# taz.de -- Urban Gardening in New York: Es begann in der Lower East Side | |
> Bedroht von Bauprojekten, gefördert vom Trend: Die Community-Gärten in | |
> einer Stadt, die Nummer eins bei der Klimaprävention werden will. | |
Bild: Classie Parker und ein Nachbar in ihrem Garten in Harlem. | |
An der 6. Straße zwischen Avenue B and C fehlen zwei Häuser. Auf dem Grund | |
hinter dem hohen Zaun liegt ein Garten. Die Leute, die damals in der | |
Nachbarschaft wohnten, haben ihn vor ungefähr 30 Jahren als | |
Community-Garten angelegt. Denn außer dem übervölkerten Tompkins Square und | |
den Straßenbäumen gibt es in dieser Gegend kaum Grün. Es ist Oktober. | |
Überall im Garten blühen Rosen, Astern und gelber Topinambur, dazwischen | |
duften Thymian, Salbei, Lavendel Rosmarin. | |
Die rotbäuchigen Wanderdrosseln, die im Herbst auf ihrem Weg in den Süden | |
in New York Station machen, flöten in Bäumen und picken dicke Löcher in die | |
Äpfel. Soretta Rodack zeigt auf Phlox, Winteranemonen und amerikanisches | |
Eisenkraut. „Unser Garten ist sehr fotogen, hier wurden schon viele Filme | |
gedreht“, sagt sie. „Wir zeigen den Menschen, wie erstaunlich vielfältig | |
die Natur ist. Die Kinder von der benachbarten Earthschool sind oft hier.“ | |
Soretta ist die Vorsitzende des Community-Gartens. In den sechsziger Jahren | |
kam sie aus der Karibik nach New York, fand hier Arbeit und mit anderen | |
zusammen eine billige Wohnung. Eine zweite Gärtnerin schneidet Verblühtes | |
ab. Die beiden kennen sich schon lange, verständigen sich auf Spanisch. | |
Als Vorsitzende muss sie mit den New Yorker Parkamt zusammenarbeiten. „Viel | |
Papierkram ist das. „Nicht so meins“, sagt sie. 400 Community-Gärten liegen | |
auf städtischem Grund. Dazu gibt es um die 160 Gärten, die auf Land liegen, | |
das durch Kauf vor der Bebauung gerettet wurde, und einige auf privatem | |
Land. | |
## Es begann in den siebziger Jahren | |
Die ersten Gemeinschafts-Gärten entstanden in den siebziger Jahren, damals | |
besetzten die GärtnerInnen einfach die Brachen. Die „Green Guerillas“ gibt | |
es bis heute. Aber jetzt ist es eine etablierte NGO. Damals entstanden | |
allein in der Lower Eastside im Süden von Manhattan über 40 solcher | |
Community-Gärten als (halb-)offene Nachbarschaftstreffs. | |
Ein Community-Garten, der immer offen steht, liegt ein paar Straßen weiter. | |
Der „Little Secret Garden“ ist ein schmales, durch Häuser und Bäume | |
verschattetes Stückchen Land. Zwischen Büschen und Vogelhäuschen sitzen | |
Nachbarn, hier ein Liebespärchen, dort eine Lesende, unterm Baum ein | |
älterer Herr und am runden Tisch Studenten mit Laptops. | |
Am Eingangstor liegt ein Buch, in dem die wechselhafte Geschichte der Lower | |
East Side und der Community-Gärten erklärt wird. 1840 hieß die Gegend nach | |
der Haupteinwanderergruppe „Germantown“. Auf einer handschriftlich | |
verfassten Einladung steht: „Gardenmeeting every 1st Wednesday a month.“ | |
Jeder ist willkommen. | |
Im nächsten Garten, zwischen 9th Street und der Avenue C ist das Tor | |
angelehnt. Mitten im Dickicht blau blühender Prunkwinden, Begonien und | |
Dahlien steht eine Hütte. Ältere Herren erweitern gerade mit viel | |
Maschinenlärm den Kochstand. Sie nicken allen freundlich zu, sie sprechen | |
spanisch. Hinter einem kleinen Zaun wirtschaftet Helen zwischen | |
Kohlpflanzen. | |
Sie ist aus England zugewandert und wohnt im angrenzenden Hochhaus. Die | |
