# taz.de -- Musikalischer Brückenschlag: Vereint im Chaos der Jugend | |
> Eine iranische und eine israelische Band gehen gemeinsam auf | |
> Deutschland-Tournee. Das ist alles andere als selbstverständlich. | |
Bild: Die Mitglieder der iranischen Band Langtunes und der israelischen Band Ra… | |
NÜRNBERG/ LEIPZIG taz | Die ehemalige Leipziger Fabrikhalle bebt noch nach, | |
als Amit seinen blutigen Daumen in die Höhe hält, die Zunge herausstreckt | |
und ruft: „I had fun tonight!“ In seinen Augen schimmert noch die leichte | |
Manie, die ihn während des Konzerts ergriffen hat. Schweißüberströmt umarmt | |
der Gitarrist seine israelischen Bandkollegen. Nun kommen auch die Musiker | |
der anderen Band nach vorn und gratulieren: “L’Chaim! Salam Ati! Prost!“ | |
Die Band stammt aus dem Iran. Klirrend treffen sich ihre Bierflaschen. | |
Es war ein erfolgreicher Auftakt für die „Secret Handshake Tour“, ein | |
musikalischer Handschlag zwischen der israelischen Gruppe Ramzailech und | |
den iranischen Langtunes. Zwei Konzerte an einem Abend, zwei völlig | |
unterschiedliche Musikstile aus zwei Ländern, die als Erzfeinde gelten. | |
Hardcore-Klezmer trifft auf Indierock. Für beide Bands war es der Auftakt | |
einer Tour, die für den Frieden stehen soll – zwischen den Völkern, | |
zwischen Iranern und Israelis. | |
Nur eine Nachricht trübt die Stimmung. Ein Radiosender eines iranischen | |
Oppositionellen hat verkündet, dass die Langtunes mit einer israelischen | |
Band auf Tour sind. Damit haben die vier iranischen Musiker nicht | |
gerechnet. „Klar haben wir Angst. Wir wissen ja nicht, was passieren wird“, | |
Behrooz, der sonst so selbstbewusste Sänger und Gitarrist der Band, ist | |
verunsichert. Fast ein Jahr mussten er und seine Kollegen Kamyar, Sam und | |
Garen auf das Künstlervisum für Deutschland warten. Kurz nach Ende der | |
zweiwöchigen Tour läuft es aus – was danach kommt, ist unklar. | |
## Gemeinsam ein Zeichen setzen | |
Am Tag zuvor in Nürnberg scheint schwach die Novembersonne. Fototermin in | |
der „Straße der Menschenrechte“. Behrooz, mit Röhrenjeans, T-Shirt und Hut | |
ganz in Schwarz gekleidet, steht vor einer der weißen, mehrsprachig | |
beschrifteten Textsäulen und zieht an einer Zigarette. Der Sänger der | |
Langtunes, 29 Jahre alt, zupft mit der linken Hand an einer der | |
herunterhängenden Locken. „Alle denken, ich wäre jüdisch wegen meinen | |
Haaren“, er lächelt. | |
Plötzlich zücken die Fotografen ihre Kameras. Eine Gruppe junger Männer | |
läuft auf Behrooz zu, sie umarmen sich, klatschen sich ab – die Musiker der | |
israelischen Band Ramzailech sind endlich da. Die Auslöser klicken, auf | |
diesen Moment haben die Fotografen gewartet. | |
Vor ziemlich genau einem Jahr haben sich die beiden Bands in Nürnberg | |
kennengelernt. Die Iraner waren für die Aufnahme ihres Debütalbums | |
„Teherantor“ nach Deutschland gekommen. Labelchefin Elnaz Amiraslani | |
arbeitete zu der Zeit gerade mit Ramzailech zusammen. Spontan wurde ein | |
Doppel-Konzert mit beiden Bands organisiert. Es war das erste Mal, dass die | |
Iraner auf Israelis trafen und die Israelis Iraner kennenlernten. | |
„Für Europäer ist das vielleicht nichts Besonderes, aber mit unserem | |
Hintergrund ist das anders. Wir sind damit aufgewachsen, dass wir Israel | |
hassen sollen“, erläutert Behrooz auf Englisch den anwesenden Journalisten. | |
Er ist eloquent und weiß, was er sagen will. „Wir müssen keine großen Reden | |
schwingen, wir machen einfach etwas“, sagt sein israelischer Kollege nur. | |
Musik machen und dabei ein Zeichen setzen, diese Vision verbindet die | |
beiden Bands, auch wenn sie völlig unterschiedliche Stile praktizieren. | |
