# taz.de -- Neuer Masterstudiengang „Spielanalyse“: Im Maschinenraum des Pr… | |
> Etliche Profiklubs schicken ihre Taktikexperten an die Sporthochschule | |
> Köln. Dort sollen sie lernen, den Daten die richtigen Fragen zu stellen. | |
Bild: Der Laptop als Trainingsgast? War bei Jürgen Klinsmann selbstverständli… | |
Köln taz | Das Rätselhafte ist ein fester Bestandteil des Fußballs, und | |
wahrscheinlich sind die unergründlichen Tiefen dieses Sports sogar ein | |
wichtiger Aspekt seiner Faszination. Das Spiel wird statistisch | |
durchleuchtet, bis ins kleinste Detail von Kameras erfasst, von Experten im | |
Fernsehen und an Stammtischen seziert, und am Ende gibt es fünfzehn | |
unterschiedliche Meinungen zu der Frage, warum Mannschaft X gegen | |
Mannschaft Y verloren hat. | |
Aber wo Rätsel sind, da gibt es auch Entdecker, Forscher und Jäger, die | |
neuerdings ein Labor haben, um der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. | |
Gerade hat in Köln eine erste Kohorte solcher Spezialisten den | |
„weiterbildenden Masterstudiengang M.A. Spielanalyse“ begonnen. Junge | |
Männer, die hoffen, der Welt ein paar verlässliche Erkenntnisse über ihren | |
liebsten Sport zu verschaffen. | |
Es ist ein nebliger Oktobermorgen im Kölner Westen. Professor Daniel | |
Memmert steht wie verabredet an der Pforte der Sporthochschule. Memmert ist | |
Leiter des Instituts für Kognitions- und Sportspielforschung und Initiator | |
des neuen Studiengangs. Er trägt eine schwarze Mütze, tippt auf seinem | |
Telefon herum. Gleich nach der Begrüßung sagt er, dass künftig keine | |
Journalisten mehr so nah an den neuen Studiengang herangelassen werden. Man | |
wolle nicht allzu viel Aufmerksamkeit. Die letzten Geheimnisse des Fußballs | |
sollen im Verborgenen entschlüsselt werden. | |
Denn genau darum geht es am Ende der Forschungsbestrebungen, von denen der | |
zweijährige Masterstudiengang nur ein Teil ist: um die Erfolgsformel. „Ich | |
bin ganz fest davon überzeugt, dass es so etwas gibt“, wird Memmert später | |
sagen, aber jetzt läuft er erst einmal in ein Nebengebäude der | |
Sportuniversität, wo sich seine 21 Schützlinge in einem abgedunkelten Raum | |
zu einer Übungseinheit mit der klassischen Statistiksoftware SPSS | |
versammeln. Nach und nach tröpfeln die Teilnehmer durch die Tür, Hände | |
werden nicht geschüttelt, sondern lässig ineinandergeklatscht. Frauen gibt | |
es nicht. | |
## Alles wird kategorisiert und in Zahlen gefasst | |
Ein Beamer summt, graue Lamellenvorhänge halten das Tageslicht fern. Die | |
Studierenden sollen anhand von Datensätzen, die in den Tagen zuvor bei | |
Analyseübungen von Basketball- und Fußballspielen erhoben wurden, bestimmte | |
Thesen belegen oder widerlegen. Zum Beispiel: „Die Anzahl der Pässe, die | |
ein Spieler spielt, ist abhängig von seiner Position.“ | |
Es geht um „kategorische“, „metrische“ und „nominelle“ Variablen. S… | |
steht ein Seminar zum „wissenschaftlichen Schreiben“ auf dem Stundenplan, | |
und tags darauf gibt es zum Abschluss dieser ersten von zwei Präsenzwochen, | |
die pro Semester absolviert werden, noch ein Bonbon: Urs Siegenthaler, der | |
Chefscout von Bundestrainer Joachim Löw, wird einen Vortrag über | |
„Veränderungen im Sport“ halten. Einen Großteil des Studiengangs bestreit… | |
die Analysten aber als Selbststudium, und am Ende schreiben sie eine | |
Abschlussarbeit. Das ist eine Menge Aufwand für Studenten, von denen die | |
meisten längst Experten sind, die zum Teil sogar schon feste Arbeitsstellen | |
bei einem der großen Profiklubs haben. | |
So wie Tonda Eckert, der erzählt, dass er beim 1. FC Köln als Trainer bei | |
der U17 arbeitet. „Der Bereich der Spielanalyse fällt automatisch in den | |
Aufgabenbereich eines Trainers mit rein“, sagt Eckert. Für Tim Mattern, der | |
das Nachwuchsleistungszentrum von Bayer Leverkusen leitet, geht es vor | |
allem um Hilfsmittel für „das Scouting und die Talentanalyse“. Leverkusen | |
hat gleich drei Mitarbeiter zu dem Studiengang angemeldet, der 1.850 Euro | |
pro Semester kostet. Auch RB Leipzig, der FC Schalke, der VfB Stuttgart, | |
der FC Luzern und Rot-Weiß Oberhausen lassen Mitarbeiter zum Master | |
weiterbilden. | |
Die Gruppe ist homogen. Junge Männer um die 30, die Sport studiert und | |
Trainerscheine gemacht haben. Man sieht diese Fußballnerds mit ihren | |
schwarz umrandeten Brillen seit einigen Jahren überall auf den | |