70-Jährige gehört zum Vorstand des Gartens. Ihre Kolleginnen aus den | |
Niederlanden und der Karibik setzen sich zu ihr. „Dieser Sommer war zu | |
heiß“, sagt Helen. „So heiß, dass wir tagsüber kaum in den Garten konnte… | |
New York braucht viel mehr Grün zur Kühlung.“ | |
## Bürgermeister De Blasio hat andere Pläne | |
Der neue demokratische New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio sieht das | |
anders. Er will – wie sein Vorgänger Rudolph Giuliani 1999 – die Flächen | |
der Gemeinschaftsgärten bebauen lassen. Einfach wird das aber nicht, denn | |
der Land Trust verteidigt die Gärten. Classie Parker in einem | |
Community-Garten in Harlem erklärt, wie. Sie wollen das Gartenland kaufen, | |
das bebaut werden soll. | |
„Was allerdings viel Verhandlungsgeschick erfordert.“ 1999 hatte der Land | |
Trust in New York 62 Gemeinschaftsgärten gekauft, um sie vor Investoren zu | |
schützen. Er ist Teil der überregionalen Land-Trust-Bewegung, die in den | |
USA bereits Tausende von Hektar vor Bebauung gerettet hat. | |
Classie Parker, die gerne schöne Hüte trägt, lebt schon immer in Harlem. | |
Den ersten Garten gründete sie Mitte der neunziger Jahre auf einem hässlich | |
vermüllten Grundstück, um ihrem Vater den Einstieg in den Ruhestand zu | |
ermöglichen. Er hörte dann zwar doch nicht auf, aber er brachte den | |
Neugärtnerinnen das Anbauen von Gemüse bei. Die Eltern hatten in North | |
Carolina eine kleine Farm. Während Classie Parker früher Donuts verkaufte, | |
arbeitet sie heute als medizinisch-technische Assistentin. | |
Die Mitarbeit in den vielen Gremien zur Rettung der Gemeinschaftsgärten | |
hätten ihr viele Chancen eröffnet, betont sie. Anfangs gründeten sie in | |
ihrer Straße ganze fünf Gemeinschaftsgärten, bevor Giuliani die vier | |
anderen verhökerte. In den frühen 2000er Jahren standen an ihrer Stelle | |
halbfertige Bauruinen. Nun ist auch der letzte Garten in Gefahr. Weil die | |
alte Bewohnerschaft zwangsweise in die Bronx umgesetzt wurde und sich die | |
jungen Bewohner nicht genug kümmern könnten. Sie bräuchten, erzählt Parker, | |
zwei Jobs, um überhaupt überleben zu können. | |
Der neue Bürgermeister de Blasio möchte auf Community-Garten-Land Häuser | |
bauen – Sozialwohnungen, wie er angibt. Dennoch steht dies im Widerspruch, | |
denn die Stadt New York will Nummer eins in Sachen Umweltschutz und | |
Klimawandelprävention werden. Zumindest behaupten das die Vertreter der | |
Stadt auf der Tagung „Cities Alive“. | |
## Behörden fördern Umweltschutz und Recycling | |
Der Supersturm „Sandy“ im Herbst 2012 hatte New York voll gelaufene Keller | |
und Tunnel beschert. Es entstanden hohe Kosten, bis endlich die | |
U-Bahn-Schächte wieder leer gepumpt waren. Auch der viel zu heiße Sommer | |
2015 belegt: Der Klimawandel ist Fakt. Regenwasser-Auffangbecken, | |
Straßenrand-Grün samt Gräben, und die Förderung der urbanen Agrikultur, | |
darunter auch Dachfarmen, sind ein Mittel, die Folgen von Extremregen zu | |
mildern. | |
Cynthia Rosenzweig vom NASA Goddard Institut for Space Studies sagt, der | |
Wasserspiegel sei im letzten Jahrhundert an der nordamerikanischen Küste | |
nicht nur um 8, sondern sogar um 30 Zentimeter gestiegen. Es wäre dringend | |
geboten, den Klimawandel anzuerkennen. Besonders für eine Stadt wie New | |
York, die kilometerlange Küsten hat. | |
Seit 2012 bemüht sich die Stadt darum, die Menschen für Klimapolitik, | |
Umweltschutz, Recycling und Mülltrennung zu interessieren. „Grow New York | |
