# taz.de -- Richard Hawleys LP „Hollow Meadows“: Ansonsten zählt Freundsch… | |
> Einnehmend unaufdringlich, trotz Midlife-Crisis – diese Stimmung bekommt | |
> Richard Hawley in seinem Album „Hollow Meadows“ hin. | |
Bild: Himmel, Sonne und Licht durchfluten die Texte von Richard Hawley, auf Nat… | |
Schon der erste Akkord behagt wie ein wärmender Mantel. Ein sanft | |
angeschlagenes Becken bereitet der Steel-Guitar den Weg, deren Dreiklang | |
sofort das Gemüt wohltemperiert. Wenn Richard Hawley ein paar Takte später | |
seine Stimme erhebt, im Refrain von Streichern flankiert, strömt morbide | |
Leichtigkeit durch den Raum. Der 48-Jährige entschuldigt sich, so lange | |
fort gewesen zu sein, er hätte nur noch etwas mehr Zeit gebraucht. Es ist | |
nicht klar, ob er die Hörer anspricht oder ein lyrisches Gegenüber. | |
In „I Still Want You“, dem Auftaktsong seines aktuellen Albums „Hollow | |
Meadows“, löst der Popsongwriter aus der nordenglischen Stadt Sheffield | |
diese heimelige Ungewissheit auch nicht auf. Er begehrt sein Gegenüber, und | |
zwar bis die Sonne ihre Kraft verliert, es gibt keinen Grund, allein zu | |
bleiben, singt er: „I still want you, until the sun grows cold. / No need | |
to breathe alone.“ Das klingt ein wenig nach Sirenengesang. Doch „Hollow | |
Meadows“ führt nicht ins Verderben, sondern auf einen Pfad der Zuversicht, | |
auch wenn dieser geröllig ist. | |
Nach dem Ausflug in die schroff-elegante Raketenwelt des Rockistischen auf | |
seinem letzten Album, „Standing on the Skye’s Edge“ (2012), kehrt Hawley | |
mit „Hollow Meadows“ wieder in die verheißungsvoll funkelnde Welt des | |
getragenen Music-Hall-Sounds vergangener Epochen zurück. Dieses leicht | |
knarzige Ambiente aus den Flegeljahren des Pop wird nicht nur mit Gitarre, | |
Bass und Schlagzeug generiert. | |
Da jammert das Theremin, ein Moog-Synthie wabert, auch ein Harmonium und | |
die Hammond-Orgel verbreiten sentimentale Gefühle. Und in der angeführten | |
Liste der benutzten Instrumente finden sich neben den genauen | |
Typbezeichnungen von Steel-Guitar und Synthesizer auch Cello, die Enchanted | |
Lyre und Dr Zoks Chaosometer. | |
Passend zum Sound hat sich in Hawleys Mohair-Pullover-Croonen etwas | |
Zweifelndes und Kratziges eingeschlichen, eine gelinde Midlife-Crisis | |
klingt an. Und trotzdem schafft es der britische Künstler, unaufdringlich | |
zu klingen, etwas Selbstironisches schwingt auch mit. In „Which way“, einer | |
der zwei zackigeren Nummern mit energischen Gitarrenriffs auf „Hollow | |
Meadows“, präsentiert er sich als Mann am Scheideweg, der sich nach | |
verstörenden Erfahrungen neu erfinden muss. „But now that storm has felled | |
my tree, / ah there’s a shadow hanging over me.“ | |
## Befeuert von kräftigen Streichern | |
In der „Serenade of Blue“, einem Abgesang auf eine Beziehung, lässt Hawleys | |
Stimme gar Zynismus anklingen. Aber die Musik versetzt einen in eine | |
Nussschale, die über einen sich gerade erst beruhigten Ozean schunkelt. Im | |
straighten Viervierteltakt und befeuert von kräftigen Streichern, beklagt | |
„The World Looks Down“ die um sich greifende Abschottung des Einzelnen von | |
der Umwelt und die Tendenz, die „echte“ Realität mit einer durch Medien | |
suggerierten Wirklichkeit zu verwechseln. „You can stare off into space, / | |
the new invention says. /Don’t look up at the stars, / look in your hands”, | |
ertönt es aus dem Hintergrund. | |
Positiv besetzte Vokabeln wie Himmel, Sonne, Licht durchfluten die Texte, | |
solche und ähnliche Naturelemente sind die Konstante, darauf ist Verlass in | |
einer Welt der Enttäuschungen. Ansonsten zählt Freundschaft. „Nothing Like | |
A Friend“ ist eine Ode an sie. | |
Der Song entwickelt seine betörende Schönheit durch die sparsame | |
Instrumentierung, den Takt hält ein Tambourin, wenige Gitarren-Akkorde | |
mäandern durch den Raum, Hawleys Gesang wird von einer zweiten Stimme | |
begleitet, und, das ist wohl der Clou, sein Freund, Pulp-Sänger Jarvis | |
Cocker, spielt den Rheem Kee Super Bass. Die Bezeichnung „super“ ist | |
absolut zutreffend, denn in wohlgesetzten Tonfolgen wummert der Bass durch | |
den ganzen Körper. | |
## Heimatstadt Sheffield | |
Auf früheren Alben war die Topografie von Hawleys Heimatstadt Sheffield | |
stets Teil des Konzepts: Heruntergewirtschaftete Stadtteile tauchten in den | |
Songs auf, in „Cole’s Corner“ setzte er einem beliebten Treffpunkt gleich… | |
Namens ein Denkmal, und „Skye’s Edge“ war ein Hochhausghetto, erbaut auf | |
einem der sieben Hügel, die Sheffield umgeben. | |
Die Verbundenheit zu Sheffield nimmt auf „Hollow Meadows“ leicht irrwitzige | |
Züge an. Das besagte Fleckchen Erde vor den Toren der Industriestadt wird | |
im Booklet als ein Ort vorgestellt, an dem seine Urahnen vom 14. bis zum | |
17. Jahrhundert gelebt haben sollen, außerdem führt der Musiker eine | |
linguistische Herleitung seines Namens Hawley an. | |
Zum leichtfüßigen Pathos seines bisherigen Werks gesellt sich auf „Hollow | |
Meadows“ abgeklärte Altersweisheit. Andere Künstler wirkten mit dieser | |
Einstellung altbacken, aber Hawley kommt auf seinem neuen Album so zeitlos | |
elegant daher, man lässt ihm sogar heraldische Spitzfindigkeiten | |
durchgehen. Dass er plötzlich kommerzielle Popfade beschreitet und mit der | |
Crooner-Tradition bricht, in der er mit Frank Sinatra und Dean Martin | |
steht, ist eher unwahrscheinlich | |
25 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Sylvia Prahl | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Brexit | |
Übersetzung | |
Sasa Stanisic | |
London | |
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