# taz.de -- Gleichstellung von Homosexuellen: „Immer wieder abwertend“ | |
> Opfer homophober Gewalt erstatten oft aus Angst keine Anzeige, sagt der | |
> Polizist Sven Rottenberg. Er will versuchen, das zu ändern | |
Bild: Der neue „Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ be… | |
taz: Herr Rottenberg, Sie sind als „Ansprechpartner für | |
gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ nicht nur Anlaufstelle für Opfer | |
homophober Gewalt, sondern auch für Ihre KollegInnen. Wie ausgeprägt ist | |
Homophobie bei der Polizei? | |
Sven Rottenberg: Sie ist zumindest da. Um zu schauen, ob nicht nur ich, | |
sondern auch meine Kollegen die Notwendigkeit für einen Ansprechpartner für | |
gleichgeschlechtliche Lebensweisen sehen, hat unser Polizeipräsident sie | |
befragt – mit einem Ergebnis, das ich bereits vermutet hatte: Ein paar | |
lesbische Kolleginnen haben sich gemeldet und gesagt, sie selbst hätten | |
keine größeren Probleme, auch wenn sie auf der Arbeit nicht allzu offensiv | |
mit ihrer sexuellen Orientierung umgehen, dass sie aber glaubten, | |
homosexuelle Männer hätten bei der Polizei durchaus Probleme. Es hat dann | |
auch kein einziger Schwuler an der Befragung teilgenommen, obwohl ich weiß, | |
dass es hier mehrere gibt. | |
Was ist der Grund dafür, dass Frauen sich bei der Polizei eher outen als | |
Männer? | |
Frauen sind meiner Erfahrung nach toleranter als Männer und Männer haben | |
keine Angst vor homosexuellen Frauen: Lesben sind ja oft Teil | |
heterosexueller Männerfantasien. Wenn es um Schwule geht, kennt man | |
hingegen diese Sprüche: Mit dem kann ich ja nicht zusammen duschen gehen | |
oder so was. Ich habe mich allerdings während meiner Ausbildung an der | |
Hochschule geoutet und bis heute solche expliziten Sprüche von Kollegen | |
nicht gehört. Da kam dann eher die Frage danach, ob man mit mir denn auch | |
über Fußball reden kann. Die Angst vor Diskriminierung scheint allerdings | |
sehr groß zu sein und auch die Angst davor, berufliche Nachteile zu | |
bekommen. Aber auch das kann ich nicht bestätigen. | |
Wie erklären Sie sich dann die Ängste? | |
Das hat sicher etwas mit der Alltagssprache zu tun. Ein heterosexueller | |
Kollege, der sich an der Befragung beteiligt hat, hat genau darauf | |
aufmerksam gemacht: Das Wort „schwul“ wird im normalen Umgang immer wieder | |
abwertend gebraucht, so ähnlich wie „Warmduscher“ oder Ähnliches. Das ist | |
eigentlich immer eher witzig und flapsig gemeint, aber wenn das jemand, der | |
kurz vorm Outing ist, ständig hört, erleichtert ihm das diesen Schritt ganz | |
bestimmt nicht. Dumme Sprüche ernten lesbische Kolleginnen übrigens auch, | |
das haben mir einige berichtet. Diese Sachen lassen sich eigentlich immer | |
schnell im direkten Gespräch klären, weil sie nicht böse gemeint sind, aber | |
Ziel sollte ja sein, dass sie gar nicht erst gesagt werden. | |
Welche Erfahrungen machen Opfer homophober Gewalt mit der Polizei? | |
Viele gehen nicht zur Polizei, weil sie Angst vor Diskriminierung haben | |
oder sie geben deswegen bei der Anzeige ihre sexuelle Orientierung nicht | |
an, obwohl sie für den Tathintergrund wichtig wäre. Manche fühlen sich von | |
der Polizei nicht ernst genommen, obwohl sie deutlich einen homophoben | |
Hintergrund der Tat genannt haben. Man geht von einer Dunkelziffer von 80 | |
Prozent bei Verbrechen mit einem homophoben Hintergrund aus – 80 Prozent | |
der Taten werden also nicht angezeigt. | |
Was bedeutet das für Bremen? | |
Ich habe im Rahmen der Konzeptentwicklung für die Stelle des | |
Ansprechpartners unsere Unterlagen über Straftaten dazu ausgewertet. Das | |
konnte, da wir grundsätzlich sensible Informationen über sexuelle | |
Ausrichtungen von Geschädigten nicht speichern, nur anhand von | |
Suchbegriffen wie „schwul“ oder „gay“ in den Kurzbeschreibungen der Fä… | |