City“ („GrowNYC“) ist eine Art Behörde, ein „Programm“, das direkt b… | |
Bürgermeister angesiedelt ist. | |
GrowNYC betreibt 40 Gemüsemärkte durch Förderung der Direktvermarktung vom | |
Umland in die Stadt. Es setzt sich für Umwelt- und Ernährungsbildung via | |
Schulgärten ein und fördert das Einsammeln der Küchenabfälle auf den | |
Gemüsemärkten. Und bietet nun auch ein einjähriges Umschulungsprogramm zum | |
Stadtbauern an. Die jungen Leute arbeiten währen der sieben Sommermonate | |
als Freiwillige in verschieden Community-Gärten oder Cityfarmen mit und | |
erhalten zugleich theoretischen Unterricht. Arbeitsplätze müssen sie sich | |
danach allerdings selbst beschaffen. | |
GrowNYC fördert Jugendfarmen in Stadtteilen außerhalb der inneren City, wo | |
es mehr Freiflächen gibt. Entgegen offiziellen Statistiken sind | |
Arbeitslosigkeit und Armut unter den Migranten im östlichen Brooklyn oder | |
in East New York groß. Auf dem samstäglichen Farmers Market in East New | |
York ist gute Stimmung. Der Gemüsemarkt wurde vor 20 Jahren ins Leben | |
gerufen, um eine Perspektive gegen Armut, Erwerbslosigkeit und Drogenkonsum | |
zu schaffen. Joshua, 17 Jahre alt, erzählt mit lässiger Professionalität. | |
## Ausbildung im biologischen Gemüseanbau | |
Joshua arbeitet bei East New York Farms den ganzen Sommer über und die | |
anderen Monate nach der Schule. Im Jugendgarten ackern sie drei Tage die | |
Woche, die anderen Tage haben sie Unterricht. Insgesamt sind sie 30 junge | |
Leute, die so Grundzüge des Bio-Anbaus sowie die Vermarktung des Gemüses | |
lernen. | |
Damit könnten sie in Gärtnereien arbeiten oder einen Gemüsemarkt leiten. | |
Blackie aus einer Familie aus Jamaika erzählt, wie gerne sie nun | |
Landwirtschaft studieren würde, leider wäre das nächste College für | |
Gartenbau sieben Stunden von New York entfernt. Und so weit weg von der | |
Familie zu sein, könne sie sich nicht vorstellen. | |
Lenny Librizzi, einer der Direktoren von GrowNYC, ist sich sicher, dass die | |
jungen Leute eine Chance hätten: Angesichts der wachsenden Bedeutung von | |
Local Food scheint die urbane Agrikultur und die Rückkehr zum Gemüseanbau | |
in der Umgebung folgerichtig. Er ist zuversichtlich: Bereits früher habe | |
die Stadt New York mit gewissem Erfolg Programme aufgelegt,die mittellosen | |
Zuwanderern Chancen in der Landwirtschaft im Umland eröffneten. | |
28 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Meyer-Renschhausen | |
## TAGS | |
New York | |
Urban Gardening | |
Bill de Blasio | |
Film | |
Urban Gardening | |
Tempelhofer Feld | |
Urban Gardening | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Doku über Urban Gardening: Der Geschmack der wilden Birne | |
In „Wild Plants“ geht es nicht nur um das Gärtnern im Stadtraum. Der | |
Zuschauer lernt etwas über Spiritualität, Werden und Vergehen. | |
Ende für Urban Gardening?: Gärtner wollen nicht an Deck | |
Mitglieder fordern den Erhalt des Urban-Gardening-Projekts Gartendeck auf | |
St. Pauli, doch die Stadt will das Gelände schnellstmöglich mit Wohnungen | |
bebauen. | |
Gärtner-Tipps für Hauptstädter: Möhren im Wind | |
Urbanes Gärtnern - halb Trend, halb Hype. Die Soziologin und | |
Gartenbegeisterte Elisabeth Meyer-Renschhausen hat reale Erfahrung damit | |
und gibt sie in Buchform weiter. | |
Landwirtschaft für Anfänger: Städter wollen ernten | |
Auch ohne eigenen Garten kann man Biobauer spielen – auf vorbepflanzten | |
Mietäckern und -gärten. Die Nachfrage danach steigt. |