# taz.de -- Kommentar Sexstudie: Reiz-Reaktions-Maschine Frau | |
> Das zweifelhafte Ergebnis einer Studie: Frauen sind entweder bi- oder | |
> homosexuell. Brennen jetzt also alle mit einer Frau durch? Ja sicher. | |
Bild: 74 Prozent der „heterosexuellen“ Frauen zeigten sich von beiden Gesch… | |
„Frauen sind entweder bi- oder homosexuell, aber niemals hetero“, [1][so | |
titelte die New York Times]. Die [2][Augsburger Allgemeine] [3][leitet | |
einen Artikel zum gleichen Thema ein mit]: „Männer haben im Bett wohl mehr | |
Konkurrenz als gedacht.“ | |
Grund für dieses Enthüllungs-Getue ist [4][eine Studie der britischen | |
Universität Essex]. 345 Frauen, die von sich aus angaben entweder homo- | |
oder heterosexuelle zu sein, wurden untersucht. Und zwar anhand ihrer | |
Reaktionen auf Videos von nackten Männern und Frauen. Das Ergebnis: 74 | |
Prozent der Frauen, die von sich sagten, sie seien heterosexuell, zeigten | |
sich sexuell erregt von beiden Geschlechtern. Und auch wenn sie dabei von | |
Frauen nicht im gleichen Ausmaß erregt waren wie die lesbischen | |
Teilnehmerinnen, gehen die Wissenschaftler nun davon aus, dass Frauen | |
grundsätzlich mindestens bisexuell, wenn nicht gar lesbisch sind – ganz | |
egal was sie selbst sagen. | |
Gemessen wurde das anhand von körperlichen Reaktionen, etwa die Intensität | |
der vaginalen Durchblutung oder per Eye-Tracking und die | |
Pupillenerweiterung, die laut der Wissenschaftler in einer 100-prozentigen | |
Verbindung mit sexueller Erregung steht. Dem Telegraph sagte der Leiter der | |
Studie, Dr. Gerulf Rieger, zu seinen Ergebnissen: „Obwohl die Mehrheit der | |
Frauen sich als heterosexuell identifizieren, zeigt unsere Untersuchung | |
eindeutig, dass – wenn es darum geht was sie erregt – sie entweder bi- oder | |
homosexuell, aber niemals hetero sind.“ | |
Und während in einem wissenschaftlichen Sinn das Wort bisexuell tatsächlich | |
schlicht bedeutet, sich von beiden Geschlechtern sexuell angezogen zu | |
fühlen, ist die aus den Ergebnissen folgende mediale Berichterstattung eine | |
platte Verallgemeinerung. Denn von einem realitätsnahen Blickpunkt aus | |
betrachtet sollte klar sein, dass physisch messbare sexuelle Erregung nicht | |
unbedingt mit subjektiver Lust oder Emotionen zu tun hat. Soll heißen: Nur | |
weil sich eine heterosexuelle Frau durch eine nackte Frau körperlich erregt | |
zeigen kann, heißt das nicht zwangsläufig, dass sie nun ihr heterosexuelles | |
Leben über Bord wirft und mit einer Frau durchbrennt. Klar – möglich ist | |
alles. Doch für so eine Schlussfolgerung ist schon ein sehr | |
eindimensionales Verständnis von Homo- und Bisexualität notwendig. | |
## Gesellschaftliche und kulturelle Faktoren mitdiskutieren | |
Während die Studie durchaus interessante Beobachtungen über die weibliche | |
Sexualität bietet, sollte man bei den Schlussfolgerungen die Kirche mal im | |
Dorf lassen. Denn um veritable Schlüsse daraus zu ziehen, müsste man die | |
Reaktionen wohl auch auf gesellschaftliche und kulturelle Faktoren | |
überprüfen, die bei der Interpretation der Studienergebnisse aus Essex aber | |
keinen Platz fanden. | |
Etwa, dass der weibliche Körper viel intensiver vergegenständlicht und | |
sexualisiert wurde – was auch an der weiblichen Rezeption nicht spurlos | |
vorbeigegangen sein kann. Oder, dass es für Frauen gesellschaftlich | |
akzeptabler zu sein scheint, andere Frauen auf einer sexuellen Ebene zu | |
betrachten, als es das für Männer ist, wenn sie andere Männer betrachten – | |
man denke an die überbordende Fetischisierung von sexueller Interaktion | |
zwischen Frauen. | |
Generell war es noch nie eine besonders gute Idee Menschen und ihrer | |
subjektiv empfundenen sexuellen Orientierung zu wiedersprechen – | |
Wissenschaftler hin oder her. Und grundsätzlich können Frauen jemanden, der | |
ihnen erklärt, was sie eigentlich so ganz wirklich immer schon richtig | |
wollten, nach wie vor so dringend brauchen wie einen nassen Stiefel. Dass | |
die weibliche Sexualität durchaus noch erforschenswert ist, stimmt. Aber | |
sie ist eben komplexer als man es durch Eye-Tracking und vaginale | |
Durchblutungsmessung aufzeichnen könnte. | |
Dass körperliche Erregung nicht unbedingt mit subjektivem Lustempfinden | |
zusammenhängt, [5][das hat etwa die Wissenschaftlerin Meredith Chivers | |
schon vor einigen Jahren herausgefunden.] Für eine Studie ließ sie die | |
sexuelle Erregung von Frauen und Männern messen, während sie bestimmte | |
Bilder und Videos sahen. Etwa von lesbischem, schwulem und Hetero-Sex, | |
nackte Menschen, Landschaften – aber eben auch kopulierenden Bonobo-Affen. | |
Die Probanden mussten dann ihre subjektive Lustempfindung bewerten und | |
diese wurde mit der gemessenen körperlichen Reaktion verglichen. | |
Und siehe da – die Frauen zeigten so ziemlich bei allem körperliche | |
Erregung, selbst bei den Affen. Aber eben keine subjektive Lust. Es ist | |
also nicht anzunehmen, das eine der Probandinnen danach ihr bisheriges | |
Leben über Bord geworfen und sich unsterblich in einen Bonobo verliebt hat. | |
Klar, möglich ist alles – aber bisher ist davon nichts bekannt. | |
9 Nov 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://nytlive.nytimes.com/womenintheworld/2015/11/05/most-women-are-bisexu… | |
[2] http://www.augsburger-allgemeine.de/themenwelten/gesundheit/Britische-Forsc… | |
[3] http://www.augsburger-allgemeine.de/themenwelten/gesundheit/Britische-Forsc… | |
[4] http://www.essex.ac.uk/events/event.aspx?e_id=8843 | |
[5] http://www.nytimes.com/2009/01/25/magazine/25desire-t.html?_r=0 | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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