# taz.de -- Das Flüchtlings-„Drehkreuz“ für den Norden.: „Ein ganz norm… | |
> In der Lüneburger Heide ist in Oerbke binnen Tagen in einer Ex-Kaserne | |
> eine gut organisierte Unterkunft für 1.400 Flüchtlinge entstanden. | |
Bild: Gut organisiert: Dolmetscher helfen ankommenden Flüchtlingen in der ehem… | |
Oerbke taz | „Es sieht vielleicht nicht nach Stress aus, aber es ist | |
Stress“, sagt Antje Heilmann von den Johannitern. In einer grünen Warnweste | |
steht sie auf dem asphaltierten Platz im Innenhof der Kaserne, in der bald | |
1.400 Flüchtlinge unterkommen sollen. Oerbke bei Bad Fallingbostel, ein | |
winziger Ort in der Lüneburger Heide, soll das norddeutsche Drehkreuz für | |
die Verteilung der Flüchtlinge werden. | |
Die Idee ist, den Münchener Hauptbahnhof zu entlasten. Dort sind bisher die | |
meisten Flüchtlinge über Ungarn und Österreich in Deutschland angekommen | |
und künftig werden die Züge direkt aus Österreich nach Oerbke fahren. Von | |
dort aus werden die Menschen dann auf andere norddeutsche Städte und | |
Kommunen verteilt. Ein Gleisanschluss in der Nähe der Kaserne soll das | |
Bahn-Drehkreuz werden. Das niedersächsische Innenministerium nennt das Camp | |
einen „Verteilknoten“. | |
Die ersten 600 Flüchtlinge sind schon da – 200 reisten am Samstag mit dem | |
Bus aus der völlig überfüllten Erstaufnahmeeinrichtung in Braunschweig an. | |
400 weitere kamen im Laufe des Sonntags aus Uelzen, wo sie mit einem Zug | |
aus Salzburg angekommen waren. Die Situation am Uelzener Bahnhof sei | |
chaotisch, sagt Heilmann: „Orientierungslosigkeit, Überforderung, keine | |
Ahnung, wie es weiter gehen soll – wenn Sie das sehen wollen, müssen Sie | |
nach Uelzen.“ In Oerbke hingegen sollen die Flüchtlinge ankommen und ein | |
bisschen Ruhe finden, sagt sie. „Ein bisschen Normalität - das ist unser | |
Ziel.“ Ein paar Jungs spielen Fußball im Hof, ein Mädchen springt auf einem | |
Trampolin und an einer hauswand lehnen drei junge Männer und rauchen. | |
## „Mehr Helfer als Flüchtlinge“ | |
Am Sonntag laufen auf dem Kasernengelände mehr HelferInnen als Geflüchtete | |
herum. Viele Freiwillige aus dem Ort sind gekommen, übersetzen, sortieren | |
Spenden, leisten medizinische Hilfe. Man erkennt die zivilen HelferInnen an | |
den pinken Warnwesten, auf Klebestreifen steht ihr Name und welche Sprachen | |
sie sprechen. | |
Auch an professionellen HelferInnen mangelt es nicht: zwei Rettungszüge, | |
bestehend aus jeweils 40 MitarbeiterInnen von Deutschen | |
Lebensrettungsgesellschaft, dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) und den | |
Johannitern sind da, zuständig für die Registrierung, die medizinische | |
Untersuchung und die Koordination. Um die Infrastruktur kümmern sich die | |
Feuerwehr, das Technische Hilfswerk und die Bundeswehr. „Aber eigentlich | |
machen wir mehr oder weniger das Gleiche“, sagt ein Mitarbeiter vom DRK. | |
„Wir begleiten die Flüchtlinge zu ihren Unterkünften, sind ansprechbar und | |
tragen alle unseren Teil dazu bei, dass das Ganze hier funktioniert.“ Viele | |
HelferInnen sitzen in Kleingruppen zusammen, trinken Kaffee, rauchen, | |
tauschen sich aus. Gestresst wirkt niemand. | |
„Die Struktur ist die eines ganz normalen Einsatzes zum | |
Bevölkerungsschutz“, erklärt Antje Heilmann. „Bei einer Flutkatastrophe | |
würden wir genau so vorgehen.“ Die Ankommenden werden am Bus von | |
Dolmetschern in Empfang genommen, die sie willkommen heißen und ihnen den | |
Ablauf erklären, beschreibt sie das Procedere. Dann werden sie in den | |
Aufenthaltsraum im Hauptgebäude der Militärkaserne geführt. Auf den | |
Tischen, die dort in langen Reihen stehen, warten Wasserflaschen auf die | |
weit Gereisten, ein Zettel liegt auf jedem Tisch: „Liebe Gäste“ steht auf | |
verschiedenen Sprachen darauf, „wir möchten Sie herzlich willkommen heißen | |
und erklären, wie es jetzt weitergeht.“ | |
