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# taz.de -- Filmkultur im Kalten Krieg: Chuck Norris auf Rumänisch
> Der Dokumentarfilm „Chuck Norris und der Kommunismus“ erinnert an eine
> Frau, die für Cineastik und eine offene Gesellschaft steht.
Bild: Kino als Rebellion – dafür steht Irina Nistor (Ana Maria Moldovan) mit…
Die verrauschten Logos der Verleihfirmen Orion und Cannon wecken allerlei
Erinnerungen. Und immer geht es dabei um ein heimliches Vergnügen, den Reiz
des Verbotenen – und das mechanische Geräusch, wenn das
Toploader-Abspielgerät die VHS-Kassette einzog und sich das Magnetband um
die Transportrollen legte. Die Logos tauchten gewöhnlich vor Filmen auf,
die man als Vierzehnjähriger eigentlich nicht sehen durfte: Terminator,
Robocop und das ganze Programm von Sylvester Stallone über Jean-Claude Van
Damme bis Chuck Norris.
Eine typische Filmsozialisation pubertierender Jungs in Westdeutschland –
lange bevor sie das erste Mal den Namen Fassbinder gehört hatten. Damals
empfand man das Bildrauschen, das im VHS-Zeitalter noch aus weißen
Laufstreifen bestand, wo sich das Magnetband nicht mehr sauber um den
Videokopf legte, als lästig. Heute besitzt es eine auratische Qualität, wie
Ilinca Calugareanus Dokumentarfilm „Chuck Norris und der Kommunismus“ sehr
schön bezeugt.
Chuck Norris und seine Mitstreiter haben auch hinter dem Eisernen Vorhang
einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Der ehemalige Karateweltmeister
begründete seine Filmkarriere gewissermaßen auf dem Kampf gegen die
Kommunisten: In den „Missing in Action“-Filmen gewann er nachträglich den
Vietnam-Krieg, in „Invasion USA“ verhinderte die Ein-Mann-Armee einen
„roten“ Putsch. Dass man ihm für seine Verdienste um die Niederschlagung
des real existierenden Sozialismus aber einmal einen Film widmen würde,
hätte wohl nicht einmal Chuck Norris erwartet.
Man darf Calugareanus pointierte These natürlich nicht wörtlich nehmen.
Norris hat die Heimat der Regisseurin in den Achtzigerjahren nur auf
verrauschten Videokassetten erobert. Aber er sollte die Sicht der
rumänischen Jugendlichen auf die (westliche) Welt in ähnlicher Weise
prägen, wie er das für westdeutsche Halbstarke getan hat. Chuck Norris kann
schließlich eine Drehtür zuschlagen.
## Eine Parallelrealität
Der eigentliche Star von „Chuck Norris und der Kommunismus“ heißt
allerdings Irina Nistor. In den Achtzigerjahren synchronisierte die heute
58-Jährige über 3.000 Filme, sie war in Rumänien so etwas wie die Stimme
der Dissidenz. Nach ihrer offiziellen Arbeit für die Zensurbehörde des
rumänischen Staatsfernsehens widmete sie sich abends im Keller eines
unauffälligen Wohnhauses ihrem Zweitjob.
Von hier aus betrieb der ominöse Teodor Zamfir einen schwunghaften Handel
mit illegalen Raubkopien westlicher Filme, die Irina Nistor im Akkord auf
Rumänisch einsprach: alle Rollen mit derselben Stimme und in unveränderter
Tonlage, bereinigt um den vulgären Slang des Klassenfeindes. In den letzten
vier Jahren des Regimes von Nicolae Ceaușescu fungierten diese Filme für
Tausende von Rumänen als eine Parallelrealität.
Jede Woche traf man sich in einer Privatwohnung, um den zunehmenden
Repressalien der Geheimpolizei Securitate für ein paar Stunden zu
entkommen. Die Zusammenkünfte waren subversiv. Das konsumistische
Mainstreamkino der Achtzigerjahre hingegen war genau das richtige Mittel
gegen den tristen Alltag. Die gute alte Traumfabrik. „Wir sehnten uns mehr
nach den Landschaften und den Straßen als nach der Handlung“, erklärt ein
Zeitzeuge den Reiz der Filme. „Die Filme waren ein Fenster zur Welt.“
Das andere Sehnsuchtsobjekt war die Stimme Nistors, die in Rumänien fast so
bekannt war wie die Ceaușescus. So ist der Film letztlich mehr das Projekt
einer kollektiven Erinnerung als Dokument eines kollektiven Widerstands.
Die Umsturz-Rhetorik ist vor allem Zamfir geschuldet, der seinen frühen
kapitalistischen Impuls rückblickend als politischen Akt darzustellen
versucht. Auf diese Lesart lässt sich Calugareanu nur bedingt ein. Sie ist
der eigentümlich hohen Stimme Nistors erlegen, die sich zu den Bildern –
viele nachgestellte Spielszenen, was überraschend gut funktioniert – fast
wie ein Fremdkörper verhält. Eine Stimme, die die Liebe zum Kino und die
Sehnsucht nach einer offenen Gesellschaft beflügelte.
17 Nov 2015
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Kommunismus
Film
Rumänien
Dokumentarfilm
Rumänien
Japan
Dokumentarfilm
ARD
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