# taz.de -- Mariza über den Ursprung des Fado: „Fado ist die Musik der Seele… | |
> In Lissabon ist Mariza ein Star. Nach der schwierigen Geburt ihres Sohnes | |
> machte sie eine lange Pause, jetzt tourt sie durch Deutschland. | |
Bild: Mariza sang schon als 5-Jährige Fado-Lieder. | |
taz: Mariza, Fado gilt vielen als Inbegriff des melancholischen | |
portugiesischen Klagegesangs, aber es gibt auch den Fado Alegria. Bei | |
diesen fröhlichen Fadoliedern verwandeln Sie sich auf der Bühne in einen | |
Flummi – auf Stöckelschuhen. | |
Mariza: Ich werde nie eine Lady sein! Ich versuch’s, wirklich . . . Aber | |
eigentlich bin ich eine Wilde. Ich bin in Mouraria aufgewachsen, das ist | |
die Bronx von Lissabon. Ich liebe die Bühne, ich liebe elegante | |
Abendkleider, aber in meinem Alltag will ich Jeans und Sneakers. Selbst | |
mein Mann guckt mich manchmal schräg an und sagt: Bist du ein Junge? Weil | |
ich so gern mit meinem Sohn herumtobe. Ich bin ein großes Mädchen! | |
Sie waren die erste einer neuen Generation von Fadosängerinnen, die nach | |
dem Tod von Amália Rodrigues 1999 den Fado wieder weltweit populär gemacht | |
hat. | |
Amália ist unsere Königin. Wir werden nie wieder jemanden wie sie erleben. | |
Amália hat die moderne portugiesische Lyrik mit der Tradition verbunden. | |
Diese Gedichte versteht das internationale Publikum aber gar nicht. | |
Muss es auch nicht! Die Lyrik ist die zweite Dimension, aber Fado ist vor | |
allem die Musik der Seele. Alles ist Gefühl. Fado ist sehr portugiesisch, | |
er repräsentiert unsere Kultur. Aber die Seele lässt sich nicht für eine | |
einzige Sprache reservieren. Gott ist für alle da! Fado und Religion – das | |
gehört zusammen. | |
In welcher Form? | |
Wir Portugiesen sind sehr religiös. Wir verändern uns, wir öffnen uns | |
mehr. Heute versuchen wir die verschiedensten Leute und Kulturen zu | |
verstehen, zu akzeptieren. Aber in den alten Underground-Fado-Tavernen, | |
wo Touristen normalerweise nicht hinfinden, da sieht man manchmal wirklich | |
harte Typen mit Tattoos und Piercings, und wenn sie anfangen zu singen, | |
werden alle ganz still. Dann muss ich schmunzeln: Ihr da draußen denkt, | |
dieses Raubein glaubt nicht an Gott? Natürlich tut er das! Hört doch zu! | |
Wer Fado singt, ist gläubig. | |
Der Begriff „Fado“ stammt ursprünglich aus dem Lateinischen: Fatum, das | |
Schicksal. | |
Fado kommt aus der Arbeiterklasse, von den Matrosen, Prostituierten und | |
Sklaven. Ihr Schicksal war hart. Natürlich haben die Matrosen an Gott | |
geglaubt, an die Sterne, woran sonst? Sich vor 500 Jahren in ein kleines | |
Boot zu quetschen, um diesen gigantischen Ozean zu überqueren, war ein | |
Riesenwagnis. | |
Viele sind dabei gestorben . . . | |
Vor allem die Sklaven! Man hat sie von ihrem Land weggeholt, in ein | |
unglaublich armes, elendes Leben gezwungen. Sie mussten an etwas glauben, | |
damit sie überhaupt die Kraft fanden, jeden Tag wieder aufzustehen. Sie | |
mussten sich an etwas festhalten, und dieses Etwas war die Musik. Fado ist | |
aus den nächtlichen Gemeinschaftstänzen entstanden – in Brasilien, in | |
Afrika. Portugal ist ein großer Mix der Kulturen. Weil die Portugiesen | |
durch die ganze Welt gereist sind . . . | |
. . . und die halbe Welt in Übersee kolonisiert haben. | |
Ich bin in Mosambik geboren. Die Mutter meiner Mutter war schwarz. Und ich | |
bin Portugiesin. Wir wurden von vielen Teilen der Welt beeinflusst. Und | |
genau deshalb ist der Fado so reich und vielfältig. Das gilt auch für | |
Tango, den griechischen Rembetika – die Musik aus den Hafenstädten hat | |
überall neue Einflüsse mit nach Hause gebracht. | |
Seit Jahren fliegen Sie mit Ihren Gitarristen um die ganze Welt. Ein enorm | |
anstrengendes Leben, oder? | |
Es ist völlig verrückt. Ich habe 100, 120, manchmal 140 Konzerte gegeben – | |
im Jahr! Irgendwann fand ich überhaupt keine Zeit mehr für anderes, für | |
