# taz.de -- Kunst und Stadt: Rom, ach deine Künstler | |
> Ein Schriftsteller, ein Regisseur und ein Musiker erzählen vom Leben in | |
> ihrem Stadtviertel und den fehlenden Freiräumen überall. | |
Bild: Wandmalerei in den Straßen von Rom. | |
Hier in die Katakomben setze ich die Zombies. Es ist eine ideale Szenerie“, | |
erklärt Luca Cangianti und reibt sich die Hände. Wir stehen vor dem Parco | |
Giovannipoli im römischen Viertel Garbatella, wo ein Eingang zu den | |
Katakomben der Commodilla entdeckt wurde. Cangianti ist Schriftsteller. In | |
den italienischen Buchhandlungen liegt sein Horrorkrimi „Sangue e | |
plusvalore“ (Blut und Mehrwert) aus. Er erzählt davon, wie Karl Marx und | |
Graf Dracula im viktorianischen London aufeinandertreffen. | |
Der Schauplatz seines nächsten Romans, bei dem es selbstverständlich wieder | |
um Blut und Horror geht, ist die Garbatella: das Viertel, in dem er lebt. | |
Cangianti verdient sich das Leben als Unternehmenskommunikator. Deshalb ist | |
er viel unterwegs. Heimat ist für ihn nicht seine kleine Wohnung, in der er | |
selten anzutreffen ist, sondern alles, was drumherum passiert. | |
„Ich bin als Student vom Zentrum hierhergekommen und habe das als | |
ziemlichen Abstieg empfunden. Heute denke ich, dass die Garbatella ein | |
einzigartiges Viertel in Rom ist“, sagt Cangianti während er durch eine | |
Gartenstraße mit Zwergenhäuschen aus dunkelrotem Stein stapft. Mit der | |
jugendlichen Verachtung für den im Südosten Roms liegenden Stadtteil lag er | |
in den 80ern im Trend. In dem deutschen Alternativreiseführer „Anders | |
Reisen“ wurde die Garbatella damals in einem Satz als | |
„kleinbürgerlich-heimelig anmutendes Arbeiterviertel“ abgetan. Erst in den | |
90ern wurde das kleine Viertel im Stadtteil Ostiense durch Nanni Morettis | |
Film „Caro Diario“ auch außerhalb Roms bekannt. | |
## Das Arbeiterviertel in der Vorstadt | |
Der ältere Teil des Viertels, die kleinen Häuschen im Grünen, waren wie die | |
deutschen Gartenstädte in den 20er Jahren gebaut worden, vor allem um | |
Arbeitskräfte aus dem Süden unterzubringen. Später, unter der | |
faschistischen Stadtverwaltung, kamen mehrstöckige Mietshäuser dazu. | |
Mussolini wollte die Arbeiterfamilien aus dem Zentrum in die Vorstadt | |
umsiedeln. | |
Womit er nicht gerechnet hatte, war der Widerstand, der in den „lotti“ | |
(Wohnblöcken) der Garbatella wuchs. Die Partisanen der Bewegung Movimento | |
Comunista d’Italia waren hier stärker als anderswo. Im Jahr 1943 warfen sie | |
Flugblätter gegen den faschistischen Terror vom Dach des Kinos Palladiums. | |
„Nach dem Krieg wurde die Geschichte des Widerstands von der KPI | |
vereinnahmt, viele aus der nun als häretisch geltenden Movimento gingen in | |
den 60ern in die außerparlamentarische Opposition“, erklärt Cangianti. | |
Er hat früher oft in der Trattoria Potpourri mit ein paar Alten, die sich | |
noch an diese Geschichten erinnerten, Widerstandslieder gesungen. Viele von | |
ihnen sind nicht mehr da. Bis heute ist die Garbatella aber das rote | |
Viertel der Stadt geblieben, sowohl was die Politik als auch die Farbe der | |
