| # taz.de -- Die Lissaboner Nacht gehört dem Fado: Musik aus den Armenvierteln | |
| > Fado war einst der verpönte Seelenklang der Lissabonner Unterwelt, die | |
| > Sängerinnen oft Prostituierte. Die Volksmusik der Fado-Sänger ist wieder | |
| > angesagt. | |
| Bild: Die Volkslieder der Fado-Musiker sind wieder gefragt in Lissabon. | |
| „Nimm die Tram 28. Wenn du an der rechten Seite die Säulen des | |
| Nationalparlaments siehst, steigst du aus, von dort ist es ganz nah.“ | |
| Estafado heißt die neue Fado-Taverne in São Bento, in die Margarida mich | |
| lotst. Übersetzt heißt das: „Ich bin extrem erschöpft“. Und ich müsse b… | |
| zwei Uhr morgens durchhalten, denn nach elf und um Mitternacht kämen immer | |
| noch neue Musiker, die hier nach ihren offiziellen Auftritten woanders gern | |
| noch improvisieren. | |
| Durch den Vorraum geht es eine Treppe hinunter. Gedimmtes Licht und Kerzen: | |
| Eine junge, dunkelhaarige Sängerin, ganz in Schwarz, singt einen Fado, | |
| begleitet von einer klassischen und einer portugiesischen Gitarre. Das für | |
| den Fado typische Trio. | |
| Pst, leise sein! Margarida winkt mich an den Tisch. Ich bestaune die | |
| hintere Wand, ganz eingenommen vom Bild eines älteren Fadosängers mit Kappe | |
| und Zigarette im Mund. Applaus, es darf wieder gesprochen werden. | |
| „Ja, der“, sagt Margarida, „der hat immer geraucht, manchmal sogar, wenn … | |
| sang.“ | |
| Der Schustersohn und Fadosänger Alfredo Marceneiro (1891-1982) hieß | |
| eigentlich Duarte. Er arbeitete lange Zeit als Schiffszimmerer, daher sein | |
| Künstlername Marceneiro. In „O Marceneiro“, einem seiner bekannten Lieder, | |
| singt er, er zimmere seine Lieder zusammen, wie es dem Publikum gefällt. | |
| „Fado ist der Spiegel der portugiesischen Seele, und die Poesie der Texte | |
| spielt deshalb eine wichtige Rolle“, sagt Manuel Marçal. | |
| Er ist Margaridas Neffe und war in den ersten Monaten des Estafado so etwas | |
| wie ein Kulturmanager. Im Auftrag des Besitzers Hugo Lopes pflegte er den | |
| Kontakt zu den Musikern, servierte und sang auch selbst. „Sollen wir | |
| Petiscos bestellen?“, fragt Manuel. | |
| Als typische portugiesische Tapa empfiehlt er ein Gericht mit Garnelen und | |
| açorda, einem Brei aus gemahlenem Brot, gewürzt mit viel Knoblauch und | |
| Koriander, dazu den Rotwein des Hauses. | |
| Seine Frau Matilda beginnt wieder zu singen, zieht die Augenbrauen zusammen | |
| und wirft den Kopf leidenschaftlich in den Nacken. „Als die beiden | |
| geheiratet haben, hat sie nach der Trauung mit dem Rücken zum Publikum in | |
| der Kirche ganz allein einen kurzen Fado gesungen. Das war sehr bewegend“, | |
| erzählt Margarida. | |
| Matilda singt auch in Altenheimen und auf der Straße, wenn die Viertel zu | |
| festlichen Anlässen kleine Bühnen aufbauen und die Leute an langen Tischen | |
| in den Gassen essen. “Die portugiesische Gitarre ist unglaublich“, schwärmt | |
| Margarida jetzt, „Das ist Ricardo Rocha Neto da Fontes. Er hat schon | |
| mehrere Musikpreise bekommen, für mich zählt er zu den besten | |
| Fadogitarristen.“ | |
| „Saudade“ höre ich Matilda schon ein drittes Mal anheben, voller Inbrunst. | |
| Was sie singt, verstehe ich nicht im Detail, aber sie hat Charisma und kann | |
| unendlich traurig wirken. Meine Tischnachbarin Maria-José, eine Freundin, | |
| sieht mich an und grinst. | |
| „Ein urportugiesischer Seelenzustand“, erklärt sie. „Saudade kann Sehnsu… | |
| bedeuten, Heimweh oder Schmerz. Man vermisst etwas oder blickt bereits | |
| voller Wehmut in die Zukunft.“ Im Fado musikalisch umgesetzt, erklingen | |
| dunkle Gefühle wie ein Klagelied, Ausdruck eines Leidens, das tiefer und | |
