Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fernsehfilm über Hebammen: Liebe, Sexualität, Familie, Geburt, Tod
> In „Nacht der Angst“ steht Nina Kunzendorf als Hebamme vor Gericht. Ein
> Film über einen ebenso schönen wie schwierigen Beruf.
Bild: Spielt die Hauptrolle in „Nacht der Angst“: die Schauspielerin Nina K…
Vor drei Jahren stieg Nina Kunzendorf nach fünf Episoden beim Frankfurter
„Tatort“ aus. Obwohl ihre Figur, die Hauptkommissarin Conny Mey, gut ankam
und das ErmittlerInnen-Gespann Kunzendorf/Joachim Król großartig
anzuschauen war. Trotzdem das frühe Ende. Warum? Sie selbst äußerte sich
nicht. Und hält sich bis heute daran.
Schluss mit der Suche nach Erklärungen und Konzentration auf das Neue: ihre
erste große TV-Rolle seit dem Abschied vom Krimiklassiker. In dem
sehenswerten Fernsehfilm „Nacht der Angst“ (Buch und Regie: Gabriela
Zerhau) beweist Nina Kunzendorf einmal mehr ihr schauspielerisches Können
und ergreift Partei für eine vom Aussterben bedrohte Berufsgruppe: die
freiberuflichen Hebammen.
Zur Story: Die erfahrene Hebamme Emma Hartl (Nina Kunzendorf) muss sich vor
Gericht für die schwere Behinderung eines Kindes verantworten. Sie hat in
ihrem Geburtshaus bei ihrer Freundin Sesha (Friederike Becht) ein halbes
Jahr zuvor eine Zwillingsgeburt vorgenommen, bei der es zu Komplikationen
kam.
Sesha und ihr Ehemann (Marcus Mittermeier) beendeten die Freundschaft zu
Emma und reichten Klage ein. Die Geschichte wird in Rückblenden erzählt,
wechselt vom Gerichtssaal in die Zeit vor und in die verhängnisvolle Nacht
der Geburt. Dem Zuschauer wird nach und nach klar, was wirklich passiert
ist. Die Zeitsprünge sind anfangs verwirrend, funktionieren letztlich aber.
## Über schwierige Arbeitsbedingungen aufklären
Neben grundsätzlichen Fragen nach Schuld und Verantwortung in einem
bedauerlichen Einzelfall klagt die aufwühlende Produktion erstaunlich
direkt die schwierige Arbeitssituation von freiberuflichen Hebammen an, die
seit Jahren mehr oder weniger ergebnislos diskutiert wird. Unter anderem
spielen die Folgen der hohen Berufshaftpflichtbeiträge im Film eine
entscheidende Rolle. Diese haben sich in den vergangenen 13 Jahren
verzehnfacht, betragen heute bis zu 6.274 Euro pro Jahr.
Günstiger wird es nur, wenn freie Hebammen auf die eigentliche Geburtshilfe
verzichten und ausschließlich Beratung, Schwangerschaftskurse und
Wochenbettbetreuung anbieten – wofür sich auch immer mehr Hebammen
entscheiden. Im Film beschließt die klamme Emma, dass sie eine Zeit lang
ohne die kostspielige Versicherung arbeitet. Eine fatale Entscheidung.
