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# taz.de -- Debatte Iran nach dem Atomabkommen: Chance oder Schachzug?
> Nach der Einigung im Streit über das Nuklearprogramm setzen viele auf
> tiefgreifende Veränderungen. Die kommen nicht über Nacht, sagen
> Realisten.
Bild: Metropole Teheran: Falls die Entspannung anhält, sind Investitionen nöt…
Der Iran könne sich auf einen „Tsunami des Tourismus“ gefasst machen, hat
kürzlich in einer Teheraner Zeitung gestanden: Schon vor der Einigung im
Atomstreit im Juli war die Zahl der ausländischen Besucher im Iran stetig
gewachsen, sind die Hotels im Land fast sämtlich ausgebucht und werden
überall neue Touristenherbergen errichtet.
Das Iran-Bild in der Welt – besonders im Westen – hat sich seit dem
Nukleardeal offenbar drastisch verändert, und im Iran selbst knüpft man
daran große Hoffnungen auf Einkünfte aus einer Sparte, die jahrzehntelang
fast völlig brachgelegen hatte, obwohl der Iran seinen Besuchern doch viel
zu bieten hat: Bedeutende Kulturdenkmäler der Weltgeschichte, eine
faszinierende Landschaft und eine Bevölkerung, die Besuchern aufgeschlossen
und freundlich begegnet.
Realisten spielen das mit der „touristischen Sturmwarnung“ aber herunter.
Wirklich tiefgreifende Veränderungen könne und werde es nicht von heute auf
morgen geben. Und das nicht nur, weil ja erst einmal die gegen den Iran
verhängten Sanktionen aufgehoben werden müssen und dies nicht vor dem
kommenden Frühjahr – und auch dann eher stufenweise – geschehe. Besonders
aber, weil die touristische Infrastruktur des Landes gar nicht in der Lage
sei, mit einem allzu drastischen Anstieg der Besucherzahlen fertig zu
werden: vor allem zu wenige Hotels und zu wenige Fachkräfte.
Wie so vieles andere in der Islamischen Republik hat aber auch die Frage
des Tourismus eine politisch-religiöse Komponente: Konservative Kreise
sehen in einer Steigerung des Fremdenverkehrs eine Gefahr für die innere
Eigenart des Iran und einen schädlichen Einfluss auf die iranische
Gesellschaft, besonders die Jugend.
Bedenken, die im iranischen Alltag allerdings rasch absurd erscheinen:
Gerade die Jugend, die immerhin rund zwei Drittel der 80 Millionen
Einwohner ausmacht, lebt längst ihr eigenes Leben, mit denselben Insignien
wie ihre Altersgenossen im Rest der Welt: Westliche Musik, flotte Autos,
soziale Netzwerke und selbst – bis zu einem gewissen Punkt – Mode: Die
jungen Iraner sind nicht auf Touristen angewiesen, um zu erfahren, wie man
anderswo lebt, und dies nachzumachen.
Besonders offensichtlich wird das im großen Teheraner Sportclub
„Esteghlal“. Zugegeben: Wegen seiner hohen Mitgliedsgebühr ist der
Traditionsverein wie schon zur Schah-Zeit weitgehend der „besseren
Gesellschaft“ Nordteherans vorbehalten. Der Esteghlal ist Treffpunkt der
Reichen und der Schönen, wobei der Sport trotz des vielfältigen Angebots
nicht unbedingt die Hauptattraktion zu sein scheint.
Noch mondäner die „Palladium-Mall“, ebenfalls in Nordteheran. Die
Bezeichnung „Einkaufszentrum“ würde diesem Prunkbau nicht gerecht, der seit
einem knappen Jahr zum Treffpunkt der Reichen geworden ist. Die Läden
bieten Mode, Möbel, Schmuck vom Feinsten an. Nur Luxusmarken, denen sich
nun noch ein deutscher Hersteller von Küchen-Accessoires hinzugesellt.