Pressetribünen der Stadien, wo ihr Blick zwischen Spielfeld und speziellen | |
Analysetools auf ihren Laptopdisplays hin und her pendelt. Kurz vor dem | |
Halbzeitpfiff springen sie dann auf, um in die Kabinen zu eilen, wo sie dem | |
Trainerteam ihre Beobachtungen überbringen. Manche haben auch schon zwei, | |
drei Szenen ausgewählt, anhand deren sich Fehler aus der ersten Hälfte oder | |
Lösungsansätze für die zweite Hälfte illustrieren lassen. | |
## Hoch gefilterte Informationen fürs Trainerteam | |
Die Arbeit mit Fußballdaten und Videoschnipseln ist längst zur | |
Selbstverständlichkeit im Profifußball geworden. Die Produktion und | |
Interpretation des Zahlenwustes gehört zum Alltag. Klubs mit einer | |
gepflegten Datenbank haben Vorteile, wenn sie Verstärkungen suchen, und | |
Cheftrainer haben meist nicht genug Zeit, um sowohl die eigenen Spiele als | |
auch die Partien der kommenden Gegner zu studieren. Professor Memmert hat | |
beobachtet, dass „die Trainer total dankbar sind, dass sie hoch gefilterte | |
Informationen bekommen“. | |
Umstritten ist allerdings, welche Informationen wirklich aussagekräftig | |
sind. „Wir befinden uns an einem Punkt, der die Spielanalyse | |
revolutionieren wird“, sagt Stephan Nopp, wissenschaftlicher Referent des | |
DFB-Sportdirektors Hansi Flick, der davor lange Zeit an der Sporthochschule | |
tätig war. Nopp gehört Joachim Löws Analystenteam bei der | |
Nationalmannschaft an, hat bei der Entwicklung des Studiengangs mitgewirkt | |
und ist einer der klügsten Köpfe der Analystenszene. | |
Nach der Weltmeisterschaft in Brasilien reifte die Erkenntnis, dass all die | |
Daten, mit denen seit Jahren hantiert wird – die Zahl der gewonnenen | |
Zweikämpfe, zurückgelegte Laufdistanzen, Ballbesitzquoten und all die | |
anderen Werte – allenfalls lose mit der wichtigsten Frage des Fußballs in | |
Zusammenhang stehen: Wer gewinnt das Spiel? „Die Daten liefern keine | |
verlässlichen Hinweise“, sagt Nopp. Aber es gibt einen Schatz, den die | |
Analysten in den kommenden Monaten und Jahren heben wollen: die sogenannten | |
Positionsdaten. | |
In diesem Datensatz steckt die Information, welcher Spieler sich zu welchem | |
Zeitpunkt des Spiels an welcher Stelle des Spielfelds befand und wo der | |
Ball war. „Ich glaube, dass es in Zukunft nur noch dieses eine Datenset | |
geben wird“, sagt Nopp; hier vermutet auch Memmert die eingangs erwähnte | |
Erfolgsformel. Große Softwareunternehmen wie SAP entwickeln unter anderem | |
im Auftrag des Deutschen Fußball-Bundes Programme, die diese Positionsdaten | |
auswerten. Zugleich arbeitet auch Memmert mit seinem Kollegen Jürgen Perl | |
von der Universität Mainz seit vielen Jahren an Tools, die in | |
Sekundenschnelle taktische Muster aus Positionsdaten herauslesen können. | |
In Zukunft wird die Kunst darin bestehen, die richtigen Fragen zu | |
formulieren und in entsprechende Algorithmen zu übersetzen, glauben die | |
Kölner Forscher. „Den Menschen braucht man an zwei Stellen“, erklärt | |
Memmert, „einmal, um genau die Parameter zu extrahieren, die wichtig sind | |
für diesen Verein, für diesen Trainer, für dieses Trainerteam. Und später | |
brauchen wir die Expertise, um die gewonnen Daten zu interpretieren.“ | |
Hier, an den Hebeln im Maschinenraum des modernen Fußballs, werden viele | |
der mit dem „Master Spielanalyse“ dekorierten Experten einmal wirken in | |
einer digitalen Fußballwelt aus Einsen und Nullen. Schon heute sehen die | |
Analysten oft vier Fußballspiele pro Tag, sie werten die Trainingsdaten aus | |
und wissen oft viel mehr vom Gegner und den eigenen Spielern als ihr Chef. | |
Diese Expertise ist eine der viel zitierten Kleinigkeiten, die den | |
Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen können. | |
Künftig „werden Trainer nicht nur ihre Assistenten mitnehmen, wenn sie zu | |
einem neuen Klub weiterziehen, sondern auch ihre Analysten“, sagt Professor | |
Memmert, so wie es Thomas Tuchel gemacht hat, der seinen Video- und | |
Datenexperten Benni Weber mit zu Borussia Dortmund brachte. Weber hat dort | |
einen Job, von dem sie hier träumen im grauen Informatikraum der | |
Sporthochschule. Ganz nah dran an der Zauberwelt des Profifußballs, aber | |
trotzdem im Verborgenen. | |
8 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Daniel Theweleit | |
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