„lotti“ betrifft, die nie renoviert wurden. In vielen wohnen bis heute noch | |
die Familien der ersten Mieter. Zu den „wichtigen Leuten“, wie Cangianti | |
respektvoll sagt, gehöre die dicke Frau im geblümten Sommerkleid und ihr | |
Mann, die mit einem anderen Paar vor einem Brunnen stehen und diskutieren. | |
## Die Mieten sind für viele unerschwinglich | |
Es geht um Carlotta. Das ist der Name des kleinen Brunnens, der aus dem | |
Mund einer Frau Wasser spendet. Hier in der versteckten Ecke an der Piazza | |
Ricoldo da Montecroce haben sich seit jeher die Verliebten der Garbatella | |
getroffen. Im Jahr 1998 wurde der Brunnen restauriert. Die Treppe, die zu | |
ihm führt, verfällt aber zusehends – wie auch viele Höfe und Plätze | |
verkommen, wo sich die Bewohner abends mit einem Plastikstuhl auf einen | |
Schwatz treffen. Sie fordern seit Jahren das Eingreifen der Stadt, um nicht | |
nur Carlotta, sondern auch ihre Umgebung zu erhalten. | |
„Die Stadt tut nichts“, sagt Luca Cangianti. „Die Stadt tut gar nichts“, | |
sagt auch Rolando Stefanelli. Er meint damit die Wohnungspolitik. | |
Die privaten Mieten sind für viele unerschwinglich, Rom ist inzwischen die | |
teuerste Stadt Italiens. Sozialen Wohnungsbau wie einst in der Garbatella | |
gibt es seit den 70er Jahren nicht mehr. Als Reaktion hat sich eine sehr | |
aktive Hausbesetzerbewegung gegründet, in der sich auch Rolando Stefanelli | |
seit sieben Jahren engagiert. „Die Lage in der Stadt ist dramatisch. Immer | |
mehr Familien mit Kindern und alte Leute werden auf die Straße gesetzt“, | |
erzählt er. | |
Der Regisseur selbst lebt in einem besetzen Haus nahe der Porta San | |
Giovanni in Laterano. Die Pforte in der aurelianischen Mauer war einst das | |
Tor der Stadt in den Süden. | |
Heute liegt dahinter der Stadtteil San Giovanni. Stefanelli verbringt die | |
meiste Zeit des Tages im Park vor der Lateranbasilika, der anlässlich des | |
Kirchenjubiläums im Jahr 2000 entlang der antiken Mauern angelegt wurde und | |
seitdem langsam verfällt. Morgens sitzt er vor dem Kiosk an einem der | |
Gartentische und schreibt, meist Ideen für Drehbücher. | |
„In meiner Wohnung ist es dunkel und kalt und hier draußen sonnig und | |
warm“, erklärt er. Er sitzt dort lange und beobachtet, was vorüberzieht: | |
eilige Hundebesitzer, knutschende Pärchen und Einwanderer mit schweren | |
Plastiksäcken. Die meisten grüßen ihn. Er ist bekannt wie die Statue des | |
Heiligen Franziskus vor der Basilika. Am Nebentisch streiten vier alte | |
Männer. „Sie sitzen immer hier, spielen Karten und verkaufen Diebesgut“, | |
sagt Stefanelli. Man winkt sich zu. | |
## Eine Zeit ohne Fortschritt | |
Die Zeiten sind schlecht für Regisseure, die sich nicht von Sponsoren und | |
Produzenten ins Zeug reden lassen wollen. Stefanellis letzter Spielfilm „Il | |
prezzo“ (Der Preis) lief im Jahr 2001 in den italienischen Kinos und wurde | |
für den italienischen Filmpreis David di Donatello nominiert. | |
Jetzt dreht er mit geliehenen Kameras und bekannten Schauspielern, die auf | |
ihre Gage verzichten, in den Straßen und Häusern Roms einen Episodenfilm. | |
