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# taz.de -- Islamismusexpertin über IS-Mädchen: „Pubertierendes Girlie-Gequ…
> Sehnsucht, Emanzipation, WhatsApp-Anwerbung: Viele Mädchen haben eine
> naive Vorstellung vom Leben im IS-Kalifat, sagt Claudia Dantschke.
Bild: In der IS-Hauptstadt Rakka fordern Plakate mit einer Sure aus dem Koran F…
taz: Frau Dantschke, ein Fünftel derer, die von Deutschland aus in den
Dschihad ziehen, sind nach Angaben der Sicherheitsbehörden Mädchen und
junge Frauen – Tendenz steigend. Ist das auch Ihre Erfahrung in der
Beratung?
Claudia Dantschke: Ja, ihr Anteil steigt seit ungefähr anderthalb bis zwei
Jahren, inzwischen sind mehr als 150 ausgereist. Wir wissen, dass junge
Frauen ganz intensiv angeworben werden. Auch die letzten Ausreisefälle, die
wir in der Beratung hatten, waren überwiegend Mädchen – 15 bis 18 Jahre
alt. Sie werden Dschihadbräute. Die ausgereisten jungen Männer, die nicht
verheiratet sind, wohnen in einer Art Kaserne, sie kriegen erst eine
Wohnung, wenn sie verheiratet sind. Sex außerhalb der Ehe ist streng
verboten. Deshalb wollen alle eine Frau. Westliche Kämpfer oft eine, die
ähnlich sozialisiert ist wie sie. Manche holen sich die Mädchen auch als
dritte oder vierte Frau.
Was ist für Frauen und Mädchen, die in Deutschland aufgewachsen sind, am
Leben im „Islamischen Staat“ attraktiv?
Die Versprechen des salafistischen Dschihadismus wirken auf beide
Geschlechter gleich: Du bist Teil des Kalifats. Du gehörst zur ersten
Generation eines zukünftigen Weltreichs. Du kannst Geschichte schreiben.
Hinzu kommt das Versprechen, das perfekte islamische Leben führen zu
können. Für ein Teil der jungen Frauen ist das eine Möglichkeit, sich von
der Familie zu emanzipieren. Sie sind hier den Eltern oder dem Bruder
unterworfen, der Bruder darf alles, das Mädchen nichts. Solche Mädchen
haben in radikal salafistischen Kreisen das Gefühl von Emanzipation. Dort
gelten die Normen für beide Geschlechter. Und natürlich können auch
Abgrenzung, Provokation und Schock der Familie eine Rolle spielen.
Sind vor allem muslimische Familien betroffen?
Es ist ein großer Teil. Aber es kann jeden treffen – querbeet: muslimisch,
nicht muslimisch, Ost, West. Es gehen auch Mädchen und junge Frauen weg,
die Anerkennung über die klassische Frauenrolle suchen. Denen das Leben
hier zu kompliziert ist. Dort reicht es, wenn du Ehefrau bist. Und wenn du
Märtyrerwitwe bist, ist die Anerkennung noch höher.
Mit welchen Vorstellungen gehen die jungen Frauen dahin?
Mit unglaublich naiven, romantischen Vorstellungen. Sie sehen sich als
Löwin hinter dem Löwen, als Frau hinter dem kämpfenden Mann. Als
Herrscherinnen mit eigenem Hausstand, in dem sie mit drei, vier Schwestern
leben. Sie nehmen nur das wahr, was ihre Vorstellung bestätigt. Sie
schwärmen für die Kämpfer, für einen Teil der Mädchen haben diese die Rolle
von Popstars ersetzt. Die diskutieren: Guck mal, den könnte ich nehmen oder
den, welcher ist hübscher? Das ist nichts anderes als pubertierendes
Girlie-Gequake.
Und wenn sie dort sind?
Dann merken sie, dass sich die Frauen untereinander bespitzeln und dass es
nicht schön ist, den Mann mit anderen Frauen zu teilen. 50 Prozent der
Frauen, schätze ich, würden zurückkommen, wenn sie könnten. Es gibt ja
Mädchen, die versucht haben zu fliehen und gefasst wurden. Sie werden
eingesperrt oder sogar umgebracht. Es gab gerade einen solchen Fall.
Haben Sie schon Mädchen zurückholen können?
Nein, das ist uns bislang nicht gelungen. Wir unterstützen die Eltern. Die
Kids nehmen alle irgendwann wieder Kontakt zu ihnen auf. Manche, weil sie
gleich merken, das ist alles scheiße hier. Andere, weil sie Sehnsucht
haben, wieder andere, weil sie wissen, dass die Eltern leiden, und zeigen
wollen, dass es dafür keinen Grund gibt. Wir bereiten die Eltern auf diese
Kommunikation vor und helfen ihnen, die Brücke zu ihrem Kind wieder
aufzubauen. In manchen Fällen entsteht irgendwann eine Rückkehrabsicht.
Aber wir kriegen die Mädchen im Moment nicht zurück.
Warum nicht?
Männer schaffen es manchmal mit Tricks in die Türkei, etwa indem sie
vorgeben, Geld oder eine Frau, die sie besorgt haben, dort abzuholen.
Frauen dürfen sich aber alleine nicht bewegen. Die sitzen mitten in den
Städten, und allein, um aus der Stadt rauszukommen, müssten sie durch zehn
Checkpoints.
Wie werden die Mädchen rekrutiert?
Die Mädchen, die in Syrien sind, werden dort vom IS angehalten, ihre
Freundinnen, die sie zurückgelassen haben, zu kontaktieren. Über
Chatgruppen, WhatsApp-Gruppen, Telegramgruppen. Sie schildern das Leben im
Kalifat in den schönsten Farben. Die Mädchen sind neugierig, da ist jemand
vor Ort, das ist authentisch. Sie sind zum Teil sehr politisiert,
interessieren sich für Ungerechtigkeit, für die Unterdrückung der Muslime.