Anschließend geht es raus auf den Hof, wo Zelte aufgebaut sind, in denen | |
die Flüchtlinge sich registieren und untersuchen lassen. „Die Registrierung | |
ist nur für interne Zwecke“, erklärt Heilmann. „Damit wir einen Überblick | |
haben“, Mit dem Asylprozess habe das nichts zu tun, versichert sie, und die | |
Daten der Flüchtlinge blieben im Camp. Die medizinische Untersuchung | |
erfolgt in einem anderen Zelt, in einem dritten Zelt ist das | |
„Quartiersmanagement“ untergebracht, in dem entschieden wird, wer welches | |
der acht Häuser bezieht und wer mit wem das Zimmer teilt. Es gibt ein Haus | |
nur für alleinreisende Frauen und eines, in dem nur Familien wohnen. Ein | |
Mitarbeiter der Feuerwehr begleitet die Flüchtlinge zu ihrem Haus. | |
Die MitarbeiterInnen ahnen, dass das nicht überall so reibungslos läuft. | |
Auch, dass es erst in den nächsten Tagen wirklich schwierig wird, wenn mehr | |
als doppelt so viele Flüchtlinge da sein werden als jetzt. Möglicherweise | |
werden es noch mehr: Ob die Unterkunft schrittweise auf 3.000 Plätze | |
ausgebaut werde, sei noch nicht abschließend geklärt, hieß es aus dem | |
niedersächsischen Innenministerium. Das Gelände, das dem Bund gehört, wurde | |
dem Land Niedersachsen mietfrei zur Verfügung gestellt. Die Kaserne ist nur | |
ein Teil der riesigen Militäranlage: Mit insgesamt 28.400 Hektar ist das | |
Grundstück der größte Nato-Truppenübungsplatz Europas. | |
Die Entscheidung, das Camp für die Unterbringung von Flüchtlingen zu | |
nutzen, hatten das Bundesverteidigungsministerium und das Land | |
Niedersachsen am Donnerstag bekannt gegeben und die Johanniter mit dem | |
Betrieb beauftragt. „Am Freitagmorgen standen wir dann hier und haben uns | |
überlegt, wie wir die Struktur hochziehen können“, sagt Antje Heilmann. | |
„Alles ging Schlag auf Schlag und am Samstag kamen ja auch schon die | |
Flüchtlinge.“ | |
## Das tut dem Ort gut | |
Auch die Bürgermeisterin von Bad Fallingbostel, Karin Thorey, war da, als | |
der erste Bus ankam. „Das war schön, zu sehen, wer da alles so ankommt“, | |
sagt sie. Sie glaubt, dass die Unterkunft dem Ort gut tut – auch | |
wirtschaftlich werde die Stadt profitieren. | |
Es gibt auch HelferInnen in lila Westen, auf denen „Notfallseelsorge“ | |
steht. Diese Aufgabe übernehmen Pastoren und Pfarrer aus der Umgebung, die | |
den Flüchtlingen zuhören und ihnen erklären, was als nächstes passiert und | |
einfach ansprechbar sind. „Das ist es schließlich, was die Menschen | |
brauchen“, sagt Frank Richter, ein Pastor aus einem Nachbarort. Er ist seit | |
Samstagnachmittag hier. | |
Auch die HelferInnen bräuchten manchmal Seelsorge, sagt Antje Heilmann. Man | |
sei mit so vielen Schicksalen konfrontiert, da sei eine psychosoziale | |
Notfallversorgung ganz wichtig. Deshalb plane man das bei solchen Einsätzen | |
immer ein. | |
Wie es sein wird, wenn mehr als doppelt so viele Flüchtlinge da sind und | |
wenn alle Ehrenamtlichen wieder in ihren normalen Jobs arbeiten müssen, | |
werde man dann sehen, sagt Heilmann. Die Johanniter haben jedenfalls | |
bereits Stellen für SozialarbeiterInnen ausgeschrieben, auch mehr | |
MedizinerInnen wird man noch einstellen, mehr BeraterInnen, noch mehr | |
EinsatzleiterInnen. | |
Wie lange die Flüchtlinge hier in Oerbke bleiben ehe sie weiter verteilt | |
werden, weiß auch Heilmann nicht. „Wenn Sie es wissen, rufen Sie mich an | |
und sagen es mir“, sagt sie. Heute sollen jedenfalls noch keine Flüchtlinge | |
in andere Bundesländer verteilt werden, teilte am Sonntag das | |
Innenministerium in Hannover mit. Ein kleines bisschen Ruhe haben die | |
Flüchtlinge also, noch zumindest für einen Tag. | |
13 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
## TAGS | |
Syrische Flüchtlinge | |
Unterbringung von Geflüchteten | |
Feuerwehr | |
Bundeswehr | |
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