„Was wir gemeinsam haben, ist das Chaos in unserer Musik. Das kann nur den | |
chaotischen Köpfen der Jugend in unseren Ländern entspringen“, versucht | |
Behrooz zu erklären. | |
## Im Teheraner Untergrund | |
In dem kleinen Studio des Labels Parvenue Records in einer alten Lagerhalle | |
im Westen der Stadt Nürnberg liegen Pedale und Kabel herum, alte | |
Instrumente stapeln sich bis unter die Decke. Mittendrin proben die | |
Langtunes ein letztes Mal vor Tourbeginn. Mit ihrer Mischung aus Rock, | |
Indie-Pop, Electro und Dance, dazu englische Texte, erinnern sie zunächst | |
an eine britische Indie-Band. Jahrelang mussten die vier Musiker deshalb | |
buchstäblich im Underground auftreten. Im Iran ist es verboten, westliche | |
Musik zu verbreiten und auf Konzerten zu spielen. | |
Durch seinen Cousin kam Behrooz zum ersten Mal mit westlicher Musik in | |
Berührung. Auf langen Autofahrten durch Teheran hörte er Lieder von | |
Kraftwerk, Pink Floyd oder Guns N’ Roses. „Ich habe manches Album bis zu | |
200 Mal gehört, weil ich nur wenige Kassetten besaß“, erinnert er sich. Mit | |
seinen Gruftie-Klamotten und den langen Haaren war er seinen Mitschülern | |
suspekt, manche beschimpften ihn als Satanisten. Behrooz streckt seinen | |
Unterarm hervor, wo eine kleine kreuzförmige Narbe zum Vorschein kommt: | |
„Ich hörte viel Heavy Metal damals. Ich war schon ein bisschen verrückt. So | |
etwas fällt in einem Land wie dem Iran sofort auf.“ | |
Langtunes ist ein Kind der Protestbewegung von 2009. Die Bandmitglieder | |
verteilen Demo-CDs im Untergrund und spielen auf illegalen Konzerten. Oft | |
entkommen sie nur knapp der Polizei. Über das Internet gelangen einige | |
ihrer Songs ins Ausland. 2011 spielen die Langtunes zum ersten Mal in | |
Deutschland. „Ich war das erste Mal in einem Berliner Klub“, schwärmt | |
Behrooz, „erst da habe ich gemerkt, wie anders hier alles ist – die | |
Menschen, die Musik, die Partys.“ Elektro-Variationen, mal laut und | |
schrill, mal melancholisch, verfeinern seitdem den Klang ihrer Band. | |
„Unsere Herkunft ist auch unser größtes Problem“, sagt Beehroz genervt, | |
fast wütend. „Oft bekommen wir nur Aufmerksamkeit, weil wir aus dem Iran | |
kommen. Wir wollen aber an unserer Musik gemessen werden.“ | |
## Anfangs traditioneller Klezmer | |
Am nächsten Morgen bekommen die neun Musiker die letzten Informationen von | |
Managerin Elnaz Amiraslani. Als Tourbus dienen zwei VW-Busse. Eingemummelt | |
in eine rote Daunenjacke sitzt Amit, zusammen mit seinen Bandkollegen, der | |
Managerin und Garen von den Langtunes in einem der beiden Fahrzeuge. Dicke | |
Regentropfen trommeln auf die Frontscheibe, als sich der Bus in Bewegung | |
setzt. Gelegentlich kann man ein schwaches Schnarchen hören. Bandleader | |
Amit, 28, aufgewachsen in Kfar Sabar, einem Vorort von Tel Aviv, ist das | |
Unterwegssein gewohnt. Seit fünf Jahren lebt er in New York und pendelt für | |
die Proben mit Ramzailech. | |
Gal, der vorne sitzt, trägt eine Kipa und schnürt sich gerade den Tefillin | |
– einen jüdischen Gebetsriemen – um den Kopf. Er betet. Der Klarinettist | |
und Sänger von Ramzailech kommt aus einer streng gläubigen Familie, seine | |
Eltern brachten ihm Jiddisch bei. Er ist es auch, der der Band ihre | |
unverkennbare Klezmer-Identität gibt. | |
„Wir sind Gegensätze, aber wir ergänzen uns“, erklärt Amit. Während ihr… | |
gemeinsamen Zeit auf der Musikschule gründen sie Ramzailech, zunächst als | |
traditionelle Klezmerband. Schnell kommen weitere musikalische Einflüsse | |
dazu, Surf Rock, Metal – und Hardcore. Amit liebt es zu experimentieren und | |