So werden weitere gelockt, die dann wieder neue kontaktieren. Es ist wie
ein Schneeballsystem. Diese Mädchennetzwerke hängen alle irgendwie
zusammen.
Werden Frauen beim IS in Propagandaarbeit geschult?
Wer nach Syrien kommt und noch nicht versprochen ist, kommt ins Frauenhaus,
das muss man sich wie einen Frauenknast vorstellen. Da gibt es politische
Indoktrination. Da lernt die Aufpasserin die Mädchen kennen: Was bringen
die mit, wie kann man das nutzen? Die Mädchen werden angehalten, Kontakte
aufzunehmen. Dabei werden sie angeleitet. Aber das macht nicht jede.
Läuft die Rekrutierung von Frauen allein über persönliche Kontakte? Bei den
Männern wissen wir von Fälle wie in Wolfsburg oder Dinslaken, wo ein
fremder, charismatischer Prediger aufgetaucht ist, eine Gruppen um sich
schart und diese dann radikalisiert …
Es gibt Werberinnen hier, die wirken aber – wegen der strikten
Geschlechtertrennung – nur innerhalb des Frauenbereichs. Wir wissen nur
sehr wenig darüber, wie das in den Frauengruppen abläuft.
Läuft die Werbung über die Moscheen?
Zum Teil. Wir haben gerade einige Mädchen, die in einem Islamkurs an einer
Moschee sind, die radikalisieren sich immer mehr. Oft ist es so, dass die
Moschee zur Kontaktaufnahme genutzt wird, die Gruppe irgendwann aus der
Moschee rausgelöst wird und sich dann privat trifft. Aber es gibt auch
Hardcore-Moscheen wie die Ibrahim-Al-Khalil-Moschee in Berlin-Tempelhof.
Mehrere aus Berlin Ausgereiste wurden dort radikalisiert. Deshalb kann man
davon ausgehen, dass da auch im Frauenbereich rekrutiert wird. Aber die
Mädchenanwerbung läuft vor allem über direkte, persönliche Chatgruppen.
Wie funktioniert das?
Ich hatte einen Fall, da ist ein junger Mann nach Syrien ausgereist und der
hat seine 16-jährige Schwester rekrutiert. Sie sollte in ihrem Heimatort
ein Mädchennetzwerk aufbauen. Das Mädchen hatte Probleme mit den Eltern,
der Ausgereiste war der Einzige in der Familie, der sie verstanden hat. Die
Sehnsucht, zu dem Bruder nach Syrien zu reisen, wuchs. Das machte sie für
die Ideologie empfänglich. Er hat sie durch seinen Auftrag auch
aufgewertet. Sie hat dann ihre Freundinnen rekrutiert. Der Mutter ist das
irgendwann aufgefallen, sie hat das Handy der Tochter dem Staatsschutz
übergeben. Da ist ein Netzwerk von 17 oder 18 Mädchen aufgeflogen. Zwei von
ihnen waren schon ausgereist.
Gibt es beim IS für Frauen nur die Rolle der Ehefrau und Mutter?
Das ist die primäre Rolle: den Kämpfer umsorgen und Kinder für das Kalifat
gebären. Manche Frauen werden auch als Krankenschwestern ausgebildet,
andere sind wichtig für die Propagandaarbeit, da muss ja zum Beispiel
vieles übersetzt werden. Die meisten langweilen sich zu Tode und fangen
dann an zu chatten: zum Teil Banales, zum Teil mit einer unglaublichen
Unmenschlichkeit. Eine Frau, die sich Diener Allahs nannte, hat bei Twitter
das erste Massenköpfungsvideo gepostet und geschrieben: The most beautiful
moment. IS wird immer bleiben. Das ist wie beim Rechtsextremismus: Man darf
die Frauen nicht unterschätzen.
Es gibt auch Bilder von Frauen mit Kalaschnikow im Arm. Ist das nur Pose?
Frauen werden an der Waffe ausgebildet, um sich verteidigen zu können,
nicht für den Kampf. Von den 150 Frauen, die aus Deutschland ausgereist
sind, haben drei gekämpft. Auf den Fotos posieren sie für die Heimat.
Es gibt aber auch Frauenbrigaden wie al-Khansa …
Die Al-Khansa-Brigade ist keine Kampftruppe, sondern eine Art Moralpolizei.
Ein Mann darf auf der Straße keine Frau ansprechen, das übernimmt diese
Brigade. Mir ist nur diese eine bekannt, sie ist im Zentrum von Rakka
stationiert.
Deutschland beteiligt sich nun auch mit Aufklärungstornados am Krieg in
Syrien. Die verstärkten Einsätze des Westens gegen den IS – macht sie Ihre
Arbeit schwerer, weil der Westen gegen die Muslime vorgeht? Oder leichter,
weil der Siegeszug des Kalifats gebrochen werden könnte?
Das ist im Moment schwer zu sagen. Entscheidend ist, was politisch
passiert. Wenn Assad wieder hoffähig gemacht wird, wäre das für uns eine
Katastrophe. Dann heißt es wieder: Ihr unterstützt den Schlächter. Wir,
die Sunniten, sind die Opfer. Aber das bemerke ich noch nicht. Sondern eher
den Schock von Paris. Der hat bis in konservative muslimische Kreise
sensibilisiert. Auch dort heißt es jetzt: Wir müssen an dieses Thema ran.
1 Jan 2016
## AUTOREN
Sabine am Orde
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