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# taz.de -- ARD-Thriller über Zeugenschutz: Endlich angekommen
> Holger Karsten Schmidt schrieb „Das Programm“ für Sat1. Der Sender lehnte
> ab. Das ZDF wollte den Film. Doch er war zu teuer. Nun zeigt ihn die ARD.
Bild: Im Zeugenschutz: Simon Dreher (Benjamin Sadler, links) und LKA-Ermittleri…
Seit mehr als 20 Jahren schreibt Grimme-Preisträger Holger Karsten Schmidt
Drehbücher fürs Fernsehen, und er sieht die Dinge gelassen: „Ich bin kein
großer Fan von Werbeblöcken, aber immerhin kann man da mal Bier holen und
auf Toilette gehen. Das geht in diesem Fall nicht. Ich finde es recht
optimistisch, 180 Minuten am Stück auszustrahlen und zu hoffen, dass der
Zuschauer dabeibleibt.“ Er meint damit den opulenten dreistündigen Thriller
„Das Programm“, der heute Abend im Ersten läuft und dessen Drehbuch er
schrieb.
Ausgangspunkt der Geschichte ist ein Prozess gegen den Gangsterboss Philip
Darankow (Wladimir Tarasjanz). Der sitzt in U-Haft und lässt mögliche
Belastungszeugen aus dem Weg räumen. Sein nächstes Opfer könnte der Banker
Simon Dreher (Benjamin Sadler) sein, der für ihn vermutlich die Geldwäsche
organisiert. Die LKA-Ermittlerin Ursula Thern (Nina Kunzendorf) bietet
Dreher einen Deal an: Wenn er gegen Darankow aussagt, bleibt er straffrei
und kommt in ein Zeugenschutzprogramm.
Dreher streitet zunächst alles ab, aber als auf ihn geschossen wird,
willigt er ein. Fortan müssen er und seine Familie alle Kontakte zu
Freunden und Verwandten abbrechen und unter falschem Namen ein neues Leben
beginnen. Dabei hatte sich seine Tochter (Paula Kalenberg) gerade erst
verlobt, und seine Frau (Stephanie Japp) wollte heimlich mit dem smarten
Segellehrer (Kai Scheve) nach Portugal auswandern. Stattdessen werden die
Drehers nach Südtirol „verpflanzt“ (Polizeijargon) und dort von Ursula
Thern sowie zwei weiteren Kollegen (Alwara Höfels, Carlo Ljubek) Tag und
Nacht bewacht.
Eines war Autor Holger Karsten Schmidt besonders wichtig: „Ich kann mich
nur an Filme erinnern, in denen die Zeugenschützer reine Stichwortgeber
waren und das Hauptinteresse den Zeugen galt“, sagt er. „Mich aber haben
die Zeugenschützer genauso interessiert. Was sind das für Leute, wie ticken
die, wie arbeiten die? Ohne diesen Mehrwert hätte ich das Drehbuch
vermutlich nicht geschrieben.“
## Eine wahre Odysee
Um diesen Teil der Geschichte möglichst realistisch zu erzählen, traf er
sich mit dem früheren Hamburger LKA-Chef Reinhard Chedor, löcherte diesen
mit Fragen und setzte seine Erkenntnisse im Drehbuch um. Ausnahme vom
Authentizitätsprinzip: Eine Zeugenschützerin würde nie parallel auch noch
in einem Fall ermitteln, aber Schmidt zufolge wäre der Film mit einer
weiteren Polizistin zu sperrig geworden, deshalb übernimmt Ursula Thern bei
ihm beide Aufgaben.
Schmidt hat mit seinem Drehbuch eine wahre Odyssee hinter sich. Wie er
berichtet, wurde „Das Programm“ bereits 2008 als Event-Zweiteiler für Sat1
entwickelt. „Bei der zweiten Drehbuchfassung fiel den Verantwortlichen auf,
dass es sich dabei um einen Thriller handelte und sie eher ein
Familiendrama ohne Fokus auf die Zeugenschützer haben wollten“, erzählt
Schmidt. Er habe das Drehbuch dann zu einem 90-Minüter eingekürzt, bevor
das Projekt dort ganz gestrichen wurde. Anschließend zeigte das ZDF
Interesse an dem Thema: „Meine neu geschriebene 120-Minuten-Fassung galt
als zu teuer, aber auf Stars mit großen Gagen wollte man nicht verzichten.“
Schließlich schlug die Degeto vor etwas mehr als einem Jahr zu. „Solche
Prozesse sind extrem ärgerlich, gehören aber leider zum Alltag“, sagt
Schmidt. „Alle fragen sich immer, wieso aus den USA und Dänemark so tolle
TV-Produktionen kommen. Grundbedingung dafür ist, dass man den Urhebern die
inhaltliche Hoheit zurückgibt. Wenn man das nicht tut und eine Story danach
ausrichtet, welcher Darsteller Zeit hat, was der Programmchef für Vorlieben
hat oder wo ein Sendeplatz frei ist, werden hierzulande weiterhin viele
großartige Stoffe und Drehbücher nie den Weg ins Fernsehen finden.“
## Drei Stunden lohnen sich
Gut für die ZuschauerInnen, dass es in diesem Fall doch noch geklappt hat.
Die Konflikte der Familie werden gründlich erforscht, parallel wird ein
spannender Kriminalfall erzählt, es gibt interessante Einblicke in die
Abläufe eines Zeugenschutzprogramms. Die Schauspieler-Riege überzeugt,
allen voran die ohnehin meist großartige Nina Kunzendorf sowie Benjamin
Sadler, der früher in manchen Rollen zu glatt erschien, aber gealtert
erscheint – und das sehr zu seinem Vorteil.
Die Psychologie der Personenschützer hätte allerdings gern noch etwas
tiefgründiger betrachtet werden können, der Schwerpunkt liegt entgegen der
erklärten Absicht des Autors auf der Familie des Kronzeugen. Unschön ist
auch, dass am Ende durch einen Dialog erklärt wird, was genau sich in den
letzten sehr turbulenten 30 Minuten des Films eigentlich ereignet hat.
Hält man die Zuschauer für zu unaufmerksam? Dafür gibt es eigentlich keinen
Grund: „Das Programm“ bietet erstklassige Thriller-Unterhaltung und
entwickelt zumindest einen so starken Sog, dass bestimmt nur die wenigsten
Zuschauer ständig aus Langeweile auf Toilette gehen oder Bier aus dem
Kühlschrank holen.
4 Jan 2016
## AUTOREN
Sven Sakowitz
## TAGS
ARD
Thriller
Hebammen
Shakespeare
Holocaust
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