erfolgen. Nur anhand dieser ziemlich groben Recherche bin ich zu dem | |
Ergebnis gekommen, dass es im Jahr 2013 ungefähr zwanzig homophob | |
motivierte Straftaten in Bremen gab. Zusätzlich ist vermutlich von dem | |
bereits angesprochenen erheblichen Dunkelfeld auszugehen. Das ist meines | |
Erachtens schon recht viel. | |
Wie wollen Sie dagegen angehen? | |
Als offizielle Beschwerdestelle sehe ich mich nicht und möchte das auch | |
nicht sein. Ich würde auch nicht in der internen Ermittlung arbeiten | |
wollen. Ich sehe mich eher als Mittler. Ich versuche, die Kollegen zu | |
sensibilisieren. Ich gehe in die Klassen der Polizeistudenten, stelle mich | |
dort vor und erzähle, was ich mache. Ich konfrontiere sie damit, dass es | |
auch bei der Polizei Schwule und Lesben gibt. Und ich plane, am Ende ihrer | |
Ausbildung noch einmal dorthin zu gehen und über ihre Erfahrungen zu reden. | |
Denn das Thema wird bei der Polizei in weiten Teilen vernachlässigt und | |
auch bei der Ausbildung nur ganz kurz erwähnt. | |
Was können Sie für Opfer homophober Gewalt tun? | |
Ich kann Ihnen erst einmal sagen, dass ich da bin. Ich habe eine | |
Mailadresse und ein Diensthandy, über die mich jeder kontaktieren kann, der | |
sich ansonsten scheuen würde, zur Polizei zu gehen. Ich arbeite mich | |
außerdem gerade durch die Strafprozessordnung, weil viele Opfer oder auch | |
Zeugen homophober Gewalt nicht wollen, dass ihre Partner davon erfahren. | |
Aus welchen Gründen wollen sie das nicht? | |
Es gibt beispielsweise gar nicht so wenige heterosexuelle, verheiratete | |
Männer, die heimlich einschlägige Schwulentreffs aufsuchen und nicht | |
wollen, dass ihre Ehefrauen davon erfahren. Da kann man natürlich sagen, | |
mit solch einem Doppelleben müssen die schon selbst klarkommen, aber wir | |
wollen ja nicht, dass deswegen Straftaten ungesühnt bleiben. Es gibt in der | |
Strafprozessordnung beispielsweise einen Passus, dass es bei sogenannten | |
besonderen Lebensumständen für Zeugen und teilweise auch für Opfer die | |
Möglichkeit gibt, vertraulicher aussagen zu können als normalerweise | |
vorgeschrieben. | |
Und ein solches Doppelleben gehört zu diesen Umständen? | |
Das kann ich noch nicht sagen, da arbeite ich mich gerade noch rein. | |
Zeugenschutzprogramme, wie man sie im Bereich der organisierten | |
Kriminalität kennt, gelten hier bestimmt nicht, aber wenn jemand | |
beispielsweise Angst davor hat, dass Post von der Polizei oder der | |
Staatsanwaltschaft an seine private Adresse geschickt wird, müsste doch | |
eigentlich die Möglichkeit eröffnet werden, dass er sich diese Post an eine | |
andere Adresse schicken lässt. Solche kleinen Maßnahmen können ja manchmal | |
schon reichen. Eine Prüfung solcher Möglichkeiten wird auf meine Anregung | |
hin demnächst zwischen den Leitungen der Kriminalpolizei und der | |
Staatsanwaltschaft Bremen erörtert. | |
Wie stehen denn Ihre KollegInnen bei der Polizei zu Ihrem neuen Job? | |
Insgesamt positiv. Allerdings bin ich zu 25 Prozent dafür freigestellt – | |
und das stößt hier und da auf ein bisschen Missmut, weil wir bei der Bremer | |
Polizei ohnehin viel zu knapp besetzt sind. Das ist wohl auch der Grund | |
dafür, dass der Personalrat der Stelle erst einmal nur für ein Jahr | |
zugestimmt hat. | |
Was entgegnen Sie der Kritik? | |
Dass diese 25 Prozent durch meinen Job um ein Vielfaches wieder reingeholt | |
werden können: Wer Angst hat, sich zu outen, schleppt das mit sich herum | |
und ist in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Wer über mögliche | |
Diskriminierungen nicht redet, auch. Das kann bis hin zum Burnout gehen und | |
dann ist dieser Kollege für lange Zeit krank. Wenn man das künftig | |
verhindern kann, haben wir ein Vielfaches meiner 25 Prozent hinzugewonnen. | |
1 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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