mich selbst schon gar nicht. Ich bin fast verzweifelt. Ich wollte nur noch | |
singen; ich hatte auch nichts anderes mehr. Meinen Vater, meine Mutter, | |
aber ansonsten war mein Leben leer. Und dann hat das Leben mir ein Kind | |
geschenkt! Ich bin ein anderer Mensch geworden. Ich wache morgens auf und | |
bin einfach glücklich. | |
Auf der Bühne wirken Sie, als hätten Sie alles komplett unter Kontrolle. | |
Das hab ich aber gar nicht! Ein paar Minuten vor dem Auftritt bin ich das | |
reinste Nervenbündel. Mir wird total kalt, in meinem Kopf kreist immer nur | |
die Frage: Was, wenn ich jetzt nicht so bin, wie die Leute es erwarten? | |
Wenn das Publikum schüchtern ist – werde ich auch schüchtern. Viele | |
verstehen das nicht, weil ich immer lache. Aber tief drin zittere ich. Und | |
dann entspanne ich mich langsam. Aber Kontrolle? Nein. Ich bin ja nicht | |
die Dirigentin – das Publikum dirigiert den Abend. Musik ist immer Geben | |
und Empfangen. Wenn das Publikum enthusiastisch ist, wird es auch ein | |
enthusiastisches Konzert. | |
Nach all diesen Welttourneen, was bedeutet Ihnen Lissabon? | |
Das Licht! Dieses Licht habe ich nirgendwo auf der Welt gefunden. Wenn mein | |
Flugzeug landet, und ich aus dem Fenster gucke und dieses Licht sehe: boom! | |
Meine Energie ist wieder da! Ich bin zu Hause! Lisboa! Du kannst dich frei | |
fühlen, du kannst überall hin zu Fuß gehen, das Wetter ist gut und der | |
Wein, die Leute sind freundlich. | |
Wo gehen Sie hin, wenn Sie traurig sind? | |
Wenn ich traurig bin, gehe ich nirgendwohin. Dann bleibe ich zu Hause. | |
Manchmal setze ich mich ins Auto und fahre nachts am Fluss entlang. Die | |
vielen Lichter, die Sterne. Der Tejo ist so schön. | |
Und wenn Sie wirklich gute Laune haben? | |
Tasca do Chico! Das ist ein kleines Lokal, in dem Amateure Fado singen. Ich | |
singe dort auch manchmal, nur für Freunde, nur zum Spaß. | |
„Mundo“, Ihr neues Album, ist eine leise, eher ruhige Reise. | |
Es ist mein erstes Studio-Album nach fünf Jahren Pause. Es ist etwas | |
passiert, das mich gezwungen hat, mein Leben komplett zu verändern. Ich bin | |
fast gestorben mit meinem Baby. Es gab große Komplikationen in der | |
Schwangerschaft, und gegen alles und jeden habe ich beschlossen, dass mein | |
Kind zur Welt kommen wird. Alle haben gesagt, Mariza, er kann gar nicht | |
überleben, und ich habe gesagt: Doch! Er wird auf die Welt kommen! | |
Wie haben Sie diese Zeit überstanden? | |
Ich habe den ganzen Tag mit ihm gesprochen: Martim, wir sind zwei, ja, aber | |
gleichzeitig, jetzt, sind wir eins! Ich liebe dich so sehr, bitte, bitte, | |
hör mir zu! Wir sind Kämpfer! Martim, wir kämpfen! Hörst du mich, du wirst | |
leben. Und mit 26 Wochen war er da. | |
Das ist sehr früh! War er gesund? | |
Einer seiner Lungenflügel ist nicht richtig mitgewachsen. Ich hatte | |
gedacht: Jetzt ist er geboren, wir haben es geschafft! Aber das war nur der | |
Anfang. Heute ist er ein ganz normales Kind, aber wir hatten große, große | |
Probleme . . . | |
Er musste in den Brutkasten? | |
Ja . . . und eines Tages sagte der Arzt zu mir, wenn wir in einer Woche | |
keinen Fortschritt sehen, stellen wir die Maschinen ab und vergessen das | |
alles. Ich habe geantwortet: Nein! Auf gar keinen Fall! Im Leben geschieht | |
nichts, wie soll ich das sagen, ohne kitschig zu klingen. . . nichts | |
geschieht ohne . . . | |
Ohne Grund? | |
Und nichts geschieht, ohne Konsequenzen zu haben, Folgen! Wenn Gott mir | |
dieses Baby gegeben hat, dann will das Leben mir etwas zeigen, was ich noch | |
nicht verstanden habe. Eine Woche lang habe ich jeden Tag zu Fatima | |
gebetet. Und nach einer Woche ging es Martim besser. Alles im Leben hat | |
eine Bedeutung. Wir müssen das Leben annehmen, in jedem Moment – ganz! Und | |
auch davon erzählt der Fado. | |
16 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Gaby Sohl | |
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