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# taz.de -- Streit um Inklusion: Ausschluss bei der Feuerwehr
> Der lernbehinderte Henrik W. war viele Jahre bei einer Dorf-Feuerwehr.
> Aber jetzt in Schleswig will ihn die Feuerwehr nicht mitmachen lassen.
Bild: Nicht immer geht es bei der Feuerwehr um Leben und Tod: Helfer beim Säub…
Die Freiwillige Feuerwehr war für Henrik W. viele Jahre lang ein
selbstverständlicher Bestandteil seines Lebens. Seit seinem Umzug aus dem
beschaulichen Uelsby nach Schleswig ist es damit vorbei. Die dortige
Feuerwehr lehnte ihn ab, denn Henrik W. ist lernbehindert. Er arbeitet in
einer Behindertenwerkstatt und hat einen gesetzlichen Betreuer. „Die hatten
Angst, dass ich bei ihnen unter die Räder komme“, sagt W.
Weil er nicht verstand, warum er jetzt plötzlich nicht mehr bei der
Freiwilligen Feuerwehr mitmachen darf, hat er sich an die Schleswiger
Nachrichten gewandt und seinen Fall öffentlich gemacht. Denn auch für die
Feuerwehren ist Inklusion ein wichtiges Thema, wie Volker Arp, der
Geschäftsführer des Landesfeuerwehrverbandes versichert.
Hendrik W. hat, wie er erzählt, mit zehn Jahren bei der Jugendfeuerwehr
angefangen. Danach war er vier Jahre lang bei der „richtigen“ Feuerwehr und
absolvierte die Prüfung zum „Truppmann“ und damit den Abschluss der
Grundausbildung. Dafür müsse man etwa bestimmte Knoten können, Leitern
zusammenstecken und einen Löschangriff machen, berichtet W.
„Der konnte einwandfrei so mitmachen“, sagt Marco Truelsen, Führer der
Jugendfeuerwehr in Böklund, wo W. angefangen hat. Das sei gar kein Problem
gewesen. Bei der Jugendfeuerwehr wird allerdings nur geübt und auch bei der
Freiwilligen Feuerwehr in Uelsby hat W. nie an Einsätzen teilgenommen. „Wir
sind ein kleines Dorf“, sagt Dirk Fintzen von der Freiwilligen Feuerwehr.
„Richtige Einsätze hatten wir nie.“
Karl Goos, dem Führer des Löschzuges Schleswiger Altstadt, tut es
„außerordentlich leid“, dass Henrik W. nicht habe aufgenommen werden
können. Er beruft sich auf die vom Landesfeuerwehrverband vorgegebene
Mustersatzung für Freiwillige Feuerwehren, in der es mit Blick auf aktive
Mitglieder heißt: „Der Bewerber muss körperlich und geistig für den
Feuerwehrdienst tauglich sein.“
Nach Rücksprache mit W.s Betreuer und seinem ehemaligen Wehrführer habe er
einen gegenteiligen Eindruck bekommen. Die Schleswiger Feuerwehr fahre 250
bis 300 Einsätze pro Jahr. „Da muss ich sicher sein, dass jeder
funktioniert“, sagt Goos. „Ich bin verantwortlich für die ganze Truppe.“
Jemanden aufzunehmen und dann bei den Einsätzen nicht mitzunehmen, sei ja
auch für den Betreffenden nicht schön.
Samiah El Samadoni, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des
Landtages, stellt sich die Frage, „ob ein kompletter Ausschluss hier die
adäquate Reaktion ist“. Gesetzlich sei nichts zu wollen, denn Allgemeine
Gleichstellungsgesetz (AGG) beziehe sich nicht auf ehrenamtliche
Tätigkeiten. Als analog könne der Fall eines Anwärters für den
Polizeivollzugsdienst betrachtet werden, an den besondere Anforderungen
gestellt würden.
„Trotzdem stellt sich die Frage, wie inklusiv unsere Gesellschaft ist“,
findet Samadoni. Es gebe bei den Freiwilligen Feuerwehren sicher viele
Dinge zu tun, wo nicht höchste körperliche und geistig Fitness gefordert
sei. „Dann hat man eben ein Mitglied, das nicht jeden Einsatz mitmacht“,
sagt sie.
Einen möglichen Ausweg sieht das schleswig-holsteinische Brandschutzgesetz
vor – als bisher einziges in der Republik, wie Volker Arp vom
Landesfeuerwehrverband sagt. Die Wehren könnten „Verwaltungsabteilungen“
einrichten, in den auch Menschen mit eingeschränkten Fähigkeiten tätig sein
könnten. Ab dem 1. Januar würden auch die Mustersatzungen für
Gemeindefeuerwehren entsprechend geändert.
Menschen mit Behinderungen würden dann zwar nicht zu den Einsätzen
rausfahren, könnten dann die Kasse machen, dem Gerätewart helfen oder bei
längeren Einsätzen die Verpflegung sicherstellen. „Was wir nicht können,
ist drei Leute im Dienst abstellen, um einen zu betreuen“, sagt Arp.
Die Antidiskriminierungsbeauftragte El Samadoni hält es für erwägenswert,
grundsätzlicher an das Problem heranzugehen und den Betroffenen eine
Rechtsposition zu verschaffen. „Man könnte darüber nachdenken, ob man das
AGG nicht erweitern müsste“, sagt sie. Henrik W. bietet sie an, bei der
Suche nach einer individuellen Lösung zu helfen. Der hat aber „keine
Interesse mehr“, wie er sagt, „erst mal nicht“.
12 Nov 2015
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Feuerwehr
Inklusion
Mindestlohn
Feuerwehr
Tanzen
Syrische Flüchtlinge
Abgeordnetenhaus
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