nich…
BERLIN taz | Wer hat uns verraten? „Das Problem ist die SPD“, sagt Fritz
Helmedag mit Wehmut in der Stimme. Seitdem die Sozialdemokraten nicht mehr
von Wirtschaftsexperten à la Karl Schiller geführt werden, fühlt der
Professor für Mikroökonomie von der TU Chemnitz sich nicht mehr richtig
vertreten. „Unsere Überlegungen gibt es auch noch bei Grünen und Linken,
aber die sind politisch nicht mehr ausschlaggebend“, sagte Helmedag am
Freitag in der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Politik.
Nicht ganz so resigniert über Gegenwart und Zukunft des Fachs sind seine
Studenten, die von Donnerstag bis Samstag eine mit gut hundert Experten
besuchte Konferenz zu mehr Pluralisierung der Wirtschaftswissenschaften
organisierten. Sie fordern mehr Vielfalt der Methoden und Themen in der
Ökonomie. Inzwischen sind die Studierenden an vielen Universitäten so
unzufrieden mit einseitigen Lehrbüchern und tendenziösen VWL-Professoren,
dass sie ihre Lehrveranstaltungen selbst organisieren.
Die Mainstream-Lehre sei „aktuell blind gegenüber vielen sozioökonomischen
Problemen unserer Zeit. Es bedarf einer Aktivierung vor allem
sozial-kultureller Perspektiven auf das Wirtschaften und ihrer
Weiterentwicklung für Forschung und Lehre“, sagte Sebastian Thieme von der
kritischen Standesvereinigung World Economics Association. „Es ist ein
echtes Problem, wenn die überall vertretene neoklassische Lehre in
neoliberale Politik umgesetzt wird“, meint Mitorganisator Frederick
Kussner.
„Man kann als Hochschullehrer leichter Karriere machen, wenn man Genehmes
sagt“, ärgert sich Helmedag. Dabei sei die vorherrschende konservative
Lehrmeinung oft so simpel wie irreführend. Wenn Mainstream-Ökonomen wie der
Münchner Hans-Werner Sinn fordern, den Mindestlohn auszusetzen, um
Flüchtlinge in Arbeit zu bringen, graust es Helmedag. „Der Doppelcharakter
des Lohnes wird nicht beachtet“, meint der Ökonom. Nämlich, dass er zwar
Kosten bedeute, aber auch zu mehr Konsum führe.
## Viel sparen = wenig Impulse
Allerdings sähen „Lautsprecher der Unternehmer“ – wie Sinn – meist nur…
einen Aspekt. Eine ähnliche Tendenz registriert Helmedag beim Thema
„ausgeglichener Bundeshaushalt“, der „schwarzen Null“ von
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Für Helmedag führt zuviel Sparen zu
weniger Impulsen für die Unternehmen: „Wenn die Turnhalle nicht montiert
wird, haben Maler und Lackierer nichts zu tun.“ Weitere populäre Irrtümer
für den pluralen Ökonomen: Das Gerede von den guten Steuersenkungen – oder
den positiven deutschen Exportüberschüssen.
Es geht nicht nur um vermeintlich trockene Wirtschaftspolitik oder das
Geplauder elitärer Wissenschaftszirkel, sondern auch „um die Deutungshoheit
in der ökonomischen Bildung“, sagt Bettina Zurstrassen von der Universität
Bielefeld. Jüngst hatte das Bundesinnenminsterium den Vertrieb einer von
der Soziologin für die Bundeszentrale für politische Bildung
mitzusammengestellten Sammelpublikation zur ökonomischer Lehre an Schulen
glatt verboten.
## Zu einseitiges Bildungsmaterial
Nachdem der Bundesverband der Arbeitgeberverbände kritisiert hatte, der
Sammelband vermittle ein „monströses Gesamtbild von intransparenter
eigennütziger Einflussnahme der Wirtschaft auf Politik und Schule“, war die
Publikation Zurstrassens im Sommer gestoppt worden. Erst nach heftigem
öffentlichem Druck – sie sagte: „Der Gang in die Medien ist mir nicht
leicht gefallen“ – durfte der Band vor einigen Wochen doch erscheinen.
Allerdings mit einem Einleger, die Publikation sei „einseitig“. Zustrassen
wollte mit ihrer Arbeit genau das Gegenteil vermitteln – und sprach am
Freitag von einer „Intrige“.
Wie einseitig ordoliberal das Bildungsmaterial an deutschen Schulen
vielfach ist, moniert auch der Ökonom Till van Treeck von der Uni
Duisburg-Essen. Das Problem: Das von Konzernen und Lobbygruppen zur
Verfügung gestellte Online-Lehrmaterial widerlaufe oft dem
Kontroversitätsgebot für Lehrmaterial. Allerdings suchten Lehrer heutzutage
per Google nach Informationen zu aktuellen Themen wie der Euro-Krise – und
landeten bei Material, das von Allianz, McDonald‘s oder McKinsey finanziert
worden sei. „Fast alle Dax-Unternehmen lassen Unterrichtsmaterialen
erstellen“, sagt van Treeck. Er forderte, dass man das Kontroversitätsgebot
auch für die akademische Lehre übernehmen müsse: „Die Forschung kann frei
sein, aber in der Didaktik gibt es das nicht.“
Und was fordert die SPD? Immerhin wollen die parteinahen Gewerkschaften DGB
und GEW eine Qualitätsprüfung auch für Online-Unterrichtsmaterialien.
28 Nov 2015
## AUTOREN
Kai Schöneberg
## TAGS
Kritik
Studium
Europäische Union
Transformation
Hans-Werner Sinn
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