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# taz.de -- Plagiatsvorwurf gegen Daniel Kehlmann: Rhetorisches Rudern eines Ru…
> Ein Germanistikprofessor wirft Schriftsteller Daniel Kehlmann vor, sich
> im Onlinelexikon bedient zu haben. Er hat keinen Beleg dafür.
Bild: Daniel Kehlmann wurde des Plagiats bezichtigt. Doch das Problem hat nun n…
Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Im Oktober sagte der
Bachmannpreis-Juror, Leiter des Literaturhauses Graz und
Germanistikprofessor Klaus Kastberger in einem Interview in der Wiener
Zeitung, dass Daniel Kehlmann „nichts anderes macht, als Wikipedia
abzuschreiben und daraus Romane zu basteln . . . Man hat ja nachgewiesen,
wie sehr sich die Einträge zu Gauß und Humboldt auf Wikipedia und manche
Passagen der ‚Vermessung der Welt‘ ähneln“.
Daniel Kehlmann kam dieses Interview vor Augen, und er war begierig darauf,
zu erfahren, wo sich dieser Nachweis findet. Also forderte er Kastberger
auf, „entweder die Artikel, auf die er sich bezieht, vorzulegen oder aber
eine einzige aus Wikipedia abgeschriebene Stelle meines Romans zu nennen“.
Kastberger konnte keine einzige aus Wikipedia abgeschriebene Stelle nennen,
verwies aber auf die Quelle, auf die er sich bezog: „die peer-reviewte
Zeitschrift /Humboldt im Netz /(XIII, 25, 2012) “. Der Nachweis, wie sehr
sich die Einträge zu Gauß und Humboldt auf Wikipedia und manche Passagen
der „Vermessung der Welt“ ähneln, findet sich dort allerdings auch
nirgendwo. Kehlmann schrieb daraufhin: „Ich stelle fest: Herr Kastberger
kann keinen Artikel nennen, der seine Behauptung untermauert, und er kann
keine entsprechende Stelle meines Buches anführen.“
Seitdem hat Kastberger ein Problem. An der sehr konkreten Behauptung,
Kehlmann habe aus Wikipedia abgeschrieben, gibt es überhaupt nichts
herumzudeuteln: Wer sagt, Kehlmann habe aus Wikipedia abgeschrieben und man
habe das nachgewiesen, der kann überhaupt nicht anders verstanden werden
als so, dass er damit sagen will, Kehlmann habe aus Wikipedia abgeschrieben
und man habe das nachgewiesen. Kastberger jedoch möchte zwar gern an seiner
Behauptung festhalten, er will sie allerdings nicht so gemeint haben. Es
ist sehr aufschlussreich, Kastbergers rhetorische Verrenkungen
nachzuverfolgen.
## Ablenkung vom Wesentlichen
So schrieb Kastberger an Kehlmann: „Einen philologischen Beweis, dass Sie
aus Wikipedia oder von wo auch immer wortwörtlich abgeschrieben haben, bin
ich Ihnen nicht schuldig, denn das war nicht die Behauptung.“ Zu seiner
Selbstverteidigung schmuggelt Kastberger hier die Wendungen „oder von wo
auch immer“ und „wortwörtlich“ ein. Kehlmann wollte aber überhaupt kein…
Beleg dafür sehen, dass er „von wo auch immer“ abgeschrieben habe. Er
wollte einen Beleg dafür sehen, dass er aus Wikipedia abgeschrieben habe.
Kastberger versucht sich auch damit herauszuwinden, dass er ja nicht
behauptet habe, Kehlmann habe „wortwörtlich“ aus Wikipedia abgeschrieben.
Freilich hat Kastberger hier die Wendung „wortwörtlich“ plötzlich ins Spi…
gebracht, um vom Wesentlichen abzulenken: Kehlmann hatte ihn nämlich
keineswegs dazu aufgefordert, eine einzige wortwörtlich aus Wikipedia
abgeschriebene Stelle seines Romans zu nennen. Er hatte ihn aufgefordert,
eine einzige aus Wikipedia abgeschriebene Stelle seines Romans zu nennen.
Kastberger versuchte noch eine weitere Argumentation, um seine Behauptung
nicht belegen zu müssen. Er beharrt darauf, dass er es für völlig legitim
halte, wenn ein Romanautor aus Wikipedia abschreibe; das sei also kein
Vorwurf. Kehlmann könne ihm daher keinen Strick aus seiner Behauptung
drehen, denn die sei ja nicht ehrenrührig.
