| # taz.de -- Fausto Bordalo Dias spielt in Berlin: Das Meer steht über allem | |
| > Sein Werk ist Therapie für die Portugiesen: Der lusitanische Nationalheld | |
| > und Sänger Fausto Bordalo Dias kommt für ein Konzert nach Deutschland. | |
| Bild: Kaum jemand thematisiert die portugiesische Meeresbesessenheit derart wie… | |
| Wer sich in Lissabon, egal zu welcher Jahreszeit, mit der Stadtbahn den | |
| Tejo entlang gen Flussmündung aufmacht, dem werden zur Mittagszeit | |
| womöglich die vielen bürofeinen Leute auffallen, die in ihrer Mittagspause, | |
| dem Landesinneren den Rücken zugekehrt, auf Klippen, Felsvorsprüngen oder | |
| Sand stehen und aufs Meer starren. Nur stehen und starren. | |
| Im Laufe seiner Geschichte regierten in Portugal Römer, Westgoten, Sueben | |
| und Spanier; es herrschten Absolutismus, Monarchie, Diktatur und | |
| Demokratie. Vor allem anderen aber und alles überdauernd herrschte und | |
| herrscht die Thalassokratie. Unter Thalassokratie versteht man gemeinhin | |
| die Herrschaft über das Meer durch eine Seemacht, der das Streben über die | |
| inneren Landesgrenzen hinaus vergleichsweise wenig bedeutet. Deren | |
| Verlangen sich stattdessen ganz konzentriert auf die „Meere, die noch nie | |
| befahren“, wie der vielzitierte Satz des portugiesischen Nationaldichters | |
| Luís de Camões lautet. | |
| In Bezug auf das heutige Portugal muss die allzu anthropozentrische | |
| Vorstellung einer vermeintlichen Herrschaft über das Meer – schon immer nur | |
| eine Fiktion – in die Herrschaft des Meeres übersetzt werden. | |
| Das Meer, geliebt und gefürchtet zugleich, steht von jeher über allem. Es | |
| ist geografische und mythische Grenze; es gilt den Portugiesen als | |
| spirituelles Reich, das in Kontrast steht zum physischen Reich, welches | |
| entgegen allen nationalen Verherrlichungen des Zeitalters der Entdeckungen | |
| niemals war. Das Meer ist verbindendes, stabilisierendes und Wesen | |
| stiftendes Element und formt die Basis portugiesischer Identitätsdiskurse. | |
| ## Die Obsession Meer | |
| Wie passend also, dass der legendäre portugiesische Singer-Songwriter | |
| Fausto Bordalo Dias mitten auf dem unruhigen Atlantik geboren wurde, im | |
| November 1948, irgendwo zwischen Portugal und der damaligen Kolonie Angola. | |
| Die Obsession Meer zieht sich als roter Faden durch die gesamte | |
| portugiesische Kulturgeschichte. Und sie prägt auch die MPP (Música Popular | |
| Portuguesa) über alle Musikergenerationen und Stilrichtungen hinweg. | |
| Kaum jemand aber verkörpert und thematisiert die portugiesische | |
| Meeresbesessenheit derart wie Fausto. Sein gesamtes musikalisches Werk | |
| liest sich als nationalenzyklopädischer Streifzug durch das kollektive | |
| Gedächtnis seines Heimatlandes und als kritisch-liebevolle | |
| Auseinandersetzung mit der sogenannten Lusitanität. | |
| Dass das Verb „lesen“ hier durchaus angebracht ist, findet auch der | |
| bekannte portugiesische Kritiker und Autor Viriato Teles, der über Faustos | |
| Veröffentlichungen schrieb: „Bitte lesen Sie diese Platten!“ Und damit | |
| meinte er sicher nicht die bloße Lektüre der zugegebenermaßen exzellenten | |
| Songtexte. | |
| Vielmehr mag es ihm um die Feststellung gegangen sein, dass Faustos Werk | |
| musikalisch wie textlich eine eigene „Grammatik“ aufweist, die längst | |
| ihrerseits Bestandteil des nationalen portugiesischen Gedächtnisses | |
| geworden ist. Und die den Portugiesen Therapie und entlarvendes Spiegelbild | |
| zugleich ist. | |
| ## Ein musikalisches Epos | |
| Faustos Veröffentlichungsgeschichte – zehn Alben seit 1970 – ist geprägt | |
| von langen Veröffentlichungspausen, die seiner Popularität beim | |
| portugiesischen Publikum allerdings keinen Abbruch taten. Als 2011 mit „Em | |
| Busca das Montanhas Azuis“ nach acht Jahren Schweigen endlich der lang | |
| erwartete dritte Teil seiner 1982 begonnenen Trilogie „Lusitana Diáspora“ | |
| erschien, fand sich dieser sofort auf Platz 1 der portugiesischen | |
| Albumcharts wieder. | |
| „Lusitana Diáspora“, das man in seiner zeitlosen Vollendung mit Fug und | |
| Recht ein musikalisches Epos nennen darf, kreist inhaltlich um die Zeit der | |
| portugiesischen Entdeckungen und orientiert sich unter anderem an den für | |
| seine Zeit ungewöhnlich kolonialismuskritischen Berichten des | |
| portugiesischen Entdeckers und Chronisten Fernão Mendes Pinto | |
| (wahrscheinlich 1509–1583). | |
| Während der erste Teil, „Por Este Rio Acima“ (1982), den Aufbruch ins | |
| Unbekannte nachzeichnet, konzentriert sich „Crónicas da Terra Ardente“ | |
| (1994) auf die Schrecken der langen Seereise. Der bereits erwähnte dritte | |
| Teil schließlich setzt an beim Betreten des afrikanischen Kontinents durch | |
| die portugiesischen Kolonisatoren. Wenn man den enthusiastischen | |
| portugiesischen Konzertberichten der letzten Monate glauben darf, so stellt | |
| Faustos aktuelles Konzertprogramm eine Art Gesamtaufführung seiner | |
| berühmten Trilogie dar. | |
| Sein Konzert am 1. August im Berliner Haus der Kulturen der Welt ist eine | |
| äußerst seltene Gelegenheit, einer musikalischen Nationalikone bei der | |
| Inszenierung ihrer kritischen Neuinterpretation portugiesischer Geschichte | |
| zuzuhören und zuzuschauen. Nicht nur deshalb empfiehlt sich: Bitte lesen | |
| Sie dieses Konzert! | |
| 30 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ebba Durstewitz | |
| ## TAGS | |
| Haus der Kulturen der Welt | |
| Portugal | |
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