„Ich schätze es sehr, dass der Film sich ohne schwarz-weiß zu malen
eindeutig auf eine Seite stellt – denn die Situation von Hebammen ist ein
gesellschaftspolitischer Skandal“, sagt Nina Kunzendorf, deren erster
richtiger Berufswunsch mit 16 Jahren tatsächlich Hebamme war. „Ich hoffe,
dass wir viele Menschen wachrütteln und zum Protest animieren, in welcher
Form auch immer.“
Zur Vorbereitung auf ihre Rolle verbrachte sie ein paar Tage in einem
Berliner Geburtshaus: „Ich versuche ohnehin immer, meine Rollen so
authentisch wie möglich anzulegen. Wenn ich mich – wie in diesem Falle – in
den Dienst einer Sache stelle, ist mir das sogar noch ein bisschen
wichtiger. Ich wollte deshalb zum Beispiel wissen, wie man einen Bauch
abtastet, wie im Geburtshaus miteinander gesprochen wird.“
## Ein bisschen gekünstelt
Erfahren hat sie während ihrer Hospitanz noch viel mehr: „Dass dieser
Berufsstand existenziell bedroht ist, konnte man permanent spüren, die
Frauen stehen unter einem enormen Druck. Trotzdem haben alle Hebammen, die
ich getroffen habe, eine riesige Leidenschaft und Liebe für ihren Beruf.
Ich glaube, das liegt daran, dass sie unmittelbar mit den existentiellen
Fragen des Lebens beschäftigt sind. Mit Liebe, Sexualität, Familie, der
Geburt, dem Tod. Das ist in dieser Ausprägung nur bei wenigen Berufen der
Fall.“
Vielleicht liegt es wirklich an den von ihr gesammelten Eindrücken vor Ort,
jedenfalls spielt Kunzendorf die warmherzig-engagierte, ein bisschen
hippiemäßige Geburtshelferin glänzend. Genauso aber auch die verzweifelte
Frau, die vor Gericht um ihre Ehre und Existenz kämpft, während die Anklage
versucht, sie als leichtfertige Esoterikerin hinzustellen (die sie
vielleicht auch ist).
Zum Glück erliegt der Film nicht der naheliegenden Versuchung, Geburten im
Geburtshaus gegen die ach so böse Klinikgeburt in Stellung zu bringen. Dass
es bei diesem Thema Glaubenskämpfe gibt, wird lediglich kurz erwähnt. Der
Einblick in das Arbeitsleben der Hebammen ist interessant und
aufschlussreich, und es ist ein großes Verdienst, dieses zu Unrecht etwas
abseitig wirkende Thema überhaupt in einem Fernsehfilm platziert zu haben.
Allerdings ist es nicht immer gelungen, die Problemlagen dieser
Berufsgruppe elegant in die Geschichte einzuflechten. Manche Dialoge sind
allzu offensichtlich als Faktenvermittler angelegt und wirken dadurch
gekünstelt. Auch ist die Familie der betroffenen Mutter in manchen Szenen
zu eindimensional gestaltet. Einfache Antworten werden dem Zuschauer bei
aller Parteinahme nach 90 Minuten aber nicht präsentiert. Zwar wird am Ende
ein juristisches Urteil gefällt, damit sind aber längst nicht alle Fragen
geklärt.
30 Nov 2015
## AUTOREN
Sven Sakowitz
## TAGS
Hebammen
ZDF
Tatort
ARD
Shakespeare
Holocaust
## ARTIKEL ZUM THEMA
ARD-Thriller über Zeugenschutz: Endlich angekommen
Holger Karsten Schmidt schrieb „Das Programm“ für Sat1. Der Sender lehnte
ab. Das ZDF wollte den Film. Doch er war zu teuer. Nun zeigt ihn die ARD.
Schiedsspruch zu Geburtshilfe: Hausgeburt in Gefahr
Ein Schiedsspruch belegt Hausgeburten mit Qualitätskriterien.
Freiberufliche Hebammen fürchten um ihre Existenz.
Neues „Tatort“-Team in Frankfurt: Das. Muss. Knallen!
Kein Grund zum Jubeln: Jede Menge Tote, Verwirrungen und ein bisschen
Liebe, leider von allem etwas zuviel und dazu noch sehr unausgegoren.
Christian Petzolds neuer Film „Phoenix“: Aus dem Reich der Toten
In „Phoenix“ überlebt eine Frau das KZ. Und Regisseur Christian Petzold
sucht nicht nach irgendwie anständig gebliebenen deutschen Figuren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.