Eine ganz andere Welt spielt sich draußen ab: Der berüchtigte Teheraner
Verkehr, der sich hier vorbeiwälzt und der trotz massiven Straßenausbaus
immer wieder ins Gegenteil verdreht wird („trafik“ ist das persische Wort
für „Stau“), dokumentiert Geschäftigkeit und Mühe, mit der die meisten
Einwohner der 18-Millionen-Stadt die schweren Zeiten zu meistern versuchen,
die der Iran besonders seit Verhängung der Sanktionen durchgemacht hat.
## Hohe Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosigkeit soll mindestens 20 Prozent betragen, junge Leute haben
es schwer, ohne materielle Grundlage eine Familie zu gründen, die
Wirtschaft leidet weiterhin unter den Restriktionen des Geldverkehrs
zwischen dem Iran und dem Ausland, es fehlen dringende Investitionen und
die Exporte, vor allem von Erdöl, Gas und Mineralien, liegen danieder.
Die Hoffnung in der Bevölkerung ist seit der Atomvereinbarung groß, dass
diese Zeiten nun bald zu Ende gehen. Deswegen hatte man doch 2013 Hassan
Rohani gewählt. Weil der Geistliche und ehemalige Chef des iranischen
Sicherheitsrats am ehesten in der Lage schien, das Land aus der Misere
herauszuführen, in die Vorgänger Ahmadinedschad es immer tiefer
hineingesteuert hatte. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung hatte
offenbar auch den Obersten Führer, Ajatollah Ali Chamenei, zu beunruhigen
begonnen, so gab er Rohani grünes Licht zu einem neuen Kurs in den
Atomverhandlungen.
## Keine Verhandlungen mit USA
Chamenei akzeptierte, dass der Iran dabei gewisse Konzessionen macht, um
die Aufhebung der Sanktionen zu erreichen und damit Druck von der
Bevölkerung zu nehmen. Weit gefehlt aber anzunehmen, dass Chamenei damit
auch einem Neubeginn im Verhältnis zu den USA zugestimmt hatte.
Möglicherweise war sein Nachgeben in erster Linie ein Schachzug aus
Selbsterhaltungstrieb: Sollte Rohani Erfolg haben, dann könnte er,
Chamenei, dies für sich reklamieren. Im Fall eines Scheiterns hätte er aber
ebenso von sich behaupten können, „immer schon“ davor gewarnt zu haben, den
Amerikanern zu trauen.
So ist denn auch zu verstehen, warum der Oberste Führer nun die Position
einnimmt, über das Atomabkommen hinaus werde man mit den USA auch weiterhin
nicht verhandeln, geschweige denn Beziehungen aufnehmen. Eine Formel, die
sicher zum Vorfeld der Parlamentswahlen Ende Februar gehört. Am selben Tag
wird auch der „Expertenrat“ gewählt: 86 Geistliche, die unter anderem den
Obersten Führer wählen, aber auch absetzen können. Dieser möchte nun
offenbar sicherstellen, dass sein politisches Überleben ungefährdet bleibt.
Aber selbst Optimisten sind unsicher, ob Washington wirklich einer
Normalisierung zustimmt. So mahnte der Schweizer Botschafter (der im Iran
die Interessen der USA vertritt) auf einem Treffen mit der Teheraner
Handelskammer: Selbst wenn die Sanktionen der Vereinten Nationen aufgehoben
würden, sei ja noch längst nicht sicher, ob Washington nicht – wie früher …
bestimmte Wirtschaftszweige in anderen Staaten unter Druck setzt, ihre
Interessen in den USA gegen die im Iran abzuwägen.
26 Nov 2015
## AUTOREN
Peter Philipp
## TAGS
Schwerpunkt Iran
Atomabkommen
Tourismus
Hassan Rohani
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Schwerpunkt Iran
Spionage
Salman Rushdie
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