| leidenschaftlicher ist als reine Melancholie. | |
| ## Kollektiver Schwermut | |
| Mit dem Fado wird der portugiesische Hang zur Schwermut kollektiv | |
| zelebriert. Er entstand in Lissabons Armenvierteln, in der Alfama, der | |
| Mouraria und den düsteren Hafengegenden von Alcântara. Meist sangen | |
| Prostituierte für Seeleute, Zuhälter und Bohemiens über Armut, Alltagsleid, | |
| verlorene Liebe, Sehnsucht und die Schönheit Lissabons. Der Fado gehörte in | |
| die Unterwelt und wer jemanden Fadista (Fadosänger) nannte, meinte es | |
| beleidigend. | |
| Die Zeiten haben sich geändert. Cesária Évora mit den Mornas, der | |
| kapverdischen Fadovariante, Chico Buarque mit seinem Fado brasil und Mariza | |
| haben es in die internationalen Charts geschafft. 2012 feierte die aus dem | |
| Film „Lisbon Story“ von Wim Wenders bekannte Band Madredeus ihr 25-jähriges | |
| Jubiläum und tourte auch durch Deutschland. | |
| Sie und viele andere sind die Vorbilder für eine neue Generation, bei der | |
| Fadomusiker weit oben auf der Liste der Traumberufe steht. Fado ist heute | |
| nicht nur gesellschaftsfähig, sondern auch schick und 2011 erklärte die | |
| Unesco ihn zum immateriellen Weltkulturerbe. | |
| ## Traditionen einhalten | |
| „Man muss das Rad nicht neu erfinden“, sagt Manuel, der von Mariza zum | |
| Beispiel gar nichts hält. „Interessant ist die enorme Renaissance des Fado. | |
| Immer mehr jungen Leuten macht es Spaß, zusammen zu improvisieren - nicht | |
| gegen die Traditionen des Fado, sondern mit ihnen.“ | |
| In Gemeinschaft kunst- und genussvoll traurig zu sein, ist wieder in und | |
| dabei hat die neue Fangeneration eine Menge Spaß. Die überlieferten rund | |
| 150 musikalischen Grundstrukturen für Fados, darunter schnelle und | |
| langsame, fröhliche und traurige Lieder, liefern genügend Stoff zum | |
| Experimentieren. Zudem ist die Zeit der Diktatur, als die kritischen Texte | |
| aus den Fados verschwanden, lange vorbei. | |
| Dank der Fadotradition in Familie und Gesellschaft sind viele „Lisboetas“ | |
| mit unvorstellbarem autodidaktischem Eifer zu hervorragenden Musikern und | |
| bei Konzerten zu guten und toleranten Zuhörern geworden. | |
| ## Der Onkel mit der Gitarre | |
| In fast allen Familien gibt es eine Großmutter, die Fado gesungen hat, | |
| einen Onkel, der singt oder Gitarre spielt. „Fado trägt man in sich, eine | |
| Schule dafür gibt es nicht“, so Manuels Überzeugung. „Doch im Museu do | |
| Fado, dem Fadomuseum in der Alfama, gibt es eine Fadoschule, die Kurse für | |
| Gitarristen und Texter anbietet“, sagt Maria-José. | |
| „Und ein Notenarchiv und eine Audiodatenbank“, fügt sie hinzu. „Ja, aber | |
| das ist relativ neu und vielen Fadistas zu teuer“, räumt Margarida ein. | |
| „Computer und Internet helfen, manche Gitarristen waren auf der | |
| Musikhochschule, aber sonst trifft man sich, hört einander zu, ein Musiker | |
| lernt vom anderen, man lässt sich Griffe zeigen, übt, übt, übt“, sinniert | |
| Manuel. | |
| Jetzt steht ein Mann vom Tisch gegenüber auf und es wird ganz still. Seine | |
| Stimme erfüllt den Raum. Er besingt eine alte Liebe und eine Welle von | |
| Traurigkeit flutet ins Publikum. In der nächsten Pause kommt die Sängerin | |
| Matilda an den Tisch: „Fado singen darf jeder“, sagt sie. | |
| ## Glaubhafte Gefühle | |
| „Nicht allein die Stimme zählt, die Ausstrahlung muss stimmen. Beim Fado | |
| dreht sich alles darum, ob das Gefühl glaubhaft ist und sich überträgt oder | |
| nicht“, sagt sie. | |
| „Ja, wenn ich nichts empfinde, kann ich zu diesem Thema auch keinen Fado | |
| singen“, nickt Manuel. | |
| Fadobegeisterte haben ihre eigene Szene. In ihren Clubs mit halbprivatem | |