Man muss es Kastberger hoch anrechnen, dass er immerhin eines einsieht:
Wenn er einen Vorwurf erhoben hätte, dann hätte er ihn belegen müssen. Was
Kastberger dabei leider übersieht: Auch derjenige, der eine Behauptung
aufstellt, sollte sie belegen können. Wer aber behauptet, man habe ja
nachgewiesen, wie sehr sich die Einträge zu Gauß und Humboldt auf Wikipedia
und manche Passagen der ‚Vermessung der Welt‘ ähneln, der sollte in der
Lage sein, eine Quelle für diesen Nachweis anzugeben. Kastberger ist dazu
nicht in der Lage. Es ist ein höchst durchsichtiges Ablenkungsmanöver, dass
Kastberger das Augenmerk auf die Legitimität des Abschreibens lenken will.
Es geht aber doch überhaupt nicht darum, ob Kastberger es für legitim hält,
dass ein Autor aus Wikipedia abschreibt. Es geht darum, ob Kehlmann aus
Wikipedia abgeschrieben hat.
In der von Kastberger angegebenen Quelle, der betreffenden Ausgabe der
Zeitschrift Humboldt im Netz, ist von Wikipedia überhaupt nicht die Rede.
Kastberger versucht daher zu erklären, dass er mit Wikipedia nicht
unbedingt Wikipedia gemeint habe. In der von ihm angegebenen Quelle sei,
sagt Kastberger, nachzulesen, dass Kehlmann in der Modellierung seiner
Romanfiguren Klischees aus der älteren Humboldt-Literatur bezogen habe. Und
diese Klischees, meint Kastberger, „können gut auch aus Wikipedia sein“ und
sie können „beispielsweise auch aus jedem Wikipedia-Artikel gezogen
werden“. Aus dieser Formulierung ersieht man, dass Kastberger komplett
zurückrudert.
Wenn die Klischees „beispielsweise“ „gut auch aus Wikipedia sein können�…
handelt es sich also bloß um eine Spekulation Kastbergers. Er vermutet, er
nimmt an, er mutmaßt, dass Kehlmann aus Wikipedia abgeschrieben habe. Man
ist somit leider gezwungen, Kastberger eines zu erklären: Eine Spekulation
ist kein Nachweis.
## Psychoanalytischer Philologe
Kastberger tut auch so, als wäre sein Satz mit Wikipedia gar nicht so
wichtig gewesen. Er verweist auf den „Gesamtzusammenhang“ seiner
Argumentation und klagt, Kehlmann verbeiße sich in das Wort „Wikipedia“. Es
ist schon erstaunlich, dass eine solche Selbstverteidigung ausgerechnet von
einem Philologen stammt.
Gerade als Philologe müsste Kastberger doch eines verstehen: Wenn die
Details nicht stimmen, ist auch der Gesamtzusammenhang falsch. Wenn
Kastberger die Behauptung, Kehlmann habe aus Wikipedia abgeschrieben, frei
erfindet, dann wird die Pointe, die er auf diese Behauptung setzt, nämlich
dass Kehlmanns Abschreiberei aus Wikipedia völlig legitim sei, nicht
logischer.
Das Problem, das Kastberger hat, ist also folgendes: Er lügt, und er weiß,
dass er lügt. Er weiß es spätestens, seit Kehlmann ihn der Lüge überführt
hat. In seiner Verzweiflung wird Kastberger am Ende seiner Einlassungen
daher sogar beleidigend. So schreibt er, Daniel Kehlmann agiere aufgrund
von „übernommenen Verletzungen“: Er habe die Karriere seines Vaters Michael
Kehlmann von Rufmördern ruiniert gesehen, und nun sehe er auch sich selbst
von Rufmördern umgeben. Zu diesen Rufmördern zähle Kehlmann auch ihn,
Kastberger.
Dazu ist zu sagen, dass es immer ein schlechtes Zeichen ist, wenn ein
Philologe anfängt, wie ein Psychoanalytiker daherzureden. Wer sich
Kehlmanns Wortmeldungen in dieser Angelegenheit durchliest, sieht, dass es
ihm nur um die Sache geht. Und in der Sache ist Kastbergers Behauptung
schlichtweg unhaltbar. Natürlich hat Kastberger aber nach wie vor die
Chance, in den Kreis der zivilisierten Menschen zurückzukehren: Er bräuchte
sich dazu nur bei Daniel Kehlmann öffentlich zu entschuldigen.
12 Nov 2015
## AUTOREN
Joseph Wälzholz
## TAGS
Plagiat
Buch
Schriftsteller
Wikipedia
Wikipedia
Schriftsteller
Terézia Mora
deutsche Literatur
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