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# taz.de -- Interview: "Der Fado reinigt die Seele"
> Ein Gespräch mit Marisa dos Reis Nunes, der "Königin des Fado", über den
> Prunk des Oman, die Krise in Portugal, Billie Holiday und Berlin.
Bild: Für Mariza ist Musik wie ein Lichtschalter, der Menschen wieder aufmerks…
Mariza, Sie haben Fado "den HipHop des 19. Jahrhunderts" genannt, die
populäre Poesie der Armen und Ausgestoßenen. Erst im 20. Jahrhundert haben
auch die reicheren Leute den Fado entdeckt.
Sie wurden aufmerksam, sagen wir es so. Das Wunderbare am Fado ist die
Tiefe der Gefühle. Musik ist für mich auch eine Art von Religion. Im Moment
zum Beispiel bin ich in Oman: Wir haben völlig verschiedene Vorstellungen
von Politik, völlig andere Gesellschaftsformen, aber beim Konzert sind wir
eins - mit der Musik. Und dann gibt es keine Unterschiede mehr zwischen
uns.
Das Royal Opera House in Oman ist das einzige Opernhaus der Golfstaaten.
Dieses Haus ist so schön! Unglaublich! So was habe ich noch nie gesehen …
überall Rot, Gold, Marmor. Bildschirme in den Stühlen für die Texte! Es
ist, als würde man in ein Buch hineinlaufen.
In ein Buch?
Meine Mutter hat mir früher immer Märchen vorgelesen. Ich liebe Märchen. In
Portugal bin ich die Botschafterin von Hans Christian Andersen.
Portugal geht es nicht so gut wie Oman. Vergessen Sie die wirtschaftliche
Misere, wenn Sie auf die Bühne gehen?
Nein. Für mich ist Musik wie ein Lichtschalter, der Menschen wieder
aufmerksam macht für das Leben und die Gesellschaft. Ich möchte die Leute
stärken. Trösten. Der Fado reinigt die Seele. Im Moment sind wir sehr
traurig über die ökonomische Seite unseres Lebens. Wir neigen dazu, die
Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind - mit Melancholie. Wir glauben aber
auch, dass wir stärker werden können durch das Leid. Jetzt müssen wir
lernen aus unseren Fehlern und eine bessere Gesellschaft aufbauen. Wir
brauchen diese enorme Ungleichheit nicht.
In einem Ihrer bekanntesten Fados, "Transparente", erzählen Sie von Ihrer
Großmutter.
Meine Großmutter war schwarz. Afrikanerin. Ein Freund hat diesen Text für
mich geschrieben. Er wusste damals gar nicht, dass meine Großmutter schwarz
war. Jahre später habe ich mich an dieses Gedicht erinnert, und dann war
plötzlich auch die Musik da, aus Mosambik, dem Land, in dem ich geboren
bin.
Mosambik war ja eine portugiesische Kolonie. Sie selbst mögen es gar nicht,
wenn Sie "Königin des Fado" genannt werden.
Und dieses Wort "Diva" - das mag ich schon überhaupt nicht.
Wie wäre es mit einem Märchentitel? "Mariza, die Leopardin des Fado"?
Wow. Ich? Warum?
Ihre Bühnenpräsenz. Leoparden haben eine eigene Majestät.
Ja. Ich sage nicht, dass das nicht stimmt … Aber ich habe früher nicht im
Traum daran gedacht, dass ich einmal Welttourneen machen würde, dass so
viele Menschen meine Musik verstehen wollen. Ich war glücklich in meinem
kleinen Lisboa! Selbst heute ist mir das alles manchmal unheimlich. Ich bin
doch noch der gleiche Mensch! Ich gehe auf den Markt, ich spiel mit meinem
Sohn, ich geh einkaufen …
In Ihrer Version von "Cry me a river" klingen Sie wie eine Leopardin an der
Jazz-Leine.
Danke! Es gibt Jazzsongs, da denke ich: Das sind eigentlich Fados, das
könnte ich singen. "Smile", "Summertime"…
"Strange Fruit"?
Billie Holiday! Ich habe noch nie etwas von ihr gesungen. Ich liebe sie so
sehr! Für mich ist sie ein Chamäleon. Sie kam auf die Bühne, und plötzlich
hatte sie eine ganz andere Stimme, eine völlig andere Musik. Sie war so
gut!
Sie hatte ein tragisches Leben.
Na ja, alle großen Sängerinnen, alle Diven hatten ein tragisches Leben.
Und Sie?
Oh, mein Leben ist ein Geschenk! Ich bin ein Mensch, der gern Spaß hat.
Glauben Sie an Gott?
Ich bin sehr, sehr katholisch. Gott ist mein Kopilot.
Kirchenmänner würden sagen: Was? Gott ist der Pilot?
Nein. Mein Flugzeug, das fliege ich schon selbst. Aber ich brauche Hilfe
dabei. Ich spreche jeden Morgen und jeden Abend mit Gott. Wir brauchen alle
etwas, an das wir glauben können. Auch Atheisten glauben an etwas. Wenn man
an gar nichts glaubt, dann ist man wirklich - komplett allein.
Sie nennen Lissabon, Ihre Heimatstadt, eine Frau.
Lissabon ist wie eine Schachtel, in der gibt es noch eine Schachtel und
dann noch eine und noch eine - und man kommt nie ans Ende. Es gibt immer
wieder etwas Neues zu entdecken. Wie bei uns Frauen.
Berlin hat ganz viele Kiezschachteln - nebeneinander.
Berlin ist für mich ein bisschen wie Jazz. Ich hab früher gedacht, in
Berlin leben nur Deutsche. Aber bei euch lebt die ganze Welt! Und ich
entdecke in Berlin immer wieder Kunst, die es nirgendwo sonst auf der Welt
gibt. Echte Außenseiter. Fantastisch!
9 Oct 2013
## AUTOREN
Gaby Sohl
## TAGS
Fado
Haus der Kulturen der Welt
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