„Die Filmfiguren stehen für unsere Zeit: eine Zeit, in der es keinen | |
Fortschritt gibt. Sie reden und handeln, entwickeln sich aber nicht | |
weiter“, erzählt Stefanelli. Er ist ein Analytiker. Sein Rom ist keine | |
„grande bellezza“. Manchmal kommt sein Freund Nicola Puglielli auf dem | |
Fahrrad im Park vorbei. Puglielli komponiert die Musik für Stefanellis | |
neuen Film. Er hat als Kind in den 60ern mit seinen Eltern und ihren | |
freigeistigen Künstlerfreunden in allen römischen Vierteln gewohnt. Zu | |
Hause fühlt er sich aber immer im Zentrum, in den Gassen um die Piazza | |
Campo de‘Fiori, über die die Statue des Ketzers Giordano Bruno wacht. | |
Als Stadt der Boheme hat er Rom nie empfunden. „In Rom herrschten früher | |
die Bürokraten des Vatikans und der Regierung, heute sind es die | |
Spekulanten der Mafia und der Banken. Früher gab es noch versteckte | |
Freiräume in alten Gemäuern und Hinterhöfen, jetzt ist alles verkauft und | |
vermietet. Es wird eng“, sagt er. Einer dieser Freiräume war für ihn das | |
Jazzlokal Music Inn am Largo dei Fiorentini nahe dem Tiberufer. | |
Das Lokal des Prinzen Pepito Pignatelli und seiner Frau Picchi war in den | |
70er und 80er Jahren das Mekka der italienischen Jazzfans. Hier traten Chet | |
Baker, Charles Mingus und Bill Evans auf. Die Stimmung war immer gut, die | |
Preise waren demokratisch. „Alle haben sich hier getroffen. Ich bekam als | |
20-Jähriger die Chance, große Musiker wie Massimo Urbani und Kirk Lightsey | |
auf der Gitarre zu begleiten“, erzählt Puglielli. Mit dem Tod der | |
Pignatellis waren auch die wilden Jahre des Jazz in Rom vorbei. | |
## Das Jazzfeeling ist vorbei | |
Das Music Inn ist heute eine Cocktailbar mit DJ-Set. Die Musiker sind in | |
andere Lokale abgewandert, die Jazzszene ist zersplittert. „Es gibt jetzt | |
viel mehr Musiker und Konzerte als damals, aber die meisten Lokale zahlen | |
lächerliche Gagen und missbrauchen den Jazz als Hintergrundmusik“, erzählt | |
er. Das Jazzfeeling in Rom ist für ihn vorbei. Puglielli hat jetzt Giuseppe | |
Verdi entdeckt und arrangiert Opernarien in Jazzversion, die er mit seinen | |
Bands auch selbst spielt und aufnimmt. | |
Zeit zum Nachdenken findet er, wenn er mit dem Rad durch die Stadt fährt. | |
Dabei vermeidet er Verkehrsstraßen. Seine Lieblingspiste ist der zumindest | |
stückweise fertiggestellte Radweg entlang des Tiberufers. „Von hier aus | |
bekommt man einen anderen Blick auf die Stadt. Der Autoverkehr erscheint | |
einem dann als Wahnwitz, wenn man wieder auf die Straße zurückkommt“, | |
erzählt Puglielli. | |
Oft hadert er mit sich, dass er nicht – wie viele andere italienische | |
Musiker – nach New York oder Paris ausgewandert ist. Aber wenn es Nacht | |
wird in Rom und ein paar Autos weniger fahren, stellt er sich manchmal mit | |
dem Rad auf die Trilussabrücke. „Auf der einen Seite sehe ich die | |
Tiberinsel und auf der anderen die Engelsburg. Dann kommen die Noten | |
wieder, die tagsüber vom Lärm aufgefressen werden“, sagt er und radelt | |
weiter. | |
15 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Michaela Namuth | |
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