verschiedene Musikstile zu verbinden, er braucht das Laute, das | |
Unerwartete. An seinem Daumen klemmt ein Gitarrenplektrum. Unruhig zuckt | |
sein Finger hin und her, während er spricht. | |
„Eigentlich war es nur ein Witz, der irgendwann Ernst wurde“ erzählt Amit | |
von den Anfängen der Band. „Niemand hat geglaubt, dass es funktionieren | |
würde.“ 2012 tritt Ramzailech erstmals auf dem International Klezmer | |
Festival in Fürth auf, seither touren sie durch die Welt. | |
## Tsuzamen | |
Ankunft am Werk II in Leipzig. Der zweite Bus, in dem sich auch die | |
Instrumente befinden, hat vier Stunden Verspätung. Das wird knapp werden. | |
Behrooz öffnet die Tür zum Backstage Raum, schaut sich um und lächelt: „Es | |
ist so lange her, ich habe es vermisst!“ Garen, der Bassist der Langtunes, | |
zwirbelt sich seinen Schnurrbart zurecht, ein paar letzte „Good | |
Luck“-Wünsche von Ramzailech. Einige Minuten später stehen die Langtunes | |
auf der Bühne. | |
„Alles gut, Leipzig?“, begrüßt Behrooz das Publikum und entschuldigt sich | |
für die Verspätung. Etwa hundert Menschen sind gekommen, alt und jung | |
gemischt. Schwer zu sagen, für welche der beiden Gruppen sich mehr Leute | |
interessieren. Es befinden sich sowohl Iraner wie Israelis im Publikum. | |
Behrooz greift zu den Drumsticks und haut mit voller Wucht auf die | |
Tom-Drum, die vor ihm steht. Seine wilden Locken fliegen durch die Luft. | |
Kamyars Rock- ’n’-Roll-Riffs schütteln das Publikum, zwingen es zum Tanzen, | |
um es dann wieder mit subtilen, weichen Elektro Variationen zu besänftigen. | |
Mit klugen Kompositionen wie „Teherantor“, dem kratzigen lauten Klang der | |
iranischen Hauptstadt, verstören sie die Ohren der Zuhörer und füllen sie | |
mit Chaos. | |
Kurze Pause, die Iraner überlassen den Israelis die Bühne. Bald ertönen die | |
ersten Schreie aus Gals Klarinette, und sofort peitscht Ramzailech das | |
Publikum mit knalligen Ska- und Klezmer-Rhythmen zum Tanz. Die vier Mädchen | |
in der ersten Reihe schütteln ihre Köpfe im Takt, schmeißen sich | |
gegeneinander. Eine ältere Frau tanzt mit geschlossenen Augen und in die | |
Höhe gestreckten Händen. Amit schreit, dirigiert die Menge, nutzt die ganze | |
Breite der Bühne. Waghalsige Tempowechsel, metallische Gitarrenriffs im | |
Rammstein-Stil und immer wieder die unwiderstehlichen Melodien aus Gals | |
Klarinette. Chaos ohne Kontrollverlust. Amit und Gal rennen durch die | |
schwitzende Menge, zwingen sie zum Singen, Sitzen, Springen. „Tsuzamen!“ | |
ruft Gal auf jiddisch ins Mikrofon. | |
## Neutraler Boden | |
Beim ersten Konzert ist noch eine gewisse Scheu im Umgang miteinander zu | |
spüren. Die israelischen Musiker wirken entspannter, eingespielter als die | |
iranischen Kollegen, die nicht zurück in den Iran wollen und nicht wissen, | |
was sie dort erwartet. | |
Schon beim nächsten Konzert in Rostock improvisieren und jammen Ramzailech | |
und Langtunes zusammen. Für beide Bands ist Deutschland neutraler Boden. | |
„Deutschland hat uns ausgesucht, nicht wir Deutschland“ sagt Behrooz aus | |
Teheran. Die israelischen Fans von Ramzailech unterstützen zwar die Tour, | |
ihre Regierung ist jedoch gegen solche Projekte im eigenen Land. | |
Am Ende stehen alle auf der Bühne: Ramzailech, die Langtunes und die | |
Zuschauer selbst. Und für diesen Moment ist auch die Nachricht des | |
iranischen Oppositionssenders ganz fern. | |
26 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Paul Toetzke | |
## TAGS | |
Verhältnis Iran - Israel | |
Handschlag | |
USA | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Ajatollah Ali Chamenei | |
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