| Flair sind auch Touristen willkommen, allerdings nicht in großen Gruppen. | |
| Manuel, der seinen Lebensunterhalt als Manager eines Unternehmens verdient, | |
| das Navigationssysteme verkauft, geht am liebsten ins Mesa de Frades und | |
| ins Casa da Mariquinhas. | |
| Es ist zwei Uhr. Einer der Musiker unter den Zuhörern fragt in die Runde: | |
| „Gehen wir noch ins Xafarix, ich rufe ein Taxi“. Mit Fado hat das nichts | |
| mehr zu tun. Dort wird bis 4 Uhr Livemusik der 80er-Jahre gespielt. | |
| Ich muss ins Bett und schaue mir lieber am nächsten Tag die von Manuel | |
| empfohlenen Lokale an. | |
| ## Nachtleben in Alcântara | |
| Das Casa da Mariquinhas in Alcântara gehört dem Fadista Maria João Quadros, | |
| der dort auch selbst auftritt. Benannt ist es nach einem ehemaligen | |
| Bordell, dem Portugals Fado-Ikone Amália Rodrigues ein Lied gewidmet hat. | |
| Wie es dort einst aussah, lässt sich heute in einem Raum des Museu do Fado | |
| nachempfinden. Gegenüber vom Fado-Museum am Taxistand beginnt die steile, | |
| kopfsteingepflasterte, ganz in das gelbe Licht der Laternen getauchte Rua | |
| dos Remédios hoch in die Alfama. Das Nachtleben des gesamten Viertels | |
| spielt sich hinter den Fado-Häusern ab. | |
| Vor dem Mesa de Frades, an der linken Seite etwas zurückversetzt in der | |
| Nummer 139 a, stehen Leute und rauchen. Die große Holztür ist geöffnet. Die | |
| Wände schmücken in Blau- und Gelbtönen gehaltene alte Azulejo-Bilder mit | |
| religiösen Szenen. | |
| ## Pedros Fado-Kapelle | |
| Das Fado-Haus des portugiesischen Gitarristen Pedro de Castro war im 18. | |
| Jahrhundert die Kapelle der Geliebten des Königs João mit Geheimgang in den | |
| benachbarten Königspalast. | |
| Auf der Theke brennt eine große Kerze, in dem kleinen Raum dahinter, in dem | |
| früher der Altar stand, wird heute das Menü für den Abend zubereitet. Die | |
| Fado-Kapelle wurde lange Zeit auch als Lebensmittelladen genutzt. | |
| In der Fado-Kapelle von Pedro des Castro sangen seit 2006 immer wieder | |
| Stars wie Carminho, Ricardo Ribeiro oder Ana Sofia Varela. „Ein | |
| organisiertes Chaos“, sagt Pedro. „Fado lebt von der Spontaneität, jeder | |
| Abend ist anders.“ | |
| Ist er nicht gerade auf Auslandstournee, spielt Pedro selbst. Drei Mädchen | |
| lachen, eine zupft auf einer Gitarre herum. Die Leute schieben sich in den | |
| Gang zwischen den beiden Tischreihen mit weinroten Tischdecken, stehen an | |
| der Bar. Die Flügel der Tür schließen sich. Eines der Mädchen steht auf, | |
| geht zur Tür, es wird dunkel. Sie beginnt zu singen. | |
| ## Ein neuer Star | |
| Erstaunlich stimmgewaltig, auf einmal sieht sie aus wie über 30. Es ist die | |
| 16-jährige Teresinha Landeiro. „Die Leute hier kennen sie noch als Kind, | |
| jetzt ist sie schon ein Star mit eigenem Ausdruck und Stil“, sagt Pedro. | |
| Als Nächstes lassen eine Sängerin aus Kolumbien und ein Violonist aus | |
| Mexiko fremdländische Elemente in ihre Fados einfließen. Großer Applaus. | |
| Wieder eine Pause, die Holztür öffnet sich. Jedes Mal ist es wieder | |
| spannend, welche Musiker wohl noch hereinkommen. Angekündigt wird das | |
| nicht. | |
| „Das ist ein Stück künstlerische Freiheit“, sagt Pedro. „Wir sind ein | |
| offenes Haus, wer singen oder spielen will, kann kommen. Die Akustik ist | |
| toll.“ Eingeweihte wissen, dass es sich auch nachts noch lohnt | |
| vorbeizuschauen. Das gehört zur Lebensqualität des Viertels. Vorher war | |
| Pedros Fado-Kapelle ein Lebensmittelladen. | |
| 6 Apr 